Obereggen: Skifahren inmitten der Dolomiten
Foto: mauritius images / imageBROKER / Martin Braito
von Christina Geyer
Klein, fein, umweltbewusst: Das Ski Center Latemar unweit von Bozen in Südtirol wurde zum „führenden Skigebiet bis 60 km“ gekürt. Wir finden: verdienterweise. Die Geschichte eines verschlafenen Bergorts, der sein Fortbestehen dem Eingreifen von elf jungen Männern verdankt.
Sommer 1970. Elf junge Männer beschließen, aus dem verschlafenen Bergort Obereggen in Südtirol ein Skigebiet zu machen. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in Obereggen einen Tante Emma-Laden und einen 20-Betten-Betrieb – sonst nichts. Georg Weissensteiner war einer der elf Burschen, gerade einmal 27 Jahre alt und beseelt von der Vision, das Eggental vor dem Aussterben zu bewahren. „Lasst's die Buam“, hieß es, „die ha'm ja eh kein Geld!“, erzählt Weissensteiner heute, knapp 45 Jahre später.
Es folgten zwei ereignisreiche Jahre, bestehend sowohl aus Erkundungsreisen nach Österreich in Täler wie Serfaus und das Ötztal, deren Geschichte als Blaupause für das Eggental fungieren sollte, als auch aus dem Sammeln von Startkapital: „Wir sind von Haustür' zu Haustür' getingelt und haben das Startkapital für die Erschließung eines neuen Skigebiets zusammengesammelt“, erinnert sich Weissensteiner. Und sie waren damit erfolgreich.
1972 fiel der Startschuss für die Inbetriebnahme der ersten Liftanlagen in Obereggen. Nur drei Jahre später folgten der Zusammenschluss mit den Gebieten Pampeago und Predazzo sowie der Beitritt zum Skiverbund „Dolomiti Superski“. Heute ist aus dem Traum der elf idealistischen Burschen das Ski Center Latemar geworden. Inmitten der Dolomiten mit beeindruckendem Blick auf das Latemargebirge kann man bis auf 2.500 m insgesamt 48 Pistemkilometer befahren.
„Ich bin überzeugt davon, dass auch kleine Skigebiete erfolgreich sein können“, sagt Weissensteiner. Während man in einem großen Skigebiet bloß ein Mal falsch abzufahren braucht, um schließlich 70 km mit dem Taxi ins richtige Tal zu fahren, ist ein Skigebiet wie das Ski Center Latemar überschaubar – ohne dabei langweilig zu werden. Man kann hier problemlos einen Tag lang auf den Pisten unterwegs sein, ohne zwei Mal denselben Lift nehmen zu müssen.
Die Hütten sind klein und urig, nach Massenabfertigung sucht man hier vergeblich. Das gilt auch für die Massen – ohne Abfertigung: Ausgewählte Abfahrten hat man ungelogen mehrmals täglich für sich allein. Und über die Grenze von Südtirol ins Trentino kann man auch noch sausen – mit Brettern an den Füßen versteht sich. „Bei Vollbelegung beherbergt Obereggen 4.000 Personen – und mehr wollen wir auch nicht“, sagt Weissensteiner. Und das kann man durchaus nachvollziehen, wenn man an die fulminante Steigerungsrate der letzten Jahrzehnte zurückdenkt und sich an den kleinen 20-Betten-Betrieb der frühen 70er-Jahre zurückerinnert.
Und während das Skigebiet über die Jahre zahlreiche Auszeichnungen abgeräumt hat – etwa als Testsieger bei Skiresort.de, dem weltweit größten Testportal für Skigebiete, in der Kategorie „führendes Skigebiet bis 60 km“ und eines der „ 25 besten Skigebiete Europas“ –, verfolgt Obereggen trotz (oder gerade wegen) seiner aktiven Entwicklung eine nachhaltige Wachstumsstrategie. Diese umfasst beispielsweise den Netzausbau der Öffentlichen Verkehrsmittel, die Errichtung eines Fernheizwerks, das den gesamten Ort ausschließlich mit erneuerbaren Energieträgern beheizt und dabei 500.000 Liter Heizöl jährlich einspart sowie die Stromerzeugung aus lokaler Wasserkraft.
Auch der Strom für die Aufstiegsanlagen stammt seit 2009 aus erneuerbarer Energie. Darüber hinaus betreibt die Liftgesellschaft Obereggen als erste Bergbahngesellschaft der Dolomiten ein zertifiziertes Umweltmanagementsystem. Alle diese begrüßenswerten Maßnahmen täuschen aber natürlich nicht über den Umstand hinweg, dass auch das Ski Center Latemar auf künstliche Beschneiung angewiesen ist. Schneearme Winter stellten – wie in nahezu allen Skigebieten – eine ernstzunehmende Bedrohung für das Fortbestehen des Wintersportorts dar.
Georg Weissensteiner bezeichnet das „Schimpfen“ auf Kunstschnee ganz pragmatisch als „blauäugig“. Es gäbe im gesamten Alpenraum kaum noch Pisten, deren Auflage rein aus Naturschnee bestünde. Bleiben die Touristen wegen fehlenden Schnees aus, schrumpfen auch die Perspektiven der vom Tourismus abhängigen Täler auf ein Minimum zusammen.
„Die Leute können nicht mehr Skifahren“
Immerhin stammt der vom Ski Center Latemar produzierte Kunstschnee zu 100% aus nachhaltiger lokaler Wasserkraft – und sorgt darüber hinaus für einen besseren Schutz der Grasnarbe. Naturschnee enthält nämlich viel mehr Feuchtigkeit als Kunstschnee. Will heißen: Er schmilzt auch schneller. Damit ist eine reine Naturschnee-Auflage in der Regel dünner als eine aus Kunstschnee, wodurch auch der Untergrund leichter verletzt werden kann. Weissensteiner ergänzt gewohnt nüchtern: „Wir haben ein großes Problem mit Naturschnee: Die Leute können dann nämlich nicht mehr Skifahren“.
Wer die Infrastruktur eines Skigebiets in Anspruch nimmt, muss auch wissen, dass es keine Naturschnee-Garantie gibt. Wer sich dafür entscheidet, ist mit Obereggen gut beraten.
Die Kulisse der schroffen Dolomiten-Gipfel, die scheinbar kerzengerade aus der Piste in die Höhe schießen, das Bestreben des Gebiets, im Rahmen des Möglichen umweltbewusst zu agieren und die Überschaubarkeit des Ski Centers machen den kleinen Ort in Südtirol zweifelsohne zu einem besonders lohnenden Skigebiet.
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