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Alpine Geschichte

Reinhold Messner: Das Seil von Lionel Terray

• 12. September 2019
3 Min. Lesezeit

Reinhold Messner wird 75! Bis zum großen Fest am 17. September 2019 gibt es auf Bergwelten.com eine tägliche Ration Messner. Heute erzählt uns die Bergsteiger-Legende von einem Großen des Alpinismus, dem eine Rettungsaktion nach der Erstbesteigung der Annapurna im Himalaya glückte, aber ein Seilriss in den Alpen zum Verhängnis wurde.

Reinhold Messner
Foto: Roland Vorläufer
Bergwelten-Kolumnist Reinhold Messner
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Ein englischer Journalist bricht beim Anblick des Seils, an dem Lionel Terray ums Leben kam, in Tränen aus. Zu Besuch bei der Witwe des Bergsteigers findet er es im Keller ihres Hauses in Chamonix. Gerührt nach der Lektüre dieser Episode, wage ich es, einen Brief an die Witwe Terray zu schreiben mit der Bitte um ein Stück des Seils – als „Reliquie“ für mein Museum. Wenige Tage später liegt ein Paket bei der Post. Die Absenderin: Marianne Terray.

„Ich muss auf der Leiter hinabsteigen. Kräfte und Mut nehmen langsam ab. Bald schon werden die Alpen für mich wieder zu jenen schrecklichen Gipfeln werden, die sie mir in meiner Jugend gewesen sind. Falls wirklich kein Fels, kein Eissturm und keine Spalte irgendwo auf dieser Erde meiner harren, den Lauf zu enden, wird der Tag kommen, an dem ich, alt und müde, den Frieden unter Tieren und bei Blumen finden werde. Dann hat sich der Kreis geschlossen, denn endlich bin ich der schlichte Hirte, der zu werden ich als Kind geträumt.“

Mit diesen Sätzen endet die Autobiografie des 40-jährigen Lionel Terray, mit Hermann Buhl und Walter Bonatti einer der drei Großen des Alpinismus knapp nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie in einem Gedicht klingen die Namen der Gipfel, die er bestiegen hat. Fast immer als Erster: Eiger, Piz Badile und Walkerpfeiler in den Alpen; Fitz Roy in Patagonien; Chacraraju und Taulliraju in den Anden; Nilgiri, Jannu, Chomo Lönzo und Makalu im Himalaya; Huntington in Alaska. Der 1921 geborene Haudegen aus Grenoble war Bergführer und immerzu aktiv. Er war stark, risikofreudig. Er und Louis Lachenal bildeten zusammen ein einmaliges Team, sie galten zu Recht als die  französische Seilschaft der Nachkriegszeit.

Sein größtes Abenteuer aber war die Annapurna-Expedition im Jahr 1950, bei der sein Seilkamerad Lachenal mit Maurice Herzog den ersten Achttausender besteigen konnte. Lionel Terray gehörte bei dieser Erstbesteigung der Annapurna zur Mannschaft.

Terray war nicht am richtigen Ort, als die Zeit für den Gipfelgang gekommen war. Lachenal führte Expeditionsleiter Herzog zum Gipfel auf 8.091 m hinauf. Die erste Besteigung eines Achttausenders war geglückt.

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Lionel Terray
Foto: mauritius images/ Alamy
Lionel Terray im französischen Bergfilm: „Sterne über dem Montblanc“ von 1959

Die Probleme kamen beim Abstieg, das Wetter verschlechterte sich dramatisch. Jetzt galt es, die „Sieger über den Achttausender“ in Sicherheit zu bringen. Sie sollten nicht sterben!

Terray, ein Kraftmensch, rannte in die Nebelwelt hinein, um den gestürzten und verletzten Lachenal zu retten. Seine Kräfte und sein Wille waren enorm, doch diese Situation brachte auch ihn an seine Grenzen. Lachenal nannte Terray, der inzwischen schneeblind war, einen Narren und hockte sich immer wieder in den Schnee. Er wollte ein Loch in den Schnee graben und besseres Wetter abwarten.

Trotz alledem schleppte Terray seinen Freund Lachenal hinter sich her. Er hielt ihn am Seil, redete einmal beruhigend, dann befehlend auf ihn ein. Und Lachenal folgte, trottete Terray hinterher, den selbst ein Träger führte. Als sich die Gruppe dem Lager näherte, kam es zu erschütternden Szenen.

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Terray selbst ging gebeugt wie ein Kranker. Mühsam schleppte sich der stärkste Mann der Expedition dem sicheren Lager entgegen, unsicher auf den Beinen und schmerzverzerrt das Gesicht. Beim ersten Anblick des Daherwankenden weinte sogar der Expeditionsarzt Jacques Oudot.

Der wahre Höhepunkt beim Bergsteigen ist immer das Herunterkommen, das Zurückkommen „von einem anderen Stern“ in die Menschenwelt.

Terray sollte fünf Jahre später auf seinem ersten Achttausender stehen, 1955 als Mitglied einer neunköpfigen Expedition bei der Erstbesteigung des 8.485 Meter hohen Makalu.

Nur zehn Jahre später, im September 1965, traf die Nachricht ein, dass Lionel Terray beim Klettern am Gerbier-Gipfel im Vercors-Massiv der französischen Alpen tödlich abgestürzt war. An einer schwierigen Route, zusammen mit Marc Martinetti: Seilschaftssturz – die Selbstsicherung hatte nicht gehalten.

Lionel Terray, der „Eroberer des Unnützen“, wie er sein viel gelesenes Buch betitelte, hinterließ einen starken Eindruck in der Welt des Bergsteigens. Er war ein liebenswerter Mensch und ein großzügiger Bergsteiger, der für immer seinen Platz in der Geschichte des Alpinismus hat.

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Lionel Terray
Foto: Elias Holzknecht
Das Seil, an dem der große französische Bergsteiger Lionel Terray 1965 in den Tod stürzte, ist im Messner Mountain Museum in Firmian zu sehen

Reinhold Messner, geb. 1944 in Brixen, stand als erster Mensch auf allen 14 Achttausendern der Erde. Er ist erfolgreicher Buchautor und baute das Messner Mountain Museum an mittlerweile sechs Standorten in Südtirol auf. Im Bergwelten Magazin schreibt er als Kolumnist regelmäßig über alpine Geschichte(n).

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