Schule der Alm: Ein Sommer zwischen Ziegen und Käse
Eine Geschichte von zwei Menschen, die ihren Sommer gemeinsam mit 14 Ziegen auf der Alm verbringen. Und darüber hinaus eine Initiative ins Leben gerufen haben, die zum Erhalt der bergbäuerlichen Kultur beitragen soll.
„Ich würd' mich nicht mit einem Mann einlassen, der nicht mit meinen Goaßn kann.“ Helga Hager lacht und fügt hinzu: „Die haben nämlich ihren eigenen Kopf. Wie wir Weiberleit'!“ Ihre „Goaßn“, das ist eine Herde von 14 Ziegen, mit denen sie den Sommer auf der Nockeralm im Tiroler Valsertal verbringt. Hier ist Helga Hager auch geboren. Nach der Ausbildung zur Gastronomie-Fachfrau und Diplom-Sommelière nahm sie 2011 die Bewirtschaftung der Alm wieder auf. „Ich mach' was, das keiner macht: Ziegen-Frischkäse wie vor 100 Jahren in Frankreich.“ Es dauert keine halbe Stunde, bis sie alle Ziegen gemolken hat. Helga Hager ist routiniert. Zwei Mal am Tag wird gemolken, einmal in der Früh und einmal am Abend.
Helga Hager lebt zwei Leben, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Im Sommer ist sie auf der Alm, im Winter arbeitet sie als Sommelière in Kitzbühel. Ihre Liebe für guten Wein kann sie aber auch auf der Nockeralm nicht abdrehen. „Wenn's der Seele gut tut, kann's der Leber nicht schaden“, steht auf einem kleinen Schild, das draußen vor der Alm hängt. Helga Hager ist eine Frau, die so schnell nichts aus der Bahn zu werfen scheint. Sie melkt ihre Ziegen, macht Frischkäse in der angeschlossenen Milchkammer, entkorkt beschwingt Weine aus aller Welt und zaubert scheinbar nebenbei Kitzbraten mit gebratenem Fenchel und Kartoffeln aus dem Tal. Aber selbst Helga Hager kann sich nicht vierteilen. Nicht immer bleibt Zeit, um noch Holz zu hacken oder das Bergmahd oberhalb der Alm zu mähen.
Und dann kam Werner. Eigentlich ja nur zu Besuch für einen Tag. Geblieben ist er den ganzen Sommer lang. Er hat sich verliebt. Ins Valsertal, das für ihn das „schönste Tal der Welt“ ist – und natürlich: in die Ziegen. „Die verstehen genau, was wir sagen!“, ist Werner Kräutler überzeugt. Es ist nun schon sein zweiter Sommer auf der Alm bei Helga Hager. Längst geht seine Unterstützung über kleine Gefälligkeiten hinaus. Mit der Initiative „Schule der Alm“ will Werner Kräutler zum Erhalt des kulturellen Erbes und zum Schutz der kleinbäuerlichen Betriebe im Valsertal beitragen. Austragungsort ist Helgas Alm. Der Sommer war erfolgreich für Helga Hager und Werner Kräutler. Etliche freiwillige Helfer sind dem Ruf der Initiative gefolgt und haben Bergmähder gemäht, Kräuter gesammelt, Holz gehackt, Zäune geflochten.
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Dafür kommt man morgens auch in den Genuss von frischem Topfen mit kalt gerührter Preiselbeer-Marmelade und Fichtenwipfelsirup. Man treibt hier bis zu einem gewissen Grad noch Tauschhandel. Eine befreundete Bäuerin aus dem Tal bringt frisch geerntete Saubohnen vorbei, Helga versorgt sie dafür mit Ziegenmilch. Überhaupt herrscht reges Treiben auf der Alm. Man schaut halt gern vorbei auf ein Achtel Wein, tauscht sich aus, sitzt beisammen. Hier brauen sich Visionen zusammen und große Ideen. „Es braucht eine Neubemessung von Werten“, sagt Werner Kräutler. Was sind uns Produkte wert, die ohne Einsatz von Chemie auskommen? Wie viel sind wir bereit für unsere Nahrungsmittel auszugeben? Welchen Stellenwert hat der Erhalt kleinbäuerlicher Strukturen?
„Im Grunde läuft alles auf die Frage hinaus, was uns die Kultur der Bergbauern wert ist und ob wir sie erhalten wollen oder nicht.“ Die Schule der Alm ist ein Versuch, dieser Frage eine Antwort entgegenzustellen. Wer auf Helgas Alm war, ist Teil dieser Antwort. Die Ziegen überwintern im Tal. Nächsten Sommer wird Helga Hager wieder auf die Alm kommen. Sie wird ihre Schürze in Kitzbühel abgeben und sich gemeinsam mit Werner Kräutler um die „Goaßn“ kümmern. Und dann wird die Alm wieder mit Leben erfüllt sein, mit Ideen und gutem Wein, inspirierenden Menschen und frischem Ziegenkäse. Wer sich das entgehen lässt ist selbst Schuld.