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Foto: Elias Holzknecht
Hüttenporträt

Berggasthaus Tierwis

• 21. Oktober 2021
5 Min. Lesezeit

Zwischen Appenzellerland und Toggenburg balanciert das Bergasthaus Tierwis in spektakulärer Kammlage unterhalb des Säntisgipfels. Es ist eine Hütte zum Verlieben.

Sissi Pärsch für das Bergweltenmagazin April 2019

Der Tierwis hat Hanspeter „Hampi“ Schoop sein Leben zu verdanken. In dem Berggasthaus, das sich auf 2.085 Metern zwischen Grenzchopf und Grauchopf versteckt, haben sich seine Eltern kennengelernt. Der Vater hat ausgeholfen, die Mutter war Gast – und musste wetterbedingt über Nacht bleiben. Der Rest ist Familiengeschichte. Die Tierwis wiederum hat es Hampi zu verdanken, dass sie aktuell so schön dasteht. Denn seit 2009 ist die kleine Hütte im Besitz der Familie Schoop.

Ein gemütlich eingerichtetes Zimmer.
Foto: Elias Holzknecht
Wer das Doppelzimmer ergattert, schläft gemütlich im rustikalen Ambiente.
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Dass das mit dem Verlieben hier oben gut klappt, kann man sich bestens vorstellen, wirkt doch das Berggasthaus mit seinem schmucken Äußern und dem heimeligen Inneren so liebenswert. Dazu diese verrückt schöne Lage auf dem schmalen Grat zwischen Appenzellerland auf der einen und dem Toggenburg auf der anderen Seite. Kein Wunder, dass die Einheimischen regelmäßig von hier wie von dort den durchaus schweißtreibenden Gang zur Hütte auf sich nehmen.

Während sie zielstrebig bei Brigitte, Hampis Frau, Platz nehmen, einen Zimetflade bestellen und Katze Salewa streicheln, braucht der erstmalige Gast seine Zeit. Er schaut, schüttelt den Kopf, geht ein Stück weiter, schaut wieder – und schüttelt erneut den Kopf. So etwas Schönes muss man eben erst einmal auf sich wirken lassen.

„Irgendwann ist das mein Platz. Das hat er schon gesagt, als wir erst kurz zusammen waren“, erzählt Brigitte über Hanspeter. Und tatsächlich: 2009 stand der Wechsel auf der Hütte an, und die Schoops bekamen den Zuschlag – allerdings nicht für die Pacht, sondern für den Kauf der Tierwis. „Das Wasser war nicht kalt, es war eiskalt“, meint Brigitte zurückblickend über ihren Sprung in das Leben als Hüttenwirtin.

Sie war damals gerade 40 Jahre alt geworden, hatte vier Söhne und „absolut keine Gastronomie-Erfahrung. Ich hatte nicht einmal die Küche hier gesehen.“ Die ist sehr einfach: Gekocht wird auf dem Holzofen, der Kühlschrank wird mit Gas betrieben.

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Wie kommt man dennoch auf die Idee, Ja zu sagen? „Ich springe eben gern“, antwortet Brigitte selbstsicher. „Jede Art von Planung ist mir ein Graus. Mir liegen unbekannte Herausforderungen deutlich besser. So bin ich alles spontan angegangen und bin hineingewachsen.“ Mit ihren Jungs – der Jüngste, Elias, war damals erst vier Jahre alt.

Das Berggasthaus und das Bergpanorama.
Foto: Elias Holzknecht
Durch seine Kammlage lässt die Tierwis tief blicken: Auf der einen Seite stehen die Toggenburger Churfirsten stramm, auf der anderen wellt sich das Appenzellerland.

Während der Schulzeit stiegen die Söhne um 5.30 Uhr in der Früh die 700 Höhenmeter ins Tal ab und kamen nachmittags wieder hoch. „Mit der Bahn fahren war morgens keine Option, weil sie sonst zu spät gekommen wären“, erzählt Brigitte. „Wenn das Wetter ganz grauslig war, dann blieben sie bei der Schwiegermutter unten.“ Und wenn dann endlich Ferien waren, stiegen die Jungs die gut 400 Höhenmeter hinauf zum Säntisgipfel, „um Pommes mit Ketchup zu essen, mal ein richtiges Klo zu haben – und später dann, um Strom für den Laptop anzuzapfen“, erzählt Brigitte amüsiert.

Strom gibt es auf der Tierwis genauso wenig wie fließend Wasser. Die Materialseilbahn – eine der ältesten Europas – wurde in den 1940er-Jahren mit dem Motor eines VW Käfers aufgerüstet. Zuvor erfolgte der Materialtransport nur durch Muskelkraft. Auch alles andere ist hier oben einfach und minimalistisch und lässt deshalb so viel Raum für das Wichtigste: das Gefühl von Ruhe und Geborgenheit in dieser unglaublichen Lage.

Die Jungs sind inzwischen groß – drei von ihnen bereits volljährig – und auf Schulen und Universitäten verteilt. Auch Hanspeter ist als Bergführer meist unterwegs, aktuell im Wallis. „Fünf Männer habe ich“, sagt Brigitte, „und keiner ist da.“ Dafür aber ihr Neffe Lars, das „Mädchen für alles“, sowie Freunde aus dem Tal und dem bayerischen Allgäu.

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Nicht zu vergessen: die drei Katzen Floh, Salewa und Mammut. Ein- bis zweimal die Woche steigt auch Brigitte den steilen, steinigen Weg hinab ins Tal, weil doch immer wieder Termine anstehen. Diese mag sie gar nicht, ist sie doch von spontaner Natur – und das in allen Belangen: „Auch was es abends zu essen gibt, entscheide ich kurzfristig.“ An diesem Abend ist es eine wunderbar sämige Polenta, die in der warmen Abendsonne auf der kleinen Terrasse serviert wird.
 

Ein knackiger Salatteller mit Rösti.
Foto: Elias Holzknecht
Rösti aus dem Holzofen schmecken besonders gut.

Nur schön

„Das hast du gut gemacht“, versichert Werner Roth seiner Frau Helene und meint damit, dass sie bei ihrer Hüttenrecherche auf die Tierwis gestoßen ist. Die Gäste aus Aargau haben sich, wie könnte es anders sein, auf einer Hütte verliebt. „Wir kannten uns schon vorher, aber dort ist es passiert“, erzählt Helene. Sie ist Köchin und passionierte Alphornspielerin, er ist pensioniert und Strahler – ein Kristall- und Mineraliensucher. Seine Leidenschaft für die Steine keimte in ihm bereits im Alter von 16 Jahren.

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Mit seinen Kollegen war Werner früher ständig in der Welt der Dreitausender unterwegs, gerüstet mit Biwakzelt- und Strahlerutensilien. Doch der aus Kalkgestein und Mergel bestehende Säntis ist für den Strahler „absolut uninteressant“. Das hier „ist eben kein Steinhaufenkanton“, sagt Werner. Er macht eine Pause und zeigt hinab ins Appenzellerland: „Hier ist es nur schön. Grün und weit und offen.“ Der gesamte Tisch nickt und blickt hinaus in die weiche, wellige Weite.

Die Hüttenwirtin Birgit Schopp
Foto: Elias Holzknecht
Seit über zehn Jahren ist Birgit Schopp Hüttenwirtin – und kann noch immer herzlich lachen.

Seine Schürf- und Klopfwerkzeuge hat Werner zu Hause gelassen. Größer ist das Bedauern auf der Terrasse jedoch darüber, dass Helene ihr Alphorn nicht dabei hat. Ihr drei Meter langes Instrument nimmt sie sonst häufiger mit in die Berge, um es dort zu spielen „wo es sich am wohlsten fühlt und am schönsten klingt“. Doch der Anstieg zur Tierwis ist zu kräftezehrend, und morgen wartet ja noch die Kraxelei auf den Gipfel. Dieser ist von der Tierwis aus nicht zu sehen.

Das kleine Berggasthaus duckt sich in einer Mulde – vom Trubel auf dem Säntis ist so nichts zu spüren. Der ist mit seinen 2.502 Metern immerhin der höchste Gipfel des Alpsteinmassivs und mit seiner freistehenden Lage, der berühmten Wetterstation und der bequemen Seilbahn ein beliebtes Ziel.

Gut 400 Höhenmeter weiter unten dagegen ist die Stimmung entspannt und unaufgeregt. Das liegt vor allem an Hüttenwirtin Brigitte: Das eiskalte Wasser, in das sie vor zehn Jahren gesprungen ist, scheint ihr Element zu sein. Sie nickt. Sie scheut die Arbeit nicht, kann walten, schalten und gestalten. „Ich darf lieber, als dass ich muss“, sagt sie.

Der Natur unterwirft sie sich hingegen gern. Und auch der Gast muss sich der Tierwis fügen: Plumpsklo, kaltes Wasser im Waschraum, einfache Lager – da hört die Romantik auf. Wobei Helene und Werner sich das schmucke, aber knarzige Doppelzimmer gesichert haben.

Zwei Wanderer beim Aufstieg.
Foto: Elias Holzknecht
Die Aargauer Helene und Werner klettern über den felsigen Rücken des Grauchopfs von der Tierwis zum Säntis.

Freude und Vorfreude

Die Stube darunter besteht nur aus einem kleinen Raum, hinter der Theke reihen sich die Flaschen von lokalen Brauereien in Reih und Glied. Und an den Wänden erzählen Fotos Geschichten, viele schwarz-weiß, die meisten vergilbt. Die Tierwis blickt eben auf eine lange Geschichte zurück: 1871 beschließen die SAC-Sektionen Toggenburg und Säntis, einen Weg von der Schwägalp zum Säntisgipfel anzulegen. Als die Zelte der Arbeiter aufgeschlitzt und leergeräumt werden, wird eine erste einfache Schutzhütte gebaut und 1898 schließlich das Gasthaus errichtet.

Während am nächsten Morgen die Übernachtungsgäste erst nach und nach die knarrenden Treppenstufen in die Stube hinabsteigen, öffnet und schließt sich die Tierwis-Tür schon ab 6.30 Uhr immer wieder. Routiniert wird Platz genommen und bestellt. Es sei nicht außergewöhnlich, versichert Brigitte, dass viele Wanderer bereits so früh unten gestartet sind.

Denn ein traditioneller Tourentag der Appenzeller sieht folgendermaßen aus: Aufstieg in der Dämmerung, Sonnenaufgang und Frühstück auf der Tierwis und weiter über das Karrenfeld am Gratrücken des Grauchopfs zum Säntis – und von dort mit einer der ersten Bahnen zurück ins Tal. Brigittes liebste Tageszeit ist der Abend. „Wenn es ruhiger wird und du den Berg für dich hast. Die Menschen sind ins Tal abgestiegen, und die Tiere kommen raus.“

Und ihre liebste Jahreszeit? Der warm leuchtende Spätsommer. Brigitte liebt den Rhythmus der Natur. „Im Herbst“, sagt sie, „geht man gerne runter und im Frühjahr gerne hoch“. Ein Leben im Wechsel aus Vorfreude und Freude – in diese Vorstellung kann man sich gut verlieben.

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