Melde dich an und erhalte Zugang zu einzigartigen Inhalten und Angebote!


AnmeldenRegistrieren
Abonnieren

Zwischen Roseg-Gletscher und Silsersee

Aktuelles

3 Min.

25.08.2020

Foto: Martin Foszczynski

Anzeige

Anzeige

von Martin Foszczynski

Die Bergwelten-Online-Redaktion verlegt ihr Büro für eine Woche ins Schweizer Engadin. Am ersten Tag hat sie ihr Refugium am Fuße des Roseg-Gletschers bezogen und ist mit der höchstgelegenen Schiffslinie Europas zu den glücklichsten Ziegen der Schweiz getuckert.

Dass im Zug plötzlich eine Stimme aus den Lautsprechern ertönt, kennt man ja. Doch wenn diese Durchsage nicht etwa Anschlussverbindungen aufzählt, sondern in bester Reiseführer-Manier auf die nächsten landschaftlichen Highlights der Fahrstrecke aufmerksam macht, wird schnell klar, dass man nicht im alltäglichsten Fleckchen dieser Erde gelandet ist.

Das Fleckchen Erde heißt Engadin – mit 1.800 m Seehöhe eines der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas – und der Zug, mit dem wir von Chur aus durch etliche Tunneln und über filigrane Viadukte immer tiefer in dieses Hochtal im Schweizer Kanton Graubünden eindringen Bernina Express. Wir sind nach einer langen Nacht im Nightjet-Schlafabteil von Wien nach Chur noch ein wenig benommen, doch es reicht aus dem Panorama-Fenster zu blicken, um Glückshormone zu tanken. Die vorbeiziehende Landschaft aus dichtbewaldeten Hängen, Felsschluchten, Bergkegeln und Gletschern erinnert ein wenig an Kanada, wären da nicht immer wieder die spitzen Kirchtürme und schmucken Grand-Hotels inmitten aufgeräumter Feriendörfer. Zu Recht steht die Bahnstrecke zwischen Thusis und Tirano seit 2008 sogar auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.


Das Tal am Ende der Welt

Ziemlich genau bei der Hälfte dieser Strecke, in Pontresina, heißt es für uns aussteigen. Fast bereut man ein bisschen, dass einem die weitere Fahrt Richtung Piz Bernina (4.049 m) entgeht, doch spätestens im Sattel der E-Bikes, mit denen wir zu unserem Stützpunkt für die kommenden Tage aufbrechen, sind alle Bedenken verflogen. Immer tiefer rollen wir entlang des milchig blauen Gletscherflusses ins malerische Roseg-Seitental (Val Roseg), zu dem tagsüber Autos die Zufahrt verwehrt bleibt (im Gegensatz zu Straßenbreiten Pferdekutschen). Unser temporäres Büro liegt fast am Ende dieser prächtigen Nature-Sackgasse: das Hotel Roseg Gletscher, von dessen Terrasse man über den Laptop-Rand direkt auf den Roseg-Gletscher und die Sella-Gruppe samt Piz Roseg (3.937 m) blickt. Rechter Hand breitet sich fast ebenso imposant das berühmte Torten-Buffet des Hauses aus – keine Frage: Hier wollen wir bleiben!

Doch ebenfalls keine Frage: Wir wollen mehr von der Gegend sehen! Dazu bietet sich der nahe Silsersee an. Auf dem Weg dorthin fahren wir auch durchs berühmte St. Moritz mit seinen Hotel-Trutzburgen und Juwelier-Geschäften durch.

Was für ein Kontrast: Keine zehn Kilometer vom internationalen Ferien-Mekka der Reichen und Schönen finden wir uns in einer Abgeschiedenheit nordischen Ausmaßes wieder. Seit fünfzig Jahren tuckert Kapitän Franco Giani seine Fahrgäste in einem kleinen Schiff über den Silsersee – was anderes als Italienisch spricht er trotzdem nicht, sympathisch! Am See und der umliegenden Bergwelt kann sich der Betreiber der mutmaßlich höchstgelegenen Kursschifflinie Europas auch nach einem halben Jahrhundert noch nicht sattsehen.

 

Wir steigen in Isola aus – ein Ort, der nicht umsonst so heißt. Seine paar Bauernhäuser stehen auf einer Art Halbinsel im Silsersee, im Norden vom Petpreir (1.991 m), im Osten vom Maloja-Pass und im Süden vom Wasser begrenzt. Eigentlich ist „Ort“ übertrieben, denn im Großen und Ganzen leben hier eine Familie – und ziemlich genau einhundert Ziegen.


Insel der Seeligen

Wie lange man hier schon Käse herstellt, vermag uns Käsemeisterin Bettina Pedroni-Cadurisch (Schwester der Schweizer Profi-Biathletin Irene Cadurisch) nicht genau zu sagen. „Sehr lange“, jedenfalls, was die an Englische Küstengebiete erinnernden Begrenzungsmauern aus Stein auch nahelegen. Sie selbst ist seit 30 Jahren, also ihr ganzes Leben, auf der Insel – mittlerweile mit Mann und Kindern. Die Käserei hat sie von den Eltern übernommen und hat damit auch alle Hände voll zu tun.

Ihre Zieglein, darunter einige Bündner Strahlenziegen, werden jeden zweiten Tag gemolken – doch dazu muss man sie erst einmal einfangen. Die Tiere genießen größtmöglichen Freiraum – wenn sie nicht artig im abgegrenzten Bereich am Seeufer saftiges Gras kauen, treiben sie sich vermutlich irgendwo am Berghang herum. Wie könnte die Milch solcher Glückspilze nicht köstlich schmecken. Bis zu 70 Käseformen stellen Bettina und ihr Mann pro Tag her – und stets sind sie alle ausverkauft. Im Sommer helfen immer wieder Jugendliche aus, die das Hirtenleben auf Isola den Happy Hours von Ibiza vorziehen.

Vielleicht wollte uns Hotelbetreiber Wolfgang Pollak-Thom nach unserer E-Bike-Rückfahrt durch ein so kurzes, wie apokalyptisches Hagel-Gewitter besonders aufpäppeln – eher aber ist zu vermuten, dass im Hotelrestaurant alle Gäste so gut speisen wie wir. Jedenfalls werden uns abends endlos Köstlichkeiten aus der Region aufgetischt – vom Nudelgericht Veltliner Pizzoccheri über Sciatti, geschmolzener, von einer Buchweizen- und Bierpanier ummantelter Casera-Käse, bis zum Rinderschmorbraten. Dann erst lässt man uns auf das große Highlight, das Dessert-Buffet, los.

Man wundert sich, dass illustre Gäste aus der Vergangenheit wie Roger Federer nicht sofort ihre Karriere an den Nagel hängen mussten ob der süßen Verlockungen. Wir hingegen ergeben uns nach diesem langen Tag dem „Food Koma“. Ob wir uns zu unseren weiteren geplanten Abenteuern, wie der E-Bike-Tour durchs Engadin und einer Wanderung auf die Coaz-Hütte (2.610 m), jemals wieder aufraffen konnten, lest ihr demnächst hier.