The Horn: Ein Pilot und seine Projekte - Teil 5
Foto: Andrew Geraci / Red Bull Content Pool
von Sissi Pärsch
Der Chef von Air Zermatt ist einer der weltbesten Heli-Piloten und liebt seine Missionen. Er fliegt Stars und Patienten, leitet sein Team und bildet in Nepal Rettungsflieger aus. Gerold Biner leitet das Team der Air Zermatt und somit die Hauptdarsteller der RedBullTV-Dokumentation „The Horn“. Er ist mit seinen 53 Jahren bereits eine Piloten-Legende und sein Einsatzgebiet reicht bis in das Himalaya-Gebiet. Er rettet Menschen, er bildet aus und er fliegt Kofi Annan und Könige durch die Bergwelt. Kein Wunder, dass Gerold seine fliegerischen Erlebnisse inzwischen in einem Buch (Fliegen um Leben und Tod) zusammengetragen hat.
Bergwelten: Gerold, bei Dir ging es zwar nicht vom Tellerwäscher zum Millionär – dafür aber vom Fensterputzer zum Air Zermatt-Chef.
Gerold Biner: Ja, das mit dem Millionär hat nicht so geklappt, aber das war auch nicht das Ziel. Ich habe mir wirklich meinen Traum erfüllen können. Ich wollte schon als Kind unbedingt Helikopter fliegen. Die Piloten waren unsere Helden. Sie hatten mehr Ansehen als der Gemeindepräsident und der Dorfpfarrer zusammen. Ich habe viel Sport gemacht und war auch auf dem Sprung zum Eishockey-Profi. Aber ich entschied mich für die Flugausbildung. 1983 fing ich bei Air Zermatt an.
Heute bist Du einer der renommiertesten Flugretter der Welt mit über 12.000 Rettungsflugstunden. Wird das niemals eintönig?
33 Jahre mache ich das jetzt und eines war es nie: langweilig! Ich bin absolut süchtig nach Fliegen. Meine Frau sieht auf den ersten Blick, ob ich an dem Tag fliegen war, wenn ich abends nach Hause komme. Ich bin ein Kerosin-Süchtiger. Und zudem ist der Beruf des Rettungsfliegers absolut unberechenbar. Wir wissen niemals, was passieren wird.
Dazu kommt, dass Ihr auch kommerziell fliegt. Das ist sicher wieder etwas ganz anderes?
Absolut. Wir sind auch wichtige Dienstleister der Region. Wir versorgen unter anderem die Hütten und fliegen natürlich auch Privatpersonen.
Und? Schon ein paar Promis geflogen?
Natürlich.
Dürfen wir Namen hören?
Kein Problem. Das reicht von Staatsmännern wie Kofi Annan über die Königin von Schweden bis hin zu den Hollywood-Stars wie Nicole Kidman. Robbie Williams habe ich nicht erkannt – was meine Töchter zum Kopfschütteln gebracht hat. Paul McCartney hat bei uns auf der Station Kaffee getrunken und davon geschwärmt, wie schön es ist, einfach unerkannt in der Liftschlange anzustehen. Und Richard Branson habe ich auf die Jungfrau geflogen.
Den Chef von Virgin auf die Jungfrau. Das klingt sehr abwechslungsreich. Aber Dein Herz gehört der Rettungsfliegerei. Ihr habt sogar eine Ausbildungsstätte in Nepal aufgebaut?
Es ist eine lange Geschichte, aber eine, die uns allen sehr am Herzen liegt. 1999 durfte ich das erste Mal im Himalaya-Gebiet fliegen. Unter anderem haben wird dort mit Willy Bogner gedreht. In dieser Höhe kann man die Techniken extrem gut verfeinern. 2005 kam es dann zu unserem ersten Rettungseinsatz am Nanga Parbat.
Ihr habt Tomaž Humar nach sechs Tagen in der Wand gerettet. Er war einer der slowenischen Nationalhelden und die Rettungsaktion lebensgefährlich.
Wir konnten ihn aus 6.000 m Höhe retten. Leider gelang uns das vier Jahre später am Langtang Lirung nicht mehr, wo wir Tomaž nur noch tot bergen konnten. Über die Einsätze kam der Gedanke, in Nepal eine Rettungsstation aufzubauen und ein Ausbildungsprogramm zu lancieren. Wir haben ein System entwickelt, das auch im Everest angewendet werden kann, sind jedes Jahr über Wochen vor Ort und holen die nepalesischen Piloten auch zu uns nach Zermatt. Die Herausforderungen sind groß und zahlreich, ob flug- oder verwaltungstechnisch.
Ob am Everest oder am Matterhorn: Wie geht Ihr mit schwierigen Erlebnissen um?
Axel, unser Arzt, sagt immer: „Du musst emotionslos sein im Einsatz.“ Nur so können wir unseren Job mit all der geforderten Konzentration erledigen. Bei der Nachbesprechung analysieren wir dann den Vorgang. Und abends im Bett gehen dir manchmal die Sachen durch den Kopf. Aber generell sind wir schon auch Meister im Verdrängen. Schublade auf, rein mit den negativen Bildern, Schublade zu. So hast du wieder Kraft für den nächsten Einsatz. Man hofft, dass die Zeit die Wunden heilt. Aber natürlich wissen wir heutzutage sehr wohl, dass es so einfach nicht ist.
Das heißt?
Wir müssen Auf- und Verarbeiten. Einer der schlimmsten Erfahrungen war das Busunglück einer belgischen Schulklasse im Sierre-Tunnel 2012. Es kamen 28 Kinder ums Leben. Obwohl wir schon so viel gesehen haben in unserem Berufsleben, war das der absolute Horror. Einer unser Top-Rettungssanitäter fiel danach in ein tiefes Loch. Wir haben viel geredet. Nach drei Wochen hatte er sich wieder einigermaßen herausgearbeitet. Es ist schwer. Aber es gibt schließlich auch die zig positiven Erlebnisse.
Erfahrt ihr, wie es den geretteten Leuten nach dem Unfall geht?
Wenn der Einsatz außergewöhnlich war, fragt man natürlich nach ein paar Tagen, wie es dem Patienten geht. Aber normalerweise siehst du die Menschen nie wieder und hörst auch nichts mehr. Du lernst sie in einer sehr schwierigen Situation kennen und niemand erinnert sich gerne an den Moment, in dem man so hilflos war. Vielleicht kommen 1% der geretteten Leute uns besuchen oder sagen Danke. Aber das ist unser Job, das ist absolut in Ordnung.
TV-Tipp
Alle Folgen von „The Horn“ könnt ihr hier ansehen.
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