Warum steigen wir auf Berge?
Im Jahr 1953 erreichten der neuseeländische Bergsteiger Sir Edmund Hillary und der nepalesische Sherpa Tenzing Norgay erstmals den Gipfel des Mount Everest (8.848 m). Als Hillary einmal gefragt wurde, warum er auf hohe Berge steigt, gab er ganz lapidar zur Antwort: „Weil sie da sind.“ Er hätte auch sagen können: Weil halt. Aber: Wie plausibel ist diese Begründung eigentlich? Ist sie überhaupt ein Grund im herkömmlichen Sinne?
Die Frage, die sich im Zusammenhang mit Hillarys „Weil halt“-Aussage stellt, ist doch, ob wir Dinge tun, weil sie möglich und machbar sind – oder weil wir sie begehren und wollen. Es ist durchaus denkbar etwas zu wollen, das nicht möglich oder nicht „da“ ist – zu fliegen zum Beispiel oder in einer Welt aus Schokolade zu leben.
Die Berge hingegen sind wirklich da und ihre Besteigung ist zumindest theoretisch möglich. Das allein macht aber noch keinen Grund aus. Allein das Vorhandensein von etwas reicht noch nicht aus, es uns auch wollen zu lassen. Sagen wir zum Beispiel, es gäbe fortan Honig mit Lebergeschmack. Fraglich, ob allein das Vorhandensein dieses Leber-Honigs ausreichen würde, ihn auch begeistert nachzufragen.
Eine mögliche Wirklichkeit
Es ist wahrscheinlicher, dass Hillary gar nicht erst die Absicht hatte einen Grund für sein Wollen anzuführen. In der fast schon trotzigen „Weil halt“-Begründung steckt hingegen ein anderer interessanter Aspekt, der für sich allein schon ein Grund ist: die Neugier. Etwas ist da, das man will, weil es Neuland ist. Die Berge da. Und es ist möglich, sie zu besteigen – oder es zumindest zu versuchen. Allein diese Möglichkeit, dieses Prinzipiell-Mögliche, vermag Verlangen zu wecken.
Sir Hillary mag sich herausgefordert gesehen haben. Vielleicht wollte er sich mit den Grenzen des menschlichen Vermögens messen und herausfinden, wozu und bis zu welchem Grad ein Mensch überhaupt fähig ist – wozu er in der Lage ist und wo er definitiv ans Ende des Machbaren stößt. Und das alles einfach nur, weil es möglich ist. Es ist möglich, herauszufinden, wie weit ein Mensch gehen kann – wenn auch zu einem hohen Preis. Sir Hillary hat ihn in Kauf genommen. Er hat hoch gepokert – und gewonnen. Es sind vielleicht weniger die Berge, die uns herausfordern, als das, was sie verheißen: Eine Möglichkeit, die schillernde Wirklichkeit werden könnte.
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