Weglose Einsamkeit auf dem höchsten Berg Liechtensteins
Foto: Peak Art Images
von Magdalena Kalus und Anja Kaiser
Die Vordere Grauspitze ist mit 2.599 m der höchste Berg des Fürstentums Liechtenstein und der sechste Gipfel, den wir im Rahmen unseres Seven European Summits Projektes besteigen wollen. „Vordere – was?“, werden wir häufig gefragt, wenn wir vom niedrigsten und sicherlich auch unbekanntesten Gipfel unseres Projekts sprechen. Der höchste Punkt Liechtensteins wird manchmal auch Vordergrauspitz oder einfach nur Grauspitz genannt und liegt im Rätikon an der Grenze zur Schweiz.
Eine Woche ist seit den „großen Drei“ vergangen und wir sind schon wieder unterwegs. Wieder geht es in die Schweiz, obwohl wir eigentlich den höchsten Berg Liechtensteins besteigen wollen. Dessen „Normalweg“ führt von Malans, einer kleinen Dorfgemeinde im Schweizer Kanton Graubünden, zu Fuß über die schweizerisch-liechtensteinsche Landesgrenze.
Wir nehmen die erste Älplibahn des Tages, eine urige Luftseilbahn aus dem Zweiten Weltkrieg, die mit zwei winzigen Vierergondeln acht Personen pro Fahrt befördern kann und uns in 14 Minuten auf 1.801 m bringt – ein kultiges Erlebnis, schon vor dem Start der eigentlichen Wanderung. Der Wirt der Malanser Alpe an der Bergstation warnt uns: Es hat bis zu 40 cm Neuschnee im Rätikon und „bisher haben die alle wieder umdreht“. Wir hatten uns auf eine einfache sommerliche Wanderung eingestellt, sollten aber bald eines Besseren belehrt werden.
Bereits wenige Minuten nachdem wir die Bergstation hinter uns gelassen haben, öffnet sich der Blick auf den „Falknis“, einen der Parade-Aussichtsgipfel über Graubünden – und der ist wahrlich ziemlich weiß! Bis dato hatten wir den nicht unbeachtlichen Neuschnee zu verdrängen versucht, aber nun wird uns schlagartig bewusst, dass dieser Gipfel kein Spaziergang werden wird. Während wir im Heidiland noch über blumige Almpfade wandern, spitzt die Grauspitze immer wieder in weiß-pudrigem Kleide hinter den Hügeln hervor.
Unser Weg führt über unbewirtschaftete Almen, durch Kuhherden und hin zum malerischen Unterst See, der den Grauspitzen direkt zu Füßen liegt. Derer gibt es nämlich zwei: Die hintere Grauspitze ist der Nachbar des höchsten Berges Liechtensteins und kann bei dessen Besteigung und mit etwas Klettererfahrung überschritten werden. Das zu Anfang perfekte Bergwetter wird den Bedingungen am Gipfel entsprechend nicht besser und wir beeilen uns, die Alpe Ijes zu erreichen – jene Alm, an der alle Wege enden und wir uns auf unser Auge und bergsteigerisches Gespür verlassen müssen. Wegelos von allen Seiten geht es nämlich auf den Höchsten des Fürstentums.
Der erste und letzte Mensch, den wir auf unserem Weg fernab der Seilbahn treffen, ist der Besitzer der Alpe Ijes, der heute zufällig den ersten Tag der Saison hier oben ist. Zu viel Schnee habe es und ob wir Eispickel dabei hätten und „total verrückt“ wären, fragt er uns. Wir machen gute Miene zum bösen Spiel und gehen entschlossen weiter. Die grasbewachsenen Hänge werden steiler und der Schnee nimmt zu – so kommen wir nur langsam voran. Ohne Stöcke wären wir hier aufgeschmissen gewesen.
Langsam, aber stetig spuren wir uns unseren Weg durch den immer tiefer werdenden Schnee. Zugegeben: Spaß macht das nicht wirklich. Bereits nach kurzer Zeit sind wir beide nahezu komplett nass und es wird kalt. Nicht Stehenbleiben lautet die Devise, auch mit Blick auf den immer dichter werdenden Nebel im Gipfelbereich. Plötzlich treffen wir doch noch jemanden in dieser wegelosen Einsamkeit: Eine große Herde Steinböcke steht auf einem Plateau direkt über uns und wirkt ziemlich verwirrt ob unserer Anwesenheit an diesem einsamen Berg.
Ein paar Meter gehen wir gemeinsam, bevor die Trittsicherheit der Paarhufer uns die menschlichen Grenzen aufzeigt. Bei dem Aufstiegstempo kommen wir beim bestem Willen nicht hinterher.
Deutlich nach den Steinböcken erreichen wir den Grat, der sich zu den Grauspitzen zieht. Mittlerweile ist die Schneedecke lückenlos und es windet. Über die hintere Grauspitze zu klettern wäre bei diesen Bedingungen tatsächlich verrückt, daher steigen wir durch die verschneite Süd-Ost Flanke erst ein Stück vom Grat ab und dann zwischen den beiden Gipfeln wieder auf. Auch das ist kein einfaches Unterfangen und die Grauspitze wird entgegen unseren Erwartungen zur anstrengendsten Tour und größten Herausforderung unseres Projekts.
Zwischendurch haben wir selbst nicht mehr wirklich daran geglaubt, aber nach unzähligen rutschigen Metern im Schnee sind wir am höchsten Punkt Liechtensteins angekommen. Ein Blick auf die Uhr und die sinkenden Temperaturen lassen allerdings keinen Raum für Pause. Wir haben aufgrund der enormen Schneemengen 3 Stunden länger als geplant gebraucht. Zum Teil auf dem Hosenboden sitzend steigen und „rutschen“ wir wieder ab. Zum Glück erinnert man sich an der Bergstation noch an uns und nimmt uns mit der wirklich allerletzten Mitarbeiterfahrt mit zurück ins Tal. Platt und müde können wir jetzt wieder lachen. Das könnte aber auch an dem leckeren Kuchen liegen, den wir in der Gondel noch zu essen bekommen.
Unsere Tour auf den – zu Unrecht – viel zu wenig beschriebenen und begangenen Gipfel der Grauspitze hat wirklich einiges zu bieten. Neben traumhaft klaren Bergseen und filmreifen Heidi-Kulissen sind schon die Fahrt mit der Älplibahn und der Kuchen auf der Malanser Alpe lohnende Höhepunkte. Vielleicht kommen wir bei besseren Bedingungen wieder, aber jetzt winkt erst einmal der letzte der Seven European Summits: TRIGLAV, wir kommen!
Alle Fotos: Peak Art Images
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