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Birch Mountain: Durch die Wildnis Kanadas

Reise

7 Min.

08.11.2021

Foto: Katja Wegerer und Bernd Hofmaier

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Der Birch Mountain mag mit seiner Höhe von 2.062 m vielleicht nicht zu den höchsten oder beeindruckendsten Bergen auf dieser Erde gehören. Dennoch ist er die weltweit höchste Erhebung, die auf einer Insel und in einem Süßwassersee liegt. Das macht ihn allemal zu etwas ganz Besonderem, finden die begeisterten Outdoor-Reisenden Katja Wegerer und Bernd Hofmaier, die den unbekannten Gipfel 2018 mit Machete, Bärenspray und einigen Schwierigkeiten bestiegen haben.

Unser Ziel liegt auf Teresa Island im Atlin Lake, einem 145 km langen, natürlichen See in der kanadischen Provinz British Columbia. Der einzige Zugang zum See ist die 500 Einwohner Ortschaft Atlin, die nur vom Yukon-Territory aus über eine einzelne 100 km lange Straße erreichbar ist. Der Atlin Lake wird durch den Llewellyn Glacier, einen Gletscher des Juneau Icefields, gespeist und gilt als Ursprung des Yukon Rivers.


Tag 1: Mit Machete und Bärenspray zum Atlin Lake

Wir sind am Vorabend mit dem Boot auf Teresa Island angekommen und haben unser Basislager aufgeschlagen. Während dem Frühstück packen wir die letzten Sachen, schultern die voll bepackten Rucksäcke und gehen über das steinige Ufer zum Lawinenschlauch, den wir als Start unserer Route gewählt haben. Die Weiden dort sind in den Jahren, nachdem die Lawine abging, wieder ordentlich gewachsen – da kommen wir auch mit der Machete nicht so einfach durch. Also ab in den Wald daneben. Wir wollen möglichst an der Grenze zwischen Wald und Weidenbüschen bleiben, vielleicht werden die Weiden weiter oben etwas lichter und mit der Orientierung ist es so auch etwas einfacher.

Der fluffige Moosboden gibt ziemlich nach unter unseren Füßen, die abstehenden Äste der Fichten versperren einem teilweise den Weg, also gehen wir in kleinen Schlangenlinien bergauf. Zwischendurch kreuzen wir kleine, aber gut ausgetretene Pfade von Tieren und als ich über den ersten Bärenhaufen stolpere, werde ich doch ein bisschen nervös. Der Wald wird dichter, wir haben uns schon ein gutes Stück vom Lawinenschlauch entfernt und kommen schlechter voran. Bernd arbeitet sich langsam vor mir mit der Machete bergauf und ruft zwischendurch „Wo ist der Bär?“ in den Wald. Ich höre gespannt ob irgendwo ein Schnaufen oder Knacken als Antwort kommt. Nichts. Die Stille hier ist dumpf, unsere Geräusche kommen hier nicht weit – besonders wohl fühle ich mich in diesem Wald eindeutig nicht. Ich merke, dass auch Bernd nicht mehr ganz so entspannt ist.

Laut GPS brauchen wir eine Stunde für 100 Höhenmeter, das ist alles andere als schnell. Trotzdem arbeiten wir uns weiter vorwärts, dann eben langsam. Immer wieder liegen ganze Fichten kreuz und quer im Wald, Überbleibsel der Lawine, die hier auf einem Streifen von 80 bis 90 Metern den gesamten Wald mitgenommen hat – ziemlich unpraktisch mit einem großen Rucksack! Nachdem wir endlich die letzten vereinzelt stehenden Bäume hinter uns gelassen haben, legen wir erleichtert eine Pause ein – das anstrengendste Stück ist geschafft.

Wir schultern noch einmal die Rucksäcke und marschieren weiter, queren dabei kleine Schneefelder und klettern über die Reste von Geröllmuren. Die Schulter des Berghanges, bis zu der wir vom See aus sehen konnten, rückt näher. Der Plan ist, hinter diesem Hang nach einem Schlafplatz Ausschau zu halten, dort sollte es etwas flacher und windgeschützter sein. Als wir die Anhöhe erreichen, wird uns klar, dass wir richtig geplant haben – eine von Hängen umringte Ebene mit einer kleinen Baumreihe liegt vor uns, ein perfekter Schlafplatz!

Wir bauen das Zelt und den Bärenzaun auf und beginnen den ersten Topf voll Schnee für unser Abendessen zu kochen. Vor uns erstreckt sich der Atlin Lake auf insgesamt 145 km Länge in zwei Richtungen: Einerseits in den Norden, mit dem markanten Mount Minto am Seeende und andererseits in Richtung Südwesten zum Llewellyn Glacier, dem Ursprung des Yukon.


Tag 2: Am höchsten Punkt von Teresa Island

Der Morgen beginnt sonnig, aber recht kühl. Nachdem wir den ersten Hang neben dem Zelt hinter uns gelassen haben, erstreckt sich vor uns eine riesige Hochfläche, von der sich sanft ein Grat erhebt – das ist unsere Route. Nach einigen Stunden Wanderung fällt der Grat leicht zu einem ausladenden Sattel ab, dahinter erhebt sich imposant die teilweise noch schneebedeckte Gipfelpyramide. Von hier aus wird uns klar, dass der letzte Anstieg nur von Weitem den Eindruck vermittelte fest zu sein, tatsächlich stehen wir aber vor einem 300 Meter hohen Schutthaufen. Vorsichtig arbeiten wir uns die letzten Meter aufwärts.

Bernd kommt als Erster oben an und als ich auch endlich auf das kleine Gipfelplateau steige, fange ich an, breit zu grinsen. Umringt vom blauen Wasser des Atlin Lakes stehen wir gerade wirklich am höchsten Punkt von Teresa Island! Im Nordosten ist Atlin nur noch als winzige Ansammlung von Häusern erkennbar, im Südwesten blickt man auf eine unendlich wirkende Bergwelt mit dem beeindruckenden Llewellyn Glacier im Zentrum.

Am Rückweg erreichen wir relativ bald den Sattel, von dem wir gekommen sind, entscheiden uns hier aber nicht wieder über den Grat zurückzugehen, sondern weiter in den Kessel vor dem Gipfel abzusteigen, um von dort aus die komplette Hochebene in Richtung Zeltplatz zu queren. Wir steigen über ein großes Schneefeld in den Kessel hinunter und kreuzen eine breite Rinne voll mit Felsbrocken. Der aus losen Gesteinsplatten bestehende Boden hier wird Bernd zum Verhängnis – er stürzt, verdreht sich das linke Knie und kann es danach kaum noch abwinkeln.

Es hilft nichts, wir müssen trotzdem weiter absteigen, zum Glück ist es nicht mehr weit hinunter in den Kessel und auf der Hochebene geht es recht flach dahin, dort sollte es dann besser gehen.  Langsam bewegen wir uns die vorerst letzten Meter bergab und legen unten angekommen eine kleine Verschnaufpause ein. Der Marsch danach bis zurück zum Zeltplatz kostet uns extrem viel Zeit, umso glücklicher sind wir, als wir endlich dort ankommen.


Tag 3: Mit kaputtem Knie durchs Grizzly-Reservat

In der Nacht hatte es wohl Minusgrade, alles ist mit einer hauchdünnen, schimmernden Eisschicht überzogen. Wir sind keine zwei Minuten unterwegs, als Bernd wieder schmerzerfüllt zu schnaufen beginnt – sein Knie macht es ihm fast unmöglich, normal zu gehen. So kommen wir kaum voran, die ersten 50 Höhenmeter kosten uns eine volle Stunde und wir haben immer noch 700 Höhenmeter Abstieg vor uns. Ich nehme Bernd das Zelt ab und schnalle es auf meinen Rucksack um die Belastung auf sein Knie zu verringern. Wir erreichen die Baumgrenze und der moosige Boden des Waldes scheint für Bernds Knie etwas angenehmer zu sein, er beschleunigt seinen Schritt ein bisschen. Wir passieren erstaunlich schnell den dichtesten Teil des Waldes und bewegen uns dabei immer in der Nähe unserer Aufstiegsroute.

Als wir einem der gut ausgetretenen Tierpfade für eine Weile folgen, stolpern wir über einen großen Bärenhaufen. Er hat in etwa den Durchmesser eines sehr stattlichen Kuhfladens und ich kann nur vermuten wie riesig das Tier ist, das so einen Haufen hinterlässt. Bernd meint nach einem prüfenden Blick: „Ein bis zwei Tage alt“. Gut, der Bär ist vermutlich schon am anderen Ende von Teresa Island. Wir halten uns noch ein wenig an den Pfad, er ist angenehmer zu gehen als kreuz und quer durch den Wald. Mein Blick schweift regelmäßig über den Boden, einerseits um nicht zu stolpern, andererseits um etwaige Spuren zu entdecken – und siehe da: Im weichen Moos zeichnet sich klar eine mächtige Bärentatze mitsamt Krallen ab. Ich spüre, wie sich langsam doch ein bisschen die Nervosität in mir ausbreitet. Der Bär, der hier unterwegs war, ist eindeutig nicht von der kleinen Sorte – der Fußspur nach zu urteilen, muss es ein stattlicher Grizzly sein. Und wir marschieren hier vermutlich mitten durch sein Revier, zwei Menschen im Nirgendwo, einer davon auch noch mit einem verletzten Bein.

Plötzlich bleibt Bernd vor mir stehen, sein Blick fixiert einen weiteren massiven Bärenhaufen. Er dreht sich zu mir um und sagt: „Jetzt müssen wir aufpassen, der ist von heute!“. Mein Herz beginnt wilder zu schlagen als mir lieb ist und ich kontrolliere, ob das Bärenspray am Brustgurt meines Rucksacks griffbereit ist.

Wir erhöhen unser Tempo trotz Bernds Knieproblem und legen in den kommenden Stunden einiges an Wegstrecke zurück. Bär taucht dabei zum Glück keiner auf. Ich weiß wirklich nicht, wie Bernd diese Etappe in dieser Geschwindigkeit meistern konnte, ich selbst hatte trotz zwei gesunder Beine ordentlich zu kämpfen. Immer wieder müssen wir über umgefallene Fichten klettern, teilweise geht es sehr steil bergab oder die Bäume stehen so dicht, dass man sich durchzwängen muss – alles mit ca. 20 kg auf dem Rücken.

Bernd checkt regelmäßig das GPS, da Orientierung auf Sicht unmöglich ist und meint wir müssten eigentlich bald den See erreichen. Diese Aussicht scheint ihn anzuspornen, denn er wird noch einmal etwas schneller. Ich versuche mitzuhalten, aber das Gewicht des Rucksacks, das immerhin fast die Hälfte meines Eigengewichts ausmacht, zollt nach mehreren Stunden Abstieg durch weglose Wildnis seinen Tribut: Ein übereilter Schritt im steilen Gelände, die dünne Moosschicht gibt unter meinem Fuß nach und ich rutsche direkt in die abstehenden Äste einer umgefallenen Fichte. Noch während ich versuche mich aus dem Wirrwarr, in das ich hinein geschlittert bin, zu befreien, höre ich Bernds erleichtertes Rufen: „Ich kann den See sehen, wir haben’s gleich geschafft!“.

Das letzte Stück legen wir fast im Laufschritt zurück und abrupt stehen wir am Waldrand, nur noch ein drei bis vier Meter hoher, fast senkrechter Hang trennt uns vom steinigen Ufer des Atlin Lake. Bäuchlings rutschen wir hinunter, marschieren überglücklich zurück zu unserem Zelt im „Basislager“, werfen die Rucksäcke auf den Boden und plumpsen in die Campingsessel, die Bernds Eltern schon für uns bereit gestellt haben.

Ich atme tief durch und beginne zu lächeln, wir haben es geschafft, wir haben die vermutlich erste dokumentierte Besteigung des Birch Mountain gemeistert!

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Infos und Adressen: Atlin, British Columbia, Kanada

Anreise und Reisezeit:

Die Fluglinie Condor bietet einen Direktflug von Frankfurt nach Whitehorse im Yukon Territory. In Whitehorse nimmt man sich einen Mietwagen, um nach Atlin zu gelangen. Die circa zweistündige Fahrt über 180 km führt einen entlang des Alaska-Highway, von dem man am „Jake’s Corner“ auf die Atlin Road, die einzige Verbindung in die kleine Ortschaft, abzweigt.

Die beste Reisezeit ist der nordkanadische Sommer, also die Monate Juni bis September. In dieser Zeit sind die Temperaturen angenehm und es gibt ausreichend Licht – im Winter gibt es täglich nur ein paar Sonnenstunden und durch den vielen Schnee ist Atlin manchmal mehrere Tage von der Außenwelt abgeschnitten.

Es empfiehlt sich trotz moderater Temperaturen im Sommer warme Kleidung, idealerweise nach dem Zwiebelprinzip, im Gepäck zu haben. Außerdem mit dabei sein sollte festes Schuhwerk, Regenjacke und robuste Outdoor-Bekleidung.

Die Umgebung um Atlin, insbesondere der Atlin Lake selbst, ist ein Paradies für Liebhaber der unberührten Natur.

Unterkünfte:

Heliskiing:

Sonstiges: