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Griechische Koryphäen: Wandern auf Korfu

Reise

6 Min.

26.07.2021

Foto: Philipp Horak

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Meer oder Berge? Sowohl als auch. Korfu, die Insel, die schon Österreichs Kaiserin Elisabeth liebte, entwickelt unerwartete Reize auch für den ambitionierten Wanderer: etwa die Bezwingung eines Bergriesen im Bonsaiformat.

Text: Andreas Wollinger, Fotos: Philipp Horak

Die kleine Kapelle steht auf einem Felsbalkon rund 650 Meter über dem Meeresspiegel, und in diesem Fall darf man die übliche Höhenangabe wortwörtlich nehmen: Der Blick fällt über einen schwindelerregenden Abhang auf das Meer tief unten, die Häuser in den Buchten sehen aus der Ferne aus wie Kieselsteine.

Mönche haben diese Kapelle im 14. Jahrhundert errichtet, inzwischen fehlt das Dach, und die Heiligen auf den Wänden sehen schon ein wenig blass aus. Davor weht die blau-weiße Flagge Griechenlands an einem windschiefen Mast. Er ist bereits mehrmals behelfsmäßig repariert worden – wohl ein Zeichen dafür, dass dies ein ziemlich exponierter Ort ist. Der Anblick der Kapelle löst bei vielen Wanderern das Bedürfnis aus, ein Dankgebet zum Himmel zu schicken: Sie ist nämlich eine wichtige Wegmarke bei der Bezwingung von Korfus höchstem Gipfel, dem Pantokrator. Wer einmal bis hierher gekommen ist, hat den anstrengendsten Teil schon hinter sich, den steinigen Anstieg über die Ostfanke des Massivs. Er ist alles andere als ein Spaziergang: Ein steiler Pfad windet sich, gesäumt von urwaldmäßigem Dickicht, vom Dorf Spartilas im Norden der Insel aufwärts, was zunächst einmal eine Stunde Naturtreppensteigen bei erhöhtem Puls bedeutet. Das fordert den geübten Wanderer und den konzentrierten Schritt, in Strandlatschen kommt man hier nicht weit.


Herrscher über alles

Der Name des Berges klingt nicht nur wie ein schrecklicher Gegner in einer Pokémon-Schlacht, auch die Übersetzung aus dem Griechischen ist furchteinflößend: Pantokrator ist der „Herrscher über alles“. Bloß seine Höhe ist nicht ganz so wild: 911 Meter. Das sollte ohne zusätzlichen Sauerstoff zu schaffen sein. Wandern mag nicht das Erste sein, was einem einfällt, wenn man an eine Reise nach Korfu denkt. Oberflächlich betrachtet rangiert Korfu in der Kategorie griechische Insel, Unterabteilung Strandurlaub. Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. „Man sagt, dass sich der Name Korfu vom griechischen Wort Koryphäe – das bedeutet Gipfel oder Spitze – herleitet“, erklärt Wanderführerin Christina Theokas, die für das Innsbrucker Reisebüro ASI arbeitet und jeden Winkel des Eilands kennt, „das kommt daher, dass die Insel von sechs Bergen geprägt wird, die alle über 400 Meter hoch sind.“

Gut, diese Höhen machen jetzt nicht atemlos, dennoch sind die Berge Korfus nicht nur sanfte, harmlose Hügel. Sie ragen unmittelbar hinter der Küste jäh empor und haben alles, was ausgewachsene Gebirge haben: schroffe Felsen, unwegsame Schluchten und gefährlich aussehende Abhänge – ein Anblick wie die Filmkulisse einer Osttiroler Wilderersage. Dieses Phänomen kennt man ja auch von anderen Inseln, und es macht einen Teil ihres Reizes auf den Reisenden aus. Sie zeigen die ganze landschaftliche Vielfalt dieser Welt, aber aufgrund ihrer begrenzten und angenehm überschaubaren Ausdehnung in einem deutlich verkleinerten Maßstab.

Das ergibt eine erstaunlich abwechslungsreiche Topographie: Auf den 60 Kilometern zwischen nördlichem und südlichem Ende finden sich nicht nur Bergriesen im Bonsaiformat, sondern auch allerhand verträumte Buchten, ein romantisches Hochtal im Landesinneren, eine Süßwasserlagune mit Vogelschutzgebiet oder – ganz am südwestlichen Ende – Sandstrände mit Dünen.

Ein hunderte Kilometer langes Wanderwegenetz verbindet all diese Schönheiten, wenngleich es gute Karten sowie ein wenig pfadfinderisches Talent braucht, diesem auch ohne Verirrungen zu folgen: Die Beschilderung ist etwas nachlässig, und speziell am Anfang der Saison sind die Pfade nicht leicht zu finden, weil sie über den Winter zugewachsen sind. „Es ist nicht erst einmal passiert, dass wir unsere Wanderwege ausschneiden mussten“, erzählt Guide Christina lachend.

Sei’s drum. Auf die klassische Entweder-oder-Frage „Berge oder Meer?“ kann es nun eine Sowohl-als-auch-Antwort geben: Die Insel ist jedenfalls klein genug, um das Meer nie aus den Augen zu verlieren (was nebenbei die Orientierung erleichtert). Vermutlich war es genau diese famose Mischung, die auch die österreichische Kaiserin Elisabeth Ende des 19. Jahrhunderts betörte: Korfu war ihr erklärter Lieblingsort, sie ließ sich einen prächtigen Ferienpalast („Achilleion“) mit eigener Schiffslandebrücke sieben Kilometer südlich der Inselhauptstadt bauen. „Korfu ist ein idealer Aufenthalt“, schwärmte Sisi, „Klima, Spaziergänge im endlosen Olivenschatten, gute Fahrwege und die herrliche Meeresluft, dazu den prachtvollen Mondenschein.“


Orchideen, Ginster, Gladiolen

Nach der Rast auf dem Felsbalkon vor der Kapelle (von dem aus man übrigens auch die Küste von Albanien sehen kann, sie ist nicht einmal vier Kilometer entfernt), wenden wir uns wieder dem Gipfel zu. Zum Greifen nah wirkt der Steinkegel des Pantokrator, doch das ist – wie so oft – nur eine optische Täuschung: Zwei Drittel des Weges liegen noch vor uns. Zuerst durchqueren wir eine verkarstete Hochebene, bevor wir wieder in einen schattigen Märchenwald eintauchen. Voll aufgedrehter Frühling, die Vögel singen ein Hochamt, es duftet nach frischen Kräutern (Rosmarin, Thymian oder Oregano lassen sich hier am Wegesrand pflücken), und die Luftfeuchtigkeit hat beinahe tropische Ausmaße.

Auch auf diesem Gebiet entspricht die nördlichste der Ionischen Inseln nicht den gängigen griechischen Klischees. Aufgrund der Lage zwischen dem Absatz des italienischen Stiefels und dem griechischen Festland herrscht ein Klima, das für viel Regen und damit für eine verschwenderische Vegetation sorgt. Korfu ist fast durchgängig von einem dicht gewebten Pfanzenteppich bedeckt: jede Menge Wälder, dazwischen die charakteristische Federkielform von Zypressen, wilde Orchideen, Ginster und Gladiolen.

Und natürlich Olivenbäume, Millionen davon. Als die Venezianer das Sagen auf Korfu hatten (außer ihnen waren hier noch Franzosen und Engländer am Hebel, was der Insel zusätzlich eine interessante Note verleiht), bezahlten sie den Korfioten pro Hundert gepflanzter Olivenbäume eine Goldmünze. Das sei eine strategische Maßnahme gewesen, erzählt Guide Christina. „Man konnte sich besser verstecken.“ Am Ende sorgte dieser taktische Vorteil auch dafür, „dass Korfu nie von den Osmanen erobert werden konnte“, sagt Christina, und in ihrer Stimme schwingt unüberhörbar Genugtuung mit.


Kaum Griechen in den Bergen

Christina hat einen überaus charmanten Wiener Akzent in ihrem Deutsch, was daran liegt, dass Mama Wienerin und Papa Grieche ist. Außerdem war sie bis vor kurzer Zeit als Leichtathletin Hochleistungssportlerin. Man kann also sagen: für den Job der Wanderführerin auf Korfu eine Idealbesetzung.

Es ist überraschend einsam auf dem Weg auf das Dach der Insel. Gut, es ist Frühling und damit noch sehr zeitig in der Saison. Aber Christina meint, viel mehr Menschen treffe man hier auch in der Hochsaison nicht. Hauptsächlich Touristen – Engländer, Franzosen, Deutsche und Amerikaner – seien in den Bergen unterwegs. Weil: „Die Griechen haben es nicht so mit dem Wandern.“

Was das Wandern anbelangt, mag das ja stimmen. Wenn es aber um den Berg als Sportarena geht, dann stimmt es nicht ganz. Zumindest gilt das für Yannis Salvanos, einen Mann mit Stoppelglatze, Dreitagebart, griechischer Nase und drahtiger Figur: Der 41-Jährige ist leidenschaftlicher Mountain Trailrunner. Diese Sportart ist in den letzten Jahren auf Korfu ziemlich populär geworden, an die hundert aktive Athleten gibt es bereits.

Wir treffen Yannis an seinem Arbeitsplatz, der Taverna Agnadio in Spartilas, dem Ausgangspunkt des Weges auf den Pantokrator. Typische griechische Familiengeschichte: Papa Theofilos hat das Gasthaus mit dem wirklich sehr treffenden Namen „Fernblick“ vor Jahrzehnten aufgebaut, heute arbeiten hier seine drei Söhne. Adonis steht in der Küche, Nikos und Yannis machen die Kellner.

Trailrunning sei die einzige Möglichkeit, die Berge jenseits des Wanderns sportlich zu nutzen, sagt Yannis. Klettern geht wegen des brüchigen Gesteins nicht; und der Versuch, wenigstens einen Klettersteig anzulegen, scheiterte, weil das Eisen im Fels partout nicht halten wollte. Jetzt trainiert Yannis täglich, um bei den regelmäßig ausgetragenen Wettkämpfen gut auszusehen, zum Beispiel bei dem alljährlich stattfindenden Lauf auf den Pantokrator, der vom Küstenstädtchen Ipsos auf den Gipfel und wieder zurückführt. Nur zur Einordnung: Die Bestzeit für die 20 Kilometer lange Strecke liegt bei zwei Stunden und sechs Minuten.

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Ein Kloster, kein Gipfelkreuz

Wir nähern uns nach knapp drei Stunden dem Augenblick des Gipfelsiegs. Längst sind wir in der Zone oberhalb der Baumgrenze unterwegs, die auf Korfu bereits bei etwa 800 Meter Seehöhe beginnt. Jetzt gilt es noch, einen letzten steilen Anstieg unter heißer Sonne zu bewältigen, begleitet vom Bimmeln der Glocken einer Ziegenherde.

Ganz oben auf dem Gipfel steht ein uraltes Kloster, jedoch kein Gipfelkreuz. Dafür gut ein Dutzend Funkantennen für die lokalen Handynetze (auch irgendwie ein Zeichen der Zeit, oder etwa nicht?). Wir zücken das Mobiltelefon und rufen ein Taxi. Glücklicherweise führt nämlich auch eine Straße auf das Dach von Korfu – was dem Wanderer den mühsamen Abstieg erspart. Und so sitzen wir knapp eine halbe Stunde später in der hübschen Bucht vor unserem Strandhotel, dem Basislager der Expedition, und kühlen, eine Flasche Bier in der Hand, die müden Füße im erfrischenden Wasser der Ionischen See.

Yammas, wie der Grieche sagt.


Infos und Adressen: Wandern auf Korfu, Griechenland

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