Klettern im Kärntner Maltatal
Wie man von einem Kärntner Gasthaus zum Cerro Torre in Patagonien kommt? Am besten über die steilen Wände des Maltatals. Ein Klettertag mit dem Ausnahmekönner Markus Pucher.
Klaus Haselböck für das Bergwelten Magazin Februar 2018.
Es riecht nach Thymian und hat den Hauch einer Dschungel-Expedition: Mit Bouldermatten am Rücken brechen wir durch das Buschwerk, schieben Farne aus dem Weg und zwängen uns an Felsblöcken vorbei. „Da unten muss gleich der Weg sein“, versucht Markus mit einem spitzbübischen Lächeln Optimismus zu verbreiten. Der ist auch gerechtfertigt, denn der hünenhafte Kärntner, der uns durch dieses Gewirr aus Schlingpflanzen zu schleusen versucht, kennt sich hier aus: Markus Pucher ist im Maltatal aufgewachsen, arbeitet als Bergführer und hat viele der Routen, die sich auf den Blöcken im dichten Grün verstecken, selbst erschlossen.
Darüber hinaus gilt er als einer der leistungsfähigsten Alpinisten unserer Zeit. Das sonnenbegünstigte Kärntner Tal, in dem wir uns gerade bewegen, liegt im Süden Österreichs, und wer der Malta stromaufwärts folgt, gelangt von lieblichen Wiesen bis in die hochalpine Region des Nationalparks Hohe Tauern. Kletterer sind hier seit den 1980er-Jahren aktiv.
In der Kreuzwand, die heute mit 71 Routen den größten Sektor des Tals beherbergt, wurde 1984 der erste Bohrhaken gesetzt. „Wir mussten damals nicht viel putzen“, so Franz Karger, einer der Erschließer. Der aus Spittal an der Drau stammende Bergführer suchte nach einem Äquivalent zur Tiroler Martinswand, damals eines der wichtigsten Klettergebiete, und fand das Maltatal.
„Mir war sofort klar, dass der Fels perfekt und das Potenzial enorm ist.“ Die Granitgneis-Strukturen hier kennen im Gegensatz zu Routen im Kalk keinen Verschleiß und garantieren Genuss für Generationen. Sie verlangen aber nach einer anderen Technik: Es ist weniger Fingerkraft als sauberes Steigen, Drücken und Schieben gefragt. Durch die Risse, Platten und Überhänge schafft es nur, wer seinen Schwerpunkt überlegt verlagert und seine Balance auf Griffen findet, die oft nur gerundete Flächen sind.
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Mr. Moos und la Balance
An der Kreuzwand gibt es zwar auch einen Anfänger-Sektor, und die Hakenabstände sind moderater als früher. Ein Gebiet für absolute Einsteiger wird das Maltatal aber nie sein: „In diesem Fels muss man schon klettern können“, sagt Franz Karger.
Jahr für Jahr bohrten Karger und seine Freunde Routen ein und weckten damit das Interesse des jungen Markus Pucher. Der hatte den strategisch besten Platz im Tal: Das Gasthaus der Eltern, in dem der heute 41-Jährige aufwuchs, lag direkt unter dem Klettergarten. Von seinem Logenplatz in der Küche konnte Markus seine Kletter-Heroen in den Wänden beobachten und hörte mit großen Ohren zu, wenn sie danach auf ein Bier vorbeikamen.
Als diese Markus endlich an den Fels des Maltatals und in die Dolomiten mitnahmen, war er elektrisiert und begann, die neue Passion an den Blöcken im Bereich des Maltataler Schleierwasserfalls auszuleben. Systematisch erkundete und putzte er sie, um Linien wie „Mr. Moos“, „La Balance“ und „Meilenstein“ zu realisieren.
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Die große Auswahl kurzer, kniffliger Anstiege hat sich längst herumgesprochen und das Maltatal zu einem Fixstern am Boulderhimmel gemacht. Eines der Filetstücke ist das „Bügeleisen“, ein weit vorspringender, nahezu unkletterbarer Überhang, dem der Salzburger Klem Loskot im Jahr 2001 die erste Begehung abrang.
Der finnische Kletter-Profi Nalle Hukkataival verbrachte Wochen unter diesem Dach, ehe ihm im April 2014 eine noch anspruchsvollere Variante dieser Linie gelang. Damit adelte er das „Bügeleisen“ zu einem der schwierigsten Boulder der Welt. Vielseitigkeit macht den besonderen Zauber der Region rund um das Bergsteigerdorf Malta aus: Während man unten im üppigen Grün bouldert oder längere Routen genießt, führt oben ein spektakulärer Klettersteig auf die „Tauernkönigin“, die 3.360 Meter hohe Hochalmspitze.
So hoch hinaus müssen wir heute aber gar nicht: Entlang der Passstraße zur Kölnbreinsperre stellt Markus das Auto ab, wir springen über Bäche und queren Schotterhänge, ehe wir plötzlich inmitten Markus Puchers privater Folterkammer stehen. Von der Decke baumeln Schlingen, und im überhängenden Fels sind winzige Löcher zu erkennen, während am Boden ausrangierte Matratzen liegen. Mit Eisgeräten und Steigeisen arbeitet er sich über Felsspalten die kraftraubende Schräge hinauf.
Winter im Sommer
Draußen mag es wohlige 28 Grad Celsius haben. In seinen Gedanken dreht Markus die Temperatur hinunter, lässt all die Wasserfälle des Maltatals zu einer gewaltigen Eissäule zusammenfrieren und erinnert sich an seine Touren am Cerro Torre im äußersten Süden Argentiniens. Begeistert von den Schilderungen seiner Bergführerfreunde („Patagonien ist voll super!“), unternahm Markus Pucher vor 17 Jahren genau dorthin seine erste größere Reise.
Bei dem Trip bestieg er den anspruchsvollen Mount Fitz Roy, vor allem aber sah er erstmals den Cerro Torre: „Ich wusste sofort, dass ich da rauf muss.“ Gelingen sollte ihm das erst 2012 und damit einige Patagonien-Reisen später: Beim Filmprojekt zu David Lamas freier Begehung der legendären „Kompressorroute“ war er als Bergführer tätig und erreichte endlich den ersehnten Gipfel.
Seinen Cerro-Torre-Hunger hat das nicht gestillt. Ganz im Gegenteil: Es folgte ein Alleingang im Jahr darauf und der Wunsch, den nur 3.128 Meter hohen, aber so schwer zu besteigenden Berg als erster Mensch im Winter solo zu schaffen. Wie ein Pilger reist der Kärntner seither jährlich mitten im Sommer in den kalten Süden. Einsam zieht er dort seinen Schlitten über das patagonische Inlandeis zu dem sturmumtosten Granit-Zapfen.
Zuletzt fehlten ihm nur mehr 40 vertikale Meter zum Gipfel – und damit auf ein Stück Alpingeschichte. Dazu hätte er aber eine windgepresste, kaum abzusichernde Schneemauer überklettern müssen. Dem zweifachen Familienvater war das Risiko zu hoch, er brach die Tour ab: „Der Berg steht ja noch länger.“ Zumindest bis zum Juli. Dann wird Markus Pucher wieder am Cerro Torre unterwegs sein.