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Pferdetrekkings in den Ahrntaler Alpen

Regionen

6 Min.

09.09.2021

Foto: Franziska Gilli

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Beim Pferdetrekking in den Bergen des Tauferer Ahrntals in Südtirol lässt man Tal und Alltag schnell hinter sich. Das wenige Gepäck in den Satteltaschen verstaut, kann das Abenteuer beginnen.

Barbara Bachmann für das Bergweltenmagazin August/September 2019

Als die galoppierende Gefahr gebannt scheint, kommt ein braun-weiß geflecktes Fohlen auf uns zugeprescht; es muss wohl all seinen Mut zusammengenommen haben. Da stürmen prompt auch die anderen wieder los: Dreißig Pferde sind hier zur Sommerfrische auf der Alm, aber sie wirken wie doppelt so viele. 

Pferde sind Fluchttiere. Fühlen sie sich bedroht, nehmen sie Reißaus. Zum Glück bleibt Naima, die Ranghöchste unter unseren vier Haflingern, die Dominante, ruhig. Allmählich gewinnen wir an Abstand, bringen uns in Sicherheit. Dagegen sind die Kuhherden, die uns noch über den Weg laufen werden, eine Kleinigkeit.

Dass ein Pferdetrekking in den Alpen abenteuerlich ist, das war schon vorher anzunehmen. Aber deshalb sind wir ja auch unterwegs in den nächsten Tagen. Mit Naima, der Schnellen. Mit Asso, dem Braven, dem einzigen männlichen Tier der Gruppe. Mit Kathi, der Gemütlichen, in der Rangordnung eher auf den hinteren Plätzen. 

Und Annabelle, der Eigensinnigen, die eine gute Führung braucht. Keine Wolke steht am hellblauen Himmel. Der Wald trägt seine Farben so intensiv und weich, wie man sie selten sieht. Im Schritt reiten wir vorbei an alten Bauernhöfen mit sonnengebleichtem Holz, den Geruch von eben erst geschnittenem Gras in der Nase. 

Wir lassen die letzten Häuser hinter uns, ebenso die geteerte Straße. Auf einem Forstweg geht es hoch zu den Samhütten, einer malerisch gelegenen Hüttenansammlung auf dem Ahrntaler Almenweg. Das Ahrntal wird in Südtirol auch „is Toul“ genannt, „das Tal“, als ob es nur dieses eine gäbe. 

Tatsächlich ist es weniger touristendurchflutet als andere, umgeben von über achtzig Dreitausendern, und seine Menschen, die „Teldra“, sind von einem besonderen Schlag. Vom Pustertal abzweigend, zieht es sich von Bruneck bis Kasern, hinzu kommen mehrere Seitentäler. Flächenmäßig ist die Gemeinde Ahrntal im hinteren, nördlichen Tauferer Ahrntal mit knapp 188 Quadratkilometern eine der größten des Landes, sie reicht von Luttach bis St. Peter. 


Der Himmel kommt näher 

Oben bei den Samhütten tut sich eine herrliche Sicht über das gesamte Ahrntal auf, von den mächtigen Gipfeln der Hohen Tauern talauswärts bis hin nach Luttach, wo unsere Pferde zu Hause sind. Ab jetzt werden sie nur noch Wiese, Wald und Steine unter ihren Hufen spüren. 

Von weitem leuchten schon Preiselbeerfelder wie rote, weiche Teppiche. „Seit hunderten von Jahren benützen Menschen diesen Weg“, erzählt Herbert Walcher, der das Pferdetrekking leitet. Damals, um mit den Pferden schwere Waren zu transportieren. Heute sind wir zum reinen Vergnügen da, was für ein Privileg. 

Es ist ein anderes Gefühl, mit den Pferden in den Bergen unterwegs zu sein, so hoch oben, im gleichmäßigen Rhythmus von links nach rechts wippend. Der Boden ist weit weg, die Füße berühren ihn nie. Dafür kommt der Himmel näher. Man schwebt nicht, aber man gleitet zuweilen dahin auf diesen zauberhaften, sanften Wesen.

Die meiste Zeit sind wir nicht im Galopp oder Trab unterwegs, sondern eher gemächlich im Schritt. Die Langsamkeit stört nicht, fast bleibt die Zeit stehen. Auch die Tiere scheinen wie wir zufrieden – endlich draußen, endlich Weite und nirgendwo Autos, kein Lärm. 

Sie schnauben leicht und beständig und strecken sich bei jeder Gelegenheit nach dem Gras am Wegesrand. „Das schmeckt ihnen besser als das Heu im Stall“, sagt Herbert, rötliche Haut, helle Haare. Die leichte Glatze versteckt er unter einem Cowboyhut.

Den halben Tag über summt er schon Lieder vor sich hin, sichtlich entspannt. Auch Herbert scheint wie seine tierischen Gefährten unterwegs in seinem Element zu sein. Sanft und liebevoll geht er mit den Pferden um, ohne ein großes Aufheben darum zu machen; redet mit ihnen wie selbstverständlich, wobei er sonst kein großer Schwätzer ist. 

Zehn Pferde nennt Herbert sein Eigen: fünf Haflinger, einen Araber, einen Appaloosa, drei Noriker – und neuerdings ein Norikerfohlen. 1961 im Ahrntal geboren und aufgewachsen, ist er ein ruhiger Mensch, dem man auf Anhieb nicht zutrauen würde, dass er als junger Mann Hochspannungsleitungen in der Schweiz baute und ein Jahr lang auf einem Frachtschiff die Welt umrundete.

Was die Pferde betrifft, ist Herbert ein Spätberufener, die Leidenschaft hat er erst mit 33 Jahren für sich entdeckt, als ein Bekannter ihn fragte, ob er nicht ein Pferd kaufen wolle. Später brachte er sich fast alles selbst bei, in der Praxis und über Bücher. Drei Jahre lang arbeitete er in einem Reitstall im Ahrntal. Dann fasste er den Mut, sich selbständig zu machen, das war vor zwanzig Jahren. Heute bietet er Reitunterricht an, daneben Kutschenfahrten und Ponyreiten.

Das Highlight sind die mehrtägigen Pferdetrekkings in den Ahrntaler Alpen. Dafür brauchen die Teilnehmer ab 14 Jahren Reiterfahrung in allen drei Gangarten oder mindestens dreißig Reitstunden, dazu festes Schuhwerk und der Jahreszeit entsprechende Kleidung.

Die Ausrüstung, von Satteltasche bis Regenponcho, kann bei Herbert geliehen werden. Übernachtet wird auf Almen, auf Matratzen- oder Heulagern. Ausgangspunkt ist Luttach, von dort geht es beispielsweise zu den Holzer Böden, zur Tauernalm, nach Rein in Taufers.

Oder zum Speikboden, zur Weizgruberalm und über das Gorner Joch. Unter uns zieht langsam die letzte Ortschaft des Tals vorüber: Prettau mit seinem Bergwerk, das dem Ahrntal durch den Kupferabbau einst Reichtum bescherte und heute als Museum besucht werden kann.

Nach Stunden des Reitens legen wir auf der Waldner Alm auf 2.070 Metern einen Mittagsstopp ein, binden die Pferde an den Zaun. Von der Terrasse aus geht der Blick auf die imposanten Gletscher Rötspitze und Dreiherrenspitze.

Auf unserer Seite überwiegt Granit als Gestein, auf der gegenüberliegenden Schiefer. Eine Stunde Fußmarsch entfernt liegt der idyllische Waldner See, aber der muss auf ein weiteres Mal warten – für heute steht anderes auf dem Programm. Unser Tagesziel ist die Tauernalm, 2.018 Meter hoch gelegen und seit 1851 im Besitz der Familie Ludwig. Hüttenwirt Konrad Ludwig empfängt uns müde und glückliche Reiter allein – gegen 19 Uhr sind die Tagesgäste schon wieder im Tal.

Wir aber sind zum Übernachten da, im kleinen Zimmer mit den sieben Schlafplätzen oberhalb von Küche und Stube. Nach dem Abendessen erzählt uns Konrad von der besonderen Geschichte der Gegend. Tauern nennt sich der Bergzug zwischen dem Tauferer Ahrntal, Osttirol und Salzburg, der Name kommt aus dem Vorindogermanischen und könnte so viel wie „für den Viehtrieb geeigneter Übergang“ bedeuten.

Den beschwerlichen Weg auf 2.633 Meter haben schon hunderttausende Menschen hinter sich gebracht. Wilderer und Schmuggler. Händler und Reisende. Und Kriegstraumatisierte. Im Sommer 1947 zogen hier zwischen 7.000 und 8.000 jüdische Flüchtlinge vorbei, die die Vernichtungslager der Nationalsozialisten überlebt hatten.


Ruhestiftendes Morgenritual

Der nächste Morgen beginnt dunkel und früh. Kurz nach halb acht Uhr bedeckt das Sonnenlicht die Bergspitzen, dann steigt es ab zur Tauernalm. Lichtstrahlen brechen durch einzelne Wolken. Die Pferde wälzen sich im Gras, sie haben nur rund drei Stunden geschlafen, weniger als wir. Erneut striegeln wir Naima, Kathi, Annabelle und Asso, satteln sie und packen unsere wenigen Sachen in die Taschen. Ein schönes und ruhestiftendes Ritual, das einstimmt auf den Tag.

Über einen steilen Weg aus der Römerzeit, der zu schmal zum Reiten ist, führen wir die Tiere zu Fuß hinunter zum Talboden. Dann sitzen wir wieder auf. Fest im Sattel und sicher in den Steigbügeln, geben wir den Pferden mit Zügeln und Körperhaltung ein kleines Zeichen, und schon traben wir im Zweitakt die Ahr entlang, die dem Tal seinen Namen gibt. Über die Trinksteinalm kommen wir zu einer besonderen Kapelle, der Heilig-Geist-Kirche aus dem Jahr 1455.

Karg ist sie, ohne Prunk und Gold, beeindruckend in ihrer Einfachheit. Auffällig ist allein ein blutüberströmter Jesus am Kreuz. Hinter der Kirche findet sich ein dünner Spalt zwischen den Steinen. Passiert man ihn, so soll er die Sünden von einem abstreifen.

Eine Traube von Menschen zwängt sich hindurch. Nach einer kurzen Pause sitzen wir wieder auf den Pferden, und allmählich wird das Gefühl, das gestern schon aufkam, stärker: So könnte es ewig weitergehen, mal langsamer, mal schneller, als ob wir uns nie anders fortbewegt hätten als auf dem Rücken von Pferden.

Da kommt eine Frau auf ihrem E-Bike vorbei und fragt: „Von euch würde niemand mit mir tauschen, oder?“ Wir lächeln bloß. Die Antwort kennt sie schon.