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Skisport rund um Berchtesgaden

Regionen

5 Min.

09.09.2021

Foto: Julian Rohn

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Die Berge rund um Berchtesgaden locken zu jeder Jahreszeit – im Winter jedoch scheint ihr Ruf etwas leiser zu werden. Dabei gibt es rund um Watzmann und Königssee herrliche Skitouren, spektakuläre Loipen und Schneeschuhtouren mit Panoramablick.

Anke Eberhardt für das Bergweltenmagazin Juni 2020. 

Ein guter Rat vorab: Fahren Sie bloß nicht nach Berchtesgaden! Zumindest nicht zwi­schen Juni und August. Die Tatsache, dass dort ein an Kitschigkeit nicht zu über­bietender See liegt und eine felsige Familie namens Watzmann die Region seit jeher fest im Griff hat, macht sie zum beliebten Urlaubsziel abertausender wanderwütiger und postkartenverliebter Touristinnen und Touristen.

Man kann es ihnen nicht übel­nehmen, denn in diesem Tal, das sich im südöstlichsten Zipfel Deutschlands an die österreichische Grenze schmiegt, müssen die Herzen für die Bergwelt einfach höher­ schlagen. Dass Berchtesgaden herzförmig von neun Gebirgsstöcken umrahmt wird – zu denen Prominenz wie besagter Watz­ mann oder das Steinerne Meer gehören –, ist daher auch mehr als passend. Nicht ohne Grund hat Deutschland hier seinen einzigen Alpen­ Nationalpark.

„Die Berge sind unser Heiliger Gral“, sagt Nina Schlesener, während sie die Felle auf ihre Tourenski klebt. Denn wir sind sehr wohl nach Berchtesgaden gefah­ren – allerdings im Winter. Dann stehen die genannten Bergschönheiten hier näm­lich ebenfalls herum und machen sich in Weiß mindestens genauso hervorragend wie bei dreißig Grad im Schatten. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass dann nur ein Bruchteil der Menschen zu ihnen pilgert.


Für die Freiheit gemacht


Nina kennt die Gipfel freilich zu jeder Jahreszeit, denn sie ist hier aufgewachsen und Berchtesgadens einzige ausgebildete und geprüfte Bergführerin. Ein Buch über die schönsten Wandertouren hat sie bereits veröffentlicht, nun ist gerade ihr Skitourenführer für die Region erschie­nen. Rund 150 Varianten gibt es in ihrer Heimat, 41 davon finden sich in Ninas Buch, für das sie auch selbst fotografiert hat. „Als ich die Touren für meinen Guide mit der Kamera besuchte, habe ich sie noch einmal ganz anders erlebt“, erzählt Nina, während der Wald auf der Rück­seite des Jenner­ Skigebiets lichter wird und wir querfeldein durch die Bäume nach oben ziehen.

Wie zur Bestätigung kommt Schritt für Schritt ein Stück mehr Aussicht hinzu. Wir passieren das Schneibsteinhaus, das bis vor kurzem noch von Ninas Eltern bewirtschaftet wurde und in dem sie auf­ gewachsen ist. Eine Hüttenkindheit auf 1.668 Metern, mehr in den Bergen zu Hause sein geht nicht. Lange hat sie ge­hadert, ob sie die Pacht übernehmen soll, aber dann überwog die Erkenntnis: „Ich bin eher für die Freiheit gemacht.“
Auch beim Tourengehen ist die freie Wahl der große Vorteil des Berchtes­gadener Landes.

Unsere Route ist das bes­te Beispiel: Als Neuling kann man auf den ausgetretenen Spuren bleiben und nach entspannten zweieinhalb Stunden die Tour am Carl­von­Stahl­Haus bei hausgemach­tem Wildgulasch beenden. Oder man macht die Kleine Reibn mit 1.380 Höhen­metern in fünf Stunden. Oder gleich die Große Reibn, mit 3.240 Höhenmetern und elf Stunden, die Wahnwitzige zwar an einem Tag meistern, für die Normalsterbliche aber durchaus zwei oder drei Tage mit Hüttenübernachtung unterwegs einplanen sollten. Will heißen: Hier finden alle die passende Skitour, von Anfängern bis zu Extremsportlern.

Letztere rennen just an diesem Tag im Stechschritt die andere Seite des Berges hinauf. Der Wind trägt leise Reste der Lautsprecherdurchsagen zu uns herüber. Erstmals wird beim „Jennerstier“ das Skibergsteigen als Weltcup ausgetragen. Vergangenen Winter hat die neue Jennerbahn eröffnet, aber die Rennläuferinnen und Rennläufer auf Tourenskiern würden einen Teufel tun, in die brandneuen Gondeln zu steigen. Stattdessen scheuchen sich Lokalmatadore wie Toni Palzer (dessen Nachname natürlich vor dem Vornamen und mit einem „der“ vorab genannt werden muss) die steilen Hänge des Jenner hinauf. Leistungsbezogen ist man nämlich durchaus in Berchtesgaden, wo neben dem „Palzer Toni“ ja auch die Huber Buam herstammen.

„Der Watzmann hat schon etwas Magisches“, kommentiert Nina während des Aufstiegs, „und bei dem Anblick muss man ja irgendwo raufrennen!“ Das gilt natürlich nicht nur für die Männer: Auch die Weltklasse-Alpinistin Ines Papert hat in Berchtesgaden ihre erste Bergtour gemacht – und zwar gleich die Watzmann-Überschreitung. Wir hingegen bestellen noch einen Kaiserschmarrn im Stahlhaus. So viel Zeit muss sein, bevor der ebenso luftige Tiefschnee wartet.

Zeitreise mit Gondel.

Mehr als früh geht es am nächsten Tag weiter, denn völlig menschenleer ist es an den Berchtesgadener Hotspots natürlich auch im Winter nicht. Deswegen heißt es antizyklisch planen. Dank Julia Kern dürfen wir uns sogar in die erste Mitarbeitergondel der Predigtstuhlbahn mit hineinschummeln.

Die Seilbahn ist die älteste im Original erhaltene Großkabinenseilbahn der Welt. Tatsächlich ist es, als würde man in eine alpine Zeitmaschine steigen, wenn man in Bad Reichenhall eine der zwei kleinen rot-weißen Metallgondeln aus dem Jahr 1928 betritt. Erst recht, wenn man oben im Predigtstuhl-Restaurant wieder aussteigt: Grammophon in der Ecke, Perserteppiche auf dem Boden, Polsterstühle wie aus einem Wes-Anderson-Film – garniert mit einem Ausblick über das flache Alpen­ vorland auf der einen und die Hochalpen auf der anderen Seite.

Bevor das Kaminzimmer ausgiebig getestet wird, schnallen wir aber zunächst die Schneeschuhe an. „Im Winter gehe ich oft mit Kollegen nach der Arbeit eine Tour, oder wir fahren mit den Skiern ab“, erzählt Julia, die im Predigtstuhl-Restaurant im Service arbeitet, als sie ihre Flechtfrisur unter dem Stirnband verstaut. „Das Gebiet hier oben ist aber auch für Schnee­schuhe ideal.“ Stimmt. Denn die meisten Höhenmeter sind schon mit der Bahn im Kasten, und wenn man früh loszieht, hat man das Panorama noch für sich allein.

Gegenüber der Bergstation kann man den Blick gleich von drei Gipfeln aus genießen und in gut drei Stunden über Hochschlegel, Karkopf und Dreisesselberg durch den frischen Schnee des Latten­gebirges stapfen. Genau rechtzeitig kehrt man dann zu einem frühen Mittagessen ins Kaminzimmer zurück, um den Kalorien­ verbrauch in Ruhe mit Kürbisrösti und Kräuterlachs, Lammrücken in Thymianjus oder Schokoladentarte mit Beerensorbet wieder auszugleichen. Und wer früh dran ist, tritt die Talfahrt genau dann satt und glücklich an, wenn unten die Schlange für die Bergfahrt größer wird.

Vom Ablauf her genau umgekehrt – und somit direkt im Anschluss an das her­vorragende Mittagessen – empfiehlt es sich nun, dem Hohen Göll einen Besuch abzu­statten. Im Winter allerdings nicht seinem Gipfel, sondern seinem Fuße. Denn wie heißt es so schön: „Nach dem Essen sollst du ruh’n oder tausend Schwünge tun.“ (Oder so ähnlich.) Die Loipe an der Scha­ritzkehl zählt zu den schneesichersten der Region. Zum einen wegen ihrer Höhen­ lage, zum anderen, weil sie unter den mas­siven Wänden des Hohen Gölls meist im Schatten liegt.

Auf der Jagd nach Sonne


„Hier kann es schon mal zapfig werden“, bestätigt Sigrid Wille. Die ehemalige Profi-Langläuferin kommt oft mit dem Nach­ wuchs der Berchtesgadener Christopherus­schulen zum Trainieren hierher. Wie ein eigenes kleines Dorf liegt die „Eliteschule des Sports“ vom Deutschen Olympischen Sportbund auf 1.200 Metern über dem Tal – nur einen Steinwurf von der Loipe entfernt.

Die Schüler Lisa Zinecker, Alexander Brandner und Markus Graßmann ziehen mit uns heute ihre Runden – netterwei­se in moderatem Tempo. Und von zapfig keine Spur: Wer erst nachmittags auf die Loipe kommt, kann auch mit Sonne im Gesicht dahingleiten. Die lugt dann näm­lich genauso lange über die Bäume, dass wir uns über eine natürliche Heizung und trotzdem knackig flotten Schnee freuen können.

Als sich die Sonnenstrahlen auf der Scharitzkehl dann doch verabschieden, bleibt gerade noch genug Zeit, um sie am Brandkopf noch einmal zu erwischen. Vom Gasthof Vorderbrand sind es nur 15 Gehminuten durch den tief verschnei­ten Wald hinauf. Da liegt er nun, dieser kitschige Königssee, und dahinter steht er, dieser imposante Watzmann, beide im schönsten Abendlicht. Und keiner da, außer einem knutschenden Pärchen, das sich nur füreinander interessiert und nicht für die Aussicht.

Die Liebe zu den Bergen lässt sich in Berchtesgaden eben auch im Winter hervorragend ausleben.