Wild Atlantic Way – Irlands einsame Küstenwege
Foto: Mark Buzinkay
Wo der Nordatlantik auf sattes Grün und fantastische Landschaften trifft: Irland ist kein Geheimtipp mehr. Umso erstaunlicher, dass nicht noch mehr Menschen diese Insel für sich entdeckt haben – findet der Vorarlberger Reise-Profi Mark Buzinkay. Er hat an der Südwestküste als autostoppender Wanderer einsame Wege erkundet.
Jeden Morgen stehe ich am Rand des ruhig fließenden Baches und blicke hinüber zum kleinen Wasserfall, der sich in ein steinernes Becken ergießt. Das Wasser ist klar und doch erscheint es dunkel und moorig, fast wie irisches Malzbier, weil der felsige Untergrund schwarz durchscheint. Es ist Mitte Mai und die Lachse sind immer noch nicht in die Bantry Bay, in welches dieses kleine Gewässer mündet, vorgedrungen. Ihre Reise aus Grönländischen Gewässern an die Westküste Irlands haben sie schon vor Wochen angetreten, und die ersten Schulen müssten schon längst hier sein. Ich stehe also jeden Morgen am Bach – eine Tasse Roibos-Tee in der Hand – und blicke in das große Becken unter dem Wasserfall. Nichts, keine Lachse. Wie jeden Morgen kehre ich zurück in meinen Camper und freue mich auf den nächsten Tag. Dann müssen sie doch ankommen.
Seit drei Wochen bewohne ich dieses Kleinod an der Irischen Küste. Freunde haben mich hier in einem nicht mehr fahrtüchtigen Wohnmobil untergebracht – Kühlschrank, Toilette, Bett und Tisch, Strom und ein Gartentisch mit Sonnenschirm draußen vor dem Wagen. Ich liebe mein kleines Zuhause. Von dort sind es nur ein paar Meter zum Kajak und damit zur meist ruhigen Bantry Bay, die ein Fenster zu West Cork und Kerry bildet.
20 Einwohner, drei Esel
Wie sehr, das wird mir erst im Laufe der Wochen bewusst, als ich die gebirgige Region zwischen Killarney und Cork ausgiebig auskundschafte. Vor meiner Haustüre liegt zunächst Whiddy Island – eine kleine, liebliche Insel, die über eine Fähre von Bantry in wenigen Minuten erreichbar ist. Die Wege auf der Insel sind kurz, die Ausblicke unbezahlbar: im Südosten erstreckt sich Sheep's Head weit in den Atlantik hinaus und auf der anderen Seite der Bucht bauen sich auf der Beara-Halbinsel die Caha Mountains mächtig auf. Nach einem solchen Kajak-Ausflug nach Whiddy Island kehre ich gerne in das einzige Pub der Insel ein – ein Sandwich, ein Guinness, im Fernsehen Hurling, das in Irland so beliebte keltische Rasenballspiel, und ein Schwatz mit den drei älteren Herren folgen. Das Eiland zählt gerade mal zwanzig Einwohner, drei Esel, jede Menge Schafe, wenige Kühe und eine Schar Hühner, die völlig frei am Pier nach Essbarem picken. Ich drehe eine Runde zu Fuß, hinauf auf das alte Fort – die Wege sind markiert wie überall sonst in Irland.
Die irische Landschaft begeistert mich von der ersten Minute an, auch wenn ich nur den Südwesten und Westen des Landes kennenlerne. Ohne Auto ist es hier etwas schwierig – die Busse sind rar und Züge gibt es erst recht wenige. Ich habe aber mit meinen Freunden ein gutes Los gezogen, sie setzen mich gerne an den Ausgangspunkten für meine Wanderungen ab. Nach Hause geht's meist per Autostopp, wie vom Barley Lake, einem unscheinbaren, kleinen See über Glengarriff, dessen Wanderweg einen der wenigen verbliebenen Eichenwälder Irlands durchzieht. Oben am See, der in einer Senke unter Berggipfeln liegt, komme ich in den Genuss jener Flora, die so typisch für die Gegend ist: kurzes, bräunliches Gras mit Inseln aus grünem, hochstehenden Grasbüschen, umgeben von Mooren und wassergetränkten Flächen, hin und wieder größeren Strichen gelb blühenden Stechginster. Dazwischen liebliche Bäche und dunkelschwarze Seen. Und als Draufgabe, so berichten mir meine Freunde, gäbe es in der Gegend eine ältere Dame, die in einem Wohnanhänger eine mobile Sauna für zufällig vorbeikommende Wanderer betreibt...
Einsame und weniger einsame Wege
Der Südwesten Irlands bietet jede Menge. Einsame Wege in rauen Landschaften und urige Dörfer abseits touristischer Pfade. Eine Ausnahme bietet vielleicht der allzu bekannte Ring of Kerry, den man am besten mit dem Auto abfährt. Ich entscheide mich für Ausflüge in das Innere von Kerry, erhoffe dort etwas Abstand von Reisegruppen, die in großen Bussen ankommen. Ich wähle die Macgillycuddy’s Reeks, eine gebirgige Landschaft, deren Hänge mit Felsen übersät sind. Über die Teufelsleiter steige ich mit meinen Freunden zum Carraunthoohil hinauf, aber von Einsamkeit weit und breit keine Spur: es ist Sonntag, die Sonne scheint und ich teile den Weg mit dutzenden Wanderern, die auf den höchsten Berg Irlands steigen wollen.
Am Gipfelkreuz finden wir eine vor dem Wind schützende Ecke, die Fernsicht reicht bis zum Atlantik. Über einen langen Pfad am Grat kehren wir zum Parkplatz bei Lisleibane zurück, in der Stube gibt es Tee und leckere Brote mit Seaweed Pesto. In Kenmare bleiben wir auf dem Nachhauseweg letztlich in einem Pub und verbringen den Abend mit Fish & Chips, Draft Beer und irischer Musik. Die kleinen Städte in West Cork und Kerry locken mit guter Laune und herausgeputzten Gassen, bunten Farmer-Märkten und für Irland typischen Straßenfesten, wie zum Beispiel einem Fest für Rothaarige.
Abseits von Kerry ist die Landschaft beinahe menschenfrei, so wie am Sheep's Head Way, einem langen Weitwanderweg, der die gesamte Halbinsel von Bantry bis zum Leuchtturm durchzieht. Es ist ein fantastischer Trail. Oben auf dem genügsamen Bergrücken geht es im steten Auf und Ab durch Moorlandschafen, zu beiden Seiten erstreckt sich der Atlantik aus den Buchten. Auch hier bieten sich kleine Runden mit Abstechern in die winzigen Dörfer an den Küsten an. Ich schaffe die gesamte Strecke nicht an einem Tag, vermutlich weil ich wegen der Ausblicke zu oft stehen bleiben muss. Am St. Finbarr's Way passiert mir das nicht, dort gerate ich in den Bergen in die Wolken und suche trotz gut ausgeschilderter Wegmarkierungen immer wieder meine Route vom malerischen Gougane Barra bis nach Kealkill. Unnötig zu erwähnen, dass ich auch hier niemanden zu Gesicht bekommen habe.
Irische Ikone: Cliffs of Moher
Meine Ausflüge entfernen sich mit den Wochen immer mehr von Bantry, ich klappere die weit verzweigte Küste ab, entlang des Wild Atlantic Way: letztlich habe ich stets die Wahl zwischen einsamen Bergen und populären Steilküsten. Ein Muss für jeden Irland-Besucher kann ich nicht auslassen und betrete den schön gestalteten Wanderweg an den Cliffs of Moher, der von Doolin bis zum Leuchtturm an der südlichen Landspitze führt. Die Klippen sind ausgesetzt und grandios, Meeresvögel nisten in den kleinsten Nischen. Nicht zu Unrecht tummeln sich hier viele Neugierige, besonders im zentralen Sektor am Busparkplatz, von wo ein Bus nach Galway führt. Diese hübsche Stadt ist sicherlich einen Besuch wert. Ich aber mache mich auf den Weg zurück nach Bantry, in das schöne West Cork und stelle mich wie jeden Morgen vor meinen Wasserfall. Ich warte geduldig auf die Ankunft der Lachse.
Infos und Adressen: Wandern im Südwesten Irlands
Beste Wanderzeit: April bis Oktober
Visa: Irland ist Mitglied der EU, es sind daher keine besonderen Einreiseerfordernisse für österreichische, deutsche und Schweizer Staatsbürger gegeben.
Anreise: Am besten mit dem Flugzeug nach Dublin und weiter mit dem Mietauto (Linksverkehr!). Vom Dublin Airport fahren aber auch Shuttles direkt nach Cork, Limerick und Galway.
Ankommen: Zwischen den Städten verkehren Busse in regelmäßigen Abständen. Wer aber zu den Ausgangspunkten von Wanderungen gelangen möchte, ist entweder auf ein Taxi, ein eigenes (Miet-)Auto oder Autostopp angewiesen.
Unterkünfte: Bed & Breakfast ist neben den Gasthäusern („Inn“) und Hotels die populärste Art der Unterkunft. Am besten einige Tage vor Unterkunft reservieren, im Sommer besser schon einige Wochen im Voraus.
Kommunikation: Englisch ist zusammen mit Irisch Landessprache. Der irische Akzent ist nicht immer einfach zu verstehen, aber die Melodie der Sprache (besonders in West Cork) überaus charmant. WiFi gibt es in den meisten Unterkünften, Pubs und auch in Bussen und an öffentlichen Plätzen. Mit einer SIM-Karte aus Österreich oder Deutschland kann man Roaming-frei in Irland telefonieren und im Web surfen.
Strom: Irland verwendet englische Stromstecker – ein Adapter für kontinentaleuropäische Geräte ist notwendig.
Ausrüstung: Regenjacke und Regenhose sind empfehlenswert, wasserfeste Schuhe für Wanderungen ein Muss.
Wandern: Die meisten Wege führen über private Farmen – bitte auf den markierten Wegen bleiben. Hunde dürfen auf den Wegen auch an der Leine fast ausnahmslos nicht mitgeführt werden.