Melde dich an und erhalte Zugang zu einzigartigen Inhalten und Angebote!


AnmeldenRegistrieren
Abonnieren

Wildes Wunder am Dürrenstein

Regionen

3 Min.

28.10.2021

Foto: Michael Reidinger

Anzeige

Anzeige

Der größte Urwald Mitteleuropas und ein Himmel wie in den chilenischen Anden: Am Dürrenstein im Mostviertel liegt einer der unberührtesten Plätze der Alpen.

Wolfgang Gemünd für das Bergweltenmagazin April 2016

Nicht immer müssen Grenzkonflikte ausschließlich negative Auswirkungen haben. Manchmal erwächst aus ihnen auch etwas Nützliches, ja geradezu Kostbares.

So geschehen an der Landesgrenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark im Bereich des 1.878 Meter hohen Dürrensteins. Dort stritten ab dem Mittelalter die Kartäusermönche aus Gaming mit den Benediktinermönchen aus Admont über 300 Jahre lang um Nutzungsrechte ihrer benachbarten Waldreviere.

Was zur Folge hatte, dass die Kartäuser einen schwer zugänglichen Kessel an der südöstlichen Flanke des Dürrensteins nicht bewirtschaften konnten, weil es keine Möglichkeit gab, das Holz ohne Umwege über den Benediktinerbesitz abzutransportieren.

Der umzankte Wald blieb unberührt, bis 1875 Albert Rothschild aus der österreichischen Linie der berühmten Bankiersdynastie das Gebiet erwarb – und es wiederum nicht antastete. Der neue Besitzer galt nämlich nicht nur als reichster Mann Europas, sondern auch als passionierter Jäger und Fotograf – der unberührte Urwald war ein ideales Revier für Wild und Bildmotive.

Heute ist – nach einigen weiteren glücklichen Fügungen – der Rothwald der größte Urwald Mitteleuropas. Auf einem der Jagdsteige, die Albert Rothschild für seine Ausflüge benutzt hat, führt uns jetzt Stefan Schörghuber in den Wald. Stefan arbeitet als Forstwirt und Wildbiologe bei der Schutzgebietsverwaltung, die den Rothwald und das umliegende Naturreservat betreut.

Von allein hätten wir nicht hergefunden – was aber auch gut ist, weil, wie Stefan betont, das Alleine­-Herfinden eigentlich gar nicht erwünscht ist.

Im ganzen Alpenraum gibt es nur sehr wenige Reste dieser jungfräulichen Wälder, die meistens winzig sind. So misst zum Beispiel der zweitgrößte Urwald Österreichs, der ebenfalls im Grenzgebiet von Niederösterreich und der Steiermark gelegene Wald am Lahnsattel, rund 20 Hektar. Im Rothwald sind es aber 400 Hektar, die seit dem Ende der letzten Eiszeit – also seit gut 10.000 Jahren – keine Axt und keine Säge gesehen haben – und Menschen auch nur selten.


Betreten fast verboten

Damit das auch so bleibt und der Rothwald so etwas wie eine Keimzelle eines größeren Naturwalds sein kann, wurden zwei Maßnahmen ergriffen. Zum einen ist der Rothwald in den letzten Jahren in eine größere Schutzzone eingebettet worden, dem Wildnisgebiet Dürrenstein, das heute rund 3.500 Hektar umfasst. Zum anderen gehört das gesamte Gebiet – übrigens als bislang einziges in Österreich – zur strengsten Schutzkategorie der Weltnaturschutzunion IUCN.

Im Grunde sagen die Schutzbestimmungen Folgendes: Allgemeines Betreten und jegliche Eingriffe sind verboten. So ganz möchte man Besucher aber nicht aussperren, schon allein, um Verständnis für die Natur, aber auch für derartige Schutzgebiete zu wecken. Deshalb wird von der Schutzgebietsverwaltung am Dürrenstein ein vielfältiges Exkursionsprogramm angeboten, das von Vogelbeobachtungen, Falterstudien und Blumenwanderungen über eine „Nacht mit Fledermäusen“ bis zur Kinderführung reicht.

Eine weitere Möglichkeit, das Wildnisgebiet zu erkunden, ist der Alpinweg, der die Gipfel von Ötscher, Dürrenstein und Hochkar verbindet und der teilweise durch das Schutzgebiet verläuft. Allerdings dürfen die Wege – einige andere Wanderwege streifen den Rand des Wildnisgebiets – nicht verlassen werden. Die Beschilderung ist da sehr eindeutig.

„Die Leute halten sich auch daran“, erzählt Stefan Schörghuber. Nur selten treffe man Wanderer abseits der markierten Wege, der freundlichen Belehrung folge eigentlich immer ein rasches Einsehen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Urwald am Dürrenstein ist keiner, in dem sich Tarzan von Liane zu Liane schwingen könnte. Es ist eher einer, in dem Elfen und Gnome wohnen.

Der dominierende Baum ist die Buche, dazwischen viele Fichten und Tannen. Der Wald wirkt überraschend weiträumig. Bis zu 60 Meter hohe Baumriesen bilden das Dach, ein Teppich von Jungbäumen den Boden und eine Unmenge an Totholz – liegend, stehend, ineinander verkeilt, übersät mit Flechten, Pilzen und Schwämmen – die Möbel. Jeder Baum ein Individuum.

Auf den verfaulten, vermoderten Stämmen wachsen bereits wieder kleine Bäumchen, die, wenn die Unterlage endgültig vermodert ist, Wurzeln wie Stelzen haben. Auffällig auch die Exemplare, deren Stämme oberhalb des Bodens erst eine sichelförmige Kurve machen, bevor sie kerzengerade zum Himmel streben. Diese Bäume wurden in jungen Jahren vom Schneedruck geformt und würden, weil sie für das Sägewerk unbrauchbar sind, in jedem Nutzwald aussortiert. Im Wildnisgebiet dürfen sie weiterwachsen.


Der unaufgeräumte Wald

Neben den märchenhaften Landschaften besitzt das Wildnisgebiet aber auch Bereiche von bizarrer Brutalität, Stätten der Verwüstung. Nach Orkanen oder Lawinen wird hier nämlich nicht aufgeräumt. Über die zersplitterten Baumleichen freuen sich nicht nur Borkenkäfer, sondern auch Forscher, die hier studieren können, wie sich der Wald nach solchen Katastrophen erholt.