Griechenland – durch die tiefste Schlucht der Welt
Foto: Diana Steinhagen
Weiße Strände, blaue Dächer: so kennt man Griechenland auf der Postkarte. Der Vikos-Aoos-Nationalpark im Nordwesten zeichnet ein neues Bild des Urlaubsklassikers. Unsere Reise-Autoren wanderten dort in der Abgeschiedenheit der Berge und erhielten atemberaubende Blicke in die tiefste Schlucht der Welt.
Bericht: Diana und Lars Steinhagen
Thessaloniki fügt sich gut ins klassische Bild, das man vom alten Griechenland hat: Im 4. Jahrhundert vor Christi gegründet, zeugt noch jede Ecke des Zentrums von der historischen Bedeutung der Stadt, die heute die zweitgrößte des Landes ist. Wir machen hier einen Zwischenstopp, gehen in einem der zahlreichen Restaurants essen und schlendern durch das hippe Hafenviertel mit seinen Galerien. Das quirlige Thessaloniki ist ein guter Kontrastpunkt auf unserer Reise in das versteckte Hinterland Griechenlands.
Von Thessaloniki fahren wir über die gut ausgebaute Autobahn nach Ioannina. Auch dort unternehmen wir einen Bummel durch die historische Innenstadt. Während der Jahre der osmanischen Fremdherrschaft gab es vielfach Unabhängigkeitsbestrebungen, die letztlich erst 1913 von Erfolg gekrönt waren. Zahlreiche Menschen, die mit den Herrschenden nicht einverstanden waren oder einfach ihre Ruhe suchten, zogen sich damals in die nördlich von Ioannina gelegene Zagori-Region zurück. Dieses Naturparadies ist unser Ziel.
Wandern im Vikos-Aoos-Nationalpark
Gegründet wurde der Nationalpark bereits 1973. Er umfasst, wie der Name sagt, den Aoos-Fluss, welcher im Tymfi-Massiv entspringt und in der albanischen Adria mündet, sowie die spektakuläre Vikos-Schlucht. Die Relation zwischen Tiefe (900 m) und Breite (1.100 m) bescherte der Vikos-Schlucht 1997 einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde: als tiefste Schlucht der Welt!
Wir starten unsere Rundwanderung in Klidonia, einem Ort aus wenigen Häusern im Westen des Nationalparks. Unser Mietauto können wir bei dem kleinen Hotel Faraggi lassen, wo wir in acht Tagen wieder ankommen wollen.
Die Wanderung beginnt an einer markanten Kirche mit einer blauen Kuppel. Nachdem wir den ersten Berg bezwungen haben, werden wir von drei Hunden begrüßt, die sich schon darauf freuen, dass mal jemand vorbeikommt und etwas Abwechslung in ihren Alltag bringt. Die drei Hunde gehören zur einzigen Unterkunft mit Restaurant in Ano Klidonia (Ano = Alt). In Ano Klidonia, das gefühlt aus vier Häusern und einer kleinen Kirche besteht, wohnte über mehrere Jahre gar keiner mehr, da sich das Leben oben auf dem Berg nicht gerade einfach gestaltete. Auf den Ruinen der alten Häuser wurden neue Häuser errichtet – es scheint, als ließe es sich hier jetzt wieder besser aushalten. Nach Ano Klidonia geht es auf schmalen Pfaden bergauf und bergab. Das verfärbte Laub der Bäume strahlt in der herbstlichen Sonne des Oktobers und wir erreichen unser Tagesziel Papigo.
Papigo zählt zu den größeren Dörfern des Nationalparks und liegt malerisch vor dem Astraka-Massiv. Wobei Größe bei rund 290 Einwohnern relativ ist. In Papigo wandern wir an wunderschönen, alten Gebäuden aus Naturstein vorbei. Die Bewohner haben ihre Steinhäuser liebevoll restauriert. Die Steinhäuser mit ihrem grauen Stein und den schwarzen Dächern sehen alles andere als nach Griechenland aus, aber das macht genau ihren Charme aus. Sie wirken urig und einladend. Wir übernachten in einer kleinen privaten Unterkunft mit vielleicht vier Zimmern. Der Besitzer kommt aus Athen und hat sich in die Zagoria-Region verliebt, so dass er sich entschloss diese Unterkunft zu erwerben und fortan von Mai bis Oktober hier lebt. Über das Winterhalbjahr kehrt er dann wieder nach Athen zurück.
„Wilde“ Pferde und Urzeitdrachen
Nach einem traditionellen griechischen Frühstück mit Fetakuchen brechen wir am nächsten Tag zur Astraka-Hütte auf. Der einzigen Hütte auf unserer Wanderung. Über Schotterpfade meistern wir den moderaten Höhenanstieg und folgen dem beschilderten Weg. Die Hütte als Ziel haben wir den ganzen Weg über im Blick, während wir die zahlreichen Nadelbäume hinter uns lassen und die einzeln liegenden Gesteinsbrocken als Stativ für Fotos nutzen. Vereinzelt kommen uns von der Hütte Wanderer entgegen und grüßen freundlich. Wir sind dankbar für jede Bestätigung, dass es gleich geschafft ist. Die Hütte erreichen wir mittags und nach einer einfachen Stärkung mit Omelette schließen wir die Zusatzwanderung zum Drachensee an.
Der Abstieg auf dem Schotterweg erfordert Konzentration. Wir wandern an wildlebenden Kühen und Pferden vorbei. Die Pferde sind nicht so scheu. Eins lässt sich sogar von uns streicheln. Die wildlebenden Pferde sind keine richtigen Wildpferde. Sie wurden vor vielen Jahren von den Bauern der Region frei gelassen, als das Leben in den Bergen zu beschwerlich wurde und sie in die Städte zogen, um Arbeit zu finden.
Nachdem wir die Wiesen mit den Wildpferden und Kühen hinter uns gelassen haben, erreichen wir nach einem weiteren Anstieg den Drachensee. Hier können wir kleine Urzeitdrachen entdecken. Diese Molche gaben dem See seinen Namen, sind aber eher unscheinbar und haben nicht viel von Game of Thrones . Trotzdem eine schöne Wanderung, die mit einem einfachen, leckeren Abendessen auf der Hütte und der obligatorischen Dusche mit kaltem Wasser abgerundet wird.
Der klassische Rundweg führt uns von der Astraka-Hütte weiter nach Tsepelovo. Dort verbringen wir zwei Tage, um über die bekannten Stufen von Vradeto die Vikos-Schlucht genauer in Augenschein zu nehmen. Der Legende nach war ein Esel Architekt der rund 1.000 Treppenstufen die für Vradeto bis zur Eröffnung einer richtigen Straße in den 1970er Jahren die einzige Verbindung mit der Außenwelt darstellten.
Leben am Abgrund
Unser Respekt für die zähen Bergbewohner wächst mit jeder überwundenen Stufe. Nach dem Erreichen des kleinen Dörfchens Vradeto wandern wir noch rund 2,5 km weiter zum Aussichtspunkt Beloi. Der Weg dorthin führt uns an Bienenstöcken vorbei, die zum Schutz vor Braunbären mit elektrischen Zäunen ausgestattet sind. Interessante Felsbildungen erinnern uns an die berühmten Pancake-Rocks in Neuseeland. Der Aussichtspunkt bietet die spektakulärste Sicht über die Vikos-Schlucht und war das Highlight unserer gesamten Wanderung!
Von Tsepelovo wandern wir dem Rundweg folgend nach Kipi, erkunden dort die berühmten Brücken, um anschließend über Vista und Monodendri durch die Vikos-Schlucht wieder in Papigo anzukommen. Die Wanderung durch die Schlucht ist beeindruckend, aber auch sehr herausfordernd. Die Schlucht zwingt uns zu mehreren kleineren Klettereinlagen. Der Weg ist generell gut ausgeschildert, auch wenn für uns nicht jede Entfernungs- und Zeitangabe nachvollziehbar erscheint.
Die Wanderung durch die Schlucht ist eine tagesfüllende Aufgabe. Nach dem anstrengenden Aufstieg aus der Schlucht freuen wir uns daher besonders wieder im schnuckligen Papigo zu sein. Dieses Mal übernachten wir im Papaevangelou. Der Besitzer, früher Pilot in Athen, kehrte in seinen Heimatort zurück und baute den elterlichen Hof in ein Hotel um. Er scheint seine Berufung gefunden zu haben – seine Leidenschaft für die Region und Hingabe für die Gäste äußern sich in einer liebevollen Einrichtung und herausragendem Service.
Brücken aus Stein
Alle Dörfer der Region wurden durch Eselspfade und durch zahlreiche Brücken aus Stein verbunden. Diese wurden meist von lokalen Händlern oder Geistlichen gestiftet, um den Austausch untereinander zu fördern und den Transporte zu erleichtern. Diese Pfade und Brücken bilden nun das verzweigte Wanderpfad-Netz, das für Tageswanderungen aber auch für Mehrtagestouren, wie für unseren Rundwanderweg, genutzt werden kann. Die berühmtesten und meistfotografierten Brücken liegen direkt an den Autostraßen. Gute Beispiele sind die Brücken um Kipi, wie die bekannte Plakidas-Brücke oder auch die Kokkoris-Brücke.
Der Weg ist noch nicht zu Ende
Die Strecke durch die Vikos-Schlucht hinauf zur Astraka-Hütte bildet ein Teilstück des nationalen Bergwanderwegs O3 der am Nordufer des Sees in Ioannina startet und durch die Vikos-Schlucht über Papigo zum Tymfi-Massiv führt. Von dort verläuft der Weg zum Smolika-Massiv und endet beim Berg Gramos an der albanischen Grenze im Norden Griechenlands. Zudem plant das griechische Fremdenverkehrsamt, in dieser Region den mit rund 370 km längsten Wanderweg Griechenlands zu etablieren: Den Epirus-Trail. Dieser soll ebenfalls durch die Vikos-Schlucht führen. Wir sind gespannt, wie sich dieser Plan entwickeln wird.
Mit Wehmut nehmen wir Abschied von der Zagori-Region, um den Rückweg nach Thessaloniki anzutreten. Doch uns ist klar, dass es kein Abschied für immer ist, sondern nur ein „Bis bald!“
Zu den Autoren
Diana und Lars wandern gerne in Europa, insbesondere in Griechenland und Irland (Dingle Way). Dabei schätzen sie vor allem Länder mit einer schmackhaften Küche. „Diking“ nennen sie ihr Hobby: Dinner und Hiking!
Infos und Adressen: Zagori und Vikos-Aoos-Nationalpark, Griechenland
Anreise: Mehrere Fluglinien bieten von deutschen Flughäfen aus Direktflüge nach Thessaloniki. Aus Wien fliegen Ryanair und Austrian Airlines nonstop nach Thessaloniki.
Beste Reisezeit: Der Zagori ist zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Die verschneiten Wege und Berge bieten im Winter Ruhe und Einsamkeit bei prasselndem Feuer im offenen Kamin. Die Schneeschmelze im Frühling füllt die Flüsse und erhöht den Spaß beim Rafting und ab Mai ist Wandern eine gute Option. Die Hauptsaison ist im Juli und August mit den meisten Sonnenstunden und den wenigsten Niederschlägen. Wer es ruhiger mag kann die Region auch noch gut im September und Oktober erwandern.
Vikos-Aoos-Nationalpark
Hinkommen: Am besten mit dem Mietwagen von Thessaloniki auf der E90 und E92 Richtung Ioannina und Kleidonia. Dauer: ca. 4 Stunden (300 km).
Wandern und Campen im Vikos-Aoos-Nationalpark: Im Nationalpark ist das Campen untersagt und es gibt keinen offiziellen Campingplatz. Dennoch haben wir auch Wanderer mit Zelt getroffen, die sich mit den Einheimischen abgesprochen haben und so die Erlaubnis erhielten.
Wandern im Vikos-Aoos-Nationalpark: Der Nationalpark bietet Flüsse, Schluchten, Berge, Wälder und historische Brücken. Er ist dünn besiedelt und Lebensraum von Wölfen, Braunbären, Rot- und Schwarzwild, Schlangen, zahlreichen Vogelarten, Pferden, Kühen, Schafen und Hunden.
Buch-Tipp: Griechenland: Zagoria Trek (2019) von Diana und Lars Steinhagen im Conrad Stein Verlag.
- Berg & Freizeit
Wandern im wilden Hinterland Kroatiens
- Berg & Freizeit
Estland: Tree Hugs im Lahemaa-Nationalpark
- Berg & Freizeit
Weitwandern an der wilden Atlantik-Küste Portugals
- Berg & Freizeit
Die schönsten Bilder unserer Bergwelten-Hüttentage
- Berg & Freizeit
Die Größte im Rofan: Auf die Hochiss
- AnzeigeAlpinwissen
Mein erster Klettersteig 2023