David Lama: Über das Unmögliche
Foto: Corey Rich / Red Bull Content Pool
von David Lama
Vor fünfzig Jahren erschien Reinhold Messners Aufruf gegen die übermäßige Verwendung technischer Hilfsmittel beim Klettern. Im Kern stimmt David Lama seiner Kritik noch immer zu (erschienen im Bergwelten Magazin Juni/Juli 2018).
Mit entsprechender Ausrüstung lässt sich, zumindest theoretisch, jede Wand bezwingen. Reinhold Messner hat das schon 1968, im Zeitalter der Direttissimas, erkannt und den Aufsatz „Mord am Unmöglichen“ verfasst. Sein Plädoyer gilt heute, zumal das Material leichter und effizienter geworden ist, umso mehr: Wenn der Berg mit allen Mitteln überlistet wird, wenn es kein Unmöglich mehr gibt, wo finden wir noch eine Herausforderung? Wenn wir uns einer Grenze annähern oder sie verschieben wollen, muss diese Grenze existent sein.
Das Bergsteigen entwickelte sich nach 1968 in eine andere Richtung weiter, das Freiklettern wurde zu einem der wichtigsten Leitbilder. Messners damalige Prophezeiung – „die nach uns kommen, werden den Gipfel auf anderen Wegen suchen“ – trat ein.
Im Gegensatz zu ihm bin ich jedoch weit davon entfernt, den Bohrhaken zu verteufeln. Er hat dem Sport Türen geöffnet und Trainingsmöglichkeiten geschaffen, ohne die wir bei den gekletterten Schwierigkeits graden nicht da wären, wo wir jetzt sind. Aber hätte man den Bohrhaken beim Berg steigen weiterhin so unbedacht eingesetzt wie vor fünfzig Jahren, wären solche Befürchtungen eingetroffen: das Ende des Abenteuers, das wir doch eigentlich suchen.
Das größte Maß an Abenteuer im Alpinismus repräsentieren für mich Erstbe gehungen. Immer sind sie mit einer Portion Ungewissheit verbunden, der nur der persönliche Entdeckergeist und die eigene Vision entgegenstehen.
Am wohlsten fühle ich mich derzeit bei Erstbegehungen, die nicht den Spezialisten, sondern den kompletten Kletterer fordern. Bei Routen wie zuletzt im Valser Tal in Tirol geht es nicht darum, in einer einzigen Disziplin möglichst perfekt zu sein, sondern zu schauen, wie man etwas möglich macht, mit dem Material, das man mitschleppt, mit den Fähigkeiten, die man erlernt hat, egal ob im Eis, Fels oder Schnee.
Für mich kann das durchaus bedeuten, passagenweise technisch zu klettern, wenn ich beim Freiklettern hohe Stürze in prekäre Sicherungen riskieren müsste. Ich variiere meinen Stil, passe ihn dem jeweiligen Projekt an.
Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ein Erstbegeher eine Verantwortung hat, die ich nicht als Verantwortung gegenüber dem anderen, sondern gegenüber sich selbst definieren möchte: Wie würde man sich wünschen, dass die Route realisiert wird? Wie sieht der schönste Stil aus, in dem das Projekt vorstellbar ist?
Je mehr man sich mit einer Wand aus einandersetzt, desto mehr begreift man ihre eigentlichen Schwierigkeiten und umso unmöglicher erscheint dann manchmal die ursprüngliche Idee. Genau das ist der Moment, in dem man sich selbst treu bleiben muss und eben nicht seine Herangehensweise ändert. Diese Verantwortung gegenüber sich selbst sollte einen bei Erstbegehungen leiten, nicht die pauschale Verurteilung von Kletter oder Absicherungsstilen.
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