David Lama: „Am Gipfel war Platz für ein kurzes Glücklichsein“
David Lama hat in Nepal die Erstbesteigung des 6.907 Meter hohen Lunag Ri in einer dreitägigen Solo-Tour geschafft. Ein Gespräch über Aberglaube, Routenwahl und warum beim Solo-Klettern kein Platz für Gefühle ist.
David Lama und der Lunag Ri: 2015 und 2016 versuchte der österreichische Ausnahme-Bergsteiger mit nepalesischen Wurzeln dem 6.907 Meter hohen Berg die erste Besteigung abzuringen. Beide Jahre gemeinsam mit dem amerikanischen Top-Alpinisten Conrad Anker, der allerdings beim Besteigungsversuch 2016 einen Herzinfarkt erlitt. Es folgte ein dramatischer Rückzug der Beiden über die abweisenden Felsflanken des Himalaya-Riesen. Als das Überleben des Freundes gesichert war, entschloss sich David Lama spontan dazu den Berg solo zu versuchen, scheiterte aber wenige hundert Höhenmeter unter dem Gipfel. Die extrem anspruchsvolle Kletter-Route, die große Höhe, die wilden Stürme und die eisigen Temperaturen brachten den Tiroler – dem 2012 als ersten Menschen eine freie Begehung der Kompressor-Route des argentinischen Traumbergs Cerro Torre gelang – an sein absolutes Limit. Im Herbst 2018 kam er wieder nach Nepal, wieder zum Lunag Ri und konnte sein Projekt endlich abschließen. Bergwelten gab er direkt nach seiner Rückkehr ein exklusives Interview.
Das Gespräch führten Klaus Haselböck und Robert Maruna.
Bergwelten: Gratulation zur Besteigung des Lunag Ri. Aller guten Dinge sind drei, könnte man sagen. Bist du abergläubisch?
David Lama: Eigentlich bin ich ja viermal eingestiegen. Ob es nun drei oder vier Versuche waren ist eine Frage der Zählung. Abergläubisch bin ich aber nicht – weder beim Klettern noch sonst im Leben.
War es für dich diesmal von vornherein klar, dass du den Berg solo versuchen wirst?
Eine Solo-Besteigung ist für mich sicher die schönste Art und Weise dieses Projekt abzuschließen. Ich habe nach wie vor viel Kontakt mit Conrad und ihm nach unserer letzten Expedition gesagt, er solle sich Zeit lassen. Prinzipiell wollte ich mit ihm den erneuten Versuch wagen. Heuer im Frühjahr hat er mir aber dann gesagt: Nein, ich kann es nicht verantworten. Ich habe mir anschließend die Frage gestellt: Wie will ich das zu Ende bringen? Zwei meiner Kollegen hätten sich bereit erklärt mitzukommen. Letztlich habe aber ich beiden abgesagt, da für mich festgestanden ist: Wenn nicht mit Conrad, dann ist das eine Geschichte, die ich solo probieren möchte.
Bei deinen Erfolgen am Cerro Torre, oder der Chogolisa warst du immer in einer Zweier-Seilschaft unterwegs. Wie war es für dich, auf einem so großen Berg allein unterwegs zu sein?
Vom Klettern her ist es kein großer Unterschied, ob man nun solo oder mit einem Partner unterwegs ist. Den viel größeren Unterschied sehe ich im „Commitment“: Du musst extrem überzeugt sein vom eigenen Tun und es kostet relativ viel Energie diese Überzeugung auch bei schwierigen Verhältnissen aufrecht zu erhalten. Das ist mir am Lunag Ri bewußt geworden, da es mit dem Wetter alles andere als einfach war. 2016 entstand mein Solo-Versuch ja mehr aus der Not, diesmal war es geplant. Ich habe schon am Anfang, am Weg in das Tal hinein, gemerkt, wie meine Sinne geschärft waren. Im Basecamp habe ich den Berg so intensiv wie noch nie beobachtet, um möglichst viele Informationen zu sammeln.
Bergsteigen lebt ja von der Ungewissheit und gleichzeitig musst du bei einem Solo-Projekt überzeugt sein und möglichst alles über dein Projekt wissen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Den Widerspruch sehe ich nicht. Und zwar aus dem einfachen Grund: Von einem Projekt überzeugt zu sein, heißt noch lange nicht, dass sich die Realität dann genauso verhält. Wenn man überzeugt ist von einer Erstbesteigung, also wie man sich die Route vorstellt, dann redet man immer von einer Idee. Beim Klettern überprüft man schließlich seine Vorstellung an der Realität. Das ist für mich eine der spannendsten Aspekte beim Bergsteigen.
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Werden nach deinem Erfolg am Lunag Ri weitere Solo-Begehungen folgen, oder war das eine Ausnahme?
Das kann sein, muss aber nicht. Solo-Bergsteigen ist etwas Anderes, aber keine höhere Form des Bergsteigens. Man erlebt einen extremen Fokus auf das eigene Tun. Entscheidungen muss man nur für sich selbst treffen und nur für sich selbst Verantwortung übernehmen. Das ist eine intensive Erfahrung. Sicher intensiver als gemeinsam mit einem Partner. Andere Projekte werde ich sicher auch wieder mit anderen Partnern, oder Partnern von früher angehen. Es wird keinesfalls so sein, dass ich jetzt nur noch Solo-Geschichten unternehme.
Was waren die besonderen Schwierigkeiten dieser Besteigung?
Wie immer beim Bergsteigen kann man das nicht isoliert betrachten. Wenn man die Faktoren anschaut, so war es – neben den offensichtlichen Aspekten wie der Höhe – heuer vor allem die extreme Kälte. Ich habe mit Karl Gabl telefoniert, der hat gemeint -30° Grad wird es im Gipfelbereich permanent haben, am ersten Tag um die 80 km/h Wind, die restlichen Tage 40 bis 60 km/h Wind. Es war also am äußeren Limit, vor allem, wenn man sich nochmals vor Augen führt, dass ich mit wenig Material klettern wollte.
Wie waren die Schneeverhältnisse?
Im unteren Bereich der Wand war heuer extrem wenig Schnee. Da gab es Passagen, die nicht ganz einfaches Mixed-Gelände waren. Ich habe gewusst, dass ich die Linie dort genau treffen muss. Da dieser Wandbereich aber tagsüber durch Stein- und Eisschlag sehr gefährdet ist, habe ich ihn in der Nacht mit der Stirnlampe in Angriff genommen. Die Orientierung hat mir dabei etwas Sorgen bereitet. Im zweiten Teil, den ich bereits kannte, sind zwar auch einige anspruchsvolle Seillängen dabei, die haben sich jedoch gut aufgelöst. Für den dritten und letzten Tag stand die Frage im Raum, ob ich wirklich durch die Headwall komme. Beim Einstieg erkennt man keine gute Linie, sondern kann nur erahnen, wo es die besten Chancen gibt um durchzukommen. Um 6 Uhr in der Früh bin ich gestartet und genau der Linie nachgeklettert, von der ich mir im Vorhinein gedacht habe, dass sie zum Gipfel führt. Es hat sich schließlich herausgestellt, dass es ein System aus Felsplatten und Verschneidungen ist, das bis zum Gipfel führt und gut machbar ist.
Bei dem Video am Gipfel wirkst du fast gerührt. Wie war es ganz oben zu stehen?
„Gerührt“, ja, das trifft es sicher irgendwie. Auf jeden Fall war ich sehr glücklich. Das Projekt hat schlussendlich lange gedauert und es ist viel passiert. Wenn man sich nochmals den Herzinfarkt von Conrad vor Augen führt, oder meinen ersten Solo-Versuch, der schwer am Limit war, dann muss ich natürlich sagen, dass es eine große Erleichterung und Genugtuung war, endlich da oben zu stehen. Gleichzeitig ist es beim Solo-Klettern auch immer so, dass man sehr, sehr fokussiert ist. In der Regel kommen da kaum Gefühle auf. Auch am Gipfel waren meine Sinne noch geschärft und ich kann mich an die Eindrücke sehr gut erinnern. Beim Solieren sammelt man permanent alle Eindrücke: Wie ist der Schnee? Woher kommt der Wind? Wo kann ich meine nächste Sicherung platzieren? Das sind aber alles nur Informationen. Am Gipfel war Platz für Gefühle, für ein kurzes Glücklichsein.
Wie verlief dann der Abstieg?
Am Gipfel war ich um 10 Uhr morgens. Ich habe dann bis zu meinem ersten Biwak, auf rund 6.400 Meter, abgeseilt. Dort habe ich dann nochmals gerastet und mein Zelt aufgestellt, weil es doch sehr windig war. Den unteren Teil der Wand bin ich dann aufgrund von Steinschlag wieder in der Dunkelheit hinuntergeklettert. Noch vor Mitternacht war ich wieder ganz unten angekommen.
Wie hat sich dein Verhältnis zu Nepal durch die drei Expeditionen verändert?
Es hat sich auf jeden Fall etwas getan, das habe ich heuer stärker gemerkt als die Jahre zuvor: Am Weg zum Base Camp kennt man schon mehr Menschen, man kennt die Yak-Treiber sowie die Leute, die das Material hinauftragen. Land und Leute kommen mir mit jedem Mal näher. Man darf nicht erwarten, dass man – nur weil man dort Wurzeln hat – auch sofort eine Verbindung von heute auf morgen aufbauen kann. Jetzt ist die Geschichte aber schon eine andere.
Würdest du den Berg nochmals besteigen?
Nein, weil ich jetzt ja schon oben war. Jetzt weiß ich wie dort oben die Realität aussieht. Ich habe meine Vorstellung von diesem Berg ziemlich genau umsetzen können. Jetzt gibt es andere Orte, an die es mich hinzieht.
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