Ernst Merkinger: „Das Weitwandern lässt mich nicht mehr los“
Foto: Manuel Gruber
von Martin Foszczynski
Ernst Merkinger (28) ist von Wien nach Marrakesch und den Alpe-Adria-Trail gegangen. In wenigen Tagen macht er sich zu einem neuen Abenteuer auf: Er wird 8 der schönsten Weitwanderwege im Alpenraum absolvieren und uns regelmäßig davon berichten. Wir haben mit ihm über Gott und die Welt, Blasenpflaster und die Faszination des Gehens gesprochen.
Bergwelten: Du sagst, dein Leben sei eine Pilgerreise. Wie meinst du das und wo hat diese Reise eigentlich begonnen?
Ernst Merkinger: Ich glaube, wenn man beginnt, sich intensiver mit sich selbst auseinanderzusetzen, dann wird das Leben automatisch zu einer Tiefenreise – und in meinem Fall zu einer Pilgerreise. Der Start zu meiner eigenen Reise war wohl, als ich mit 13 Jahren einen schweren Skiunfall hatte und mein Immunsystem mir auf einmal Streiche spielte. Ich hatte plötzlich Allergien, Migräne etc. Damals begann ich mich auf Empfehlung meiner Tante mit Meditation zu beschäftigen und auf den „inneren Pilger“ zu hören, der einem den Weg weist. Mit den Füßen machte ich mich 2016 zum ersten Mal so richtig auf den Weg – damals ging ich in 30 Tagen von Pamplona nach Finisterre. Ohne iPhone übrigens.
Wann hast du dich fürs Wandern zu interessieren begonnen? Warst du schon als Kind viel unterwegs?
Ich bin am Land, in Weistrach im Mostviertel (Niederösterreich), aufgewachsen und habe schon als Kind so viel Zeit wie nur möglich in der freien Natur verbracht. Dass ich mit meiner Familie viel wandern gewesen wäre, kann ich allerdings nicht behaupten. Dafür bin ich mit meinem Vater nicht nur viel in die Kirche, sondern auch oft Pilze suchen gegangen. Letzteres war mir auf alle Fälle lieber (lacht).
Du hast 2017 deinen Job an den Nagel gehängt und bist zu Fuß von Wien nach Marrakesch gegangen – was hat dich zu diesem Schritt bewogen?
Ich habe im Jahr davor bereits Marokko bereist. Nach meiner Rückkehr ist mir ein Zitat von Augustinus von Hippo untergekommen: „Ama et quod fac vis!“, das bedeutet übersetzt: „Liebe und tue, was du willst!“. Daraufhin habe ich mich wieder einmal gefragt, was es denn ist, das mich im Leben wirklich begeistert. Es sind inspirierende Orte wie Marokko oder der Jakobsweg Camino Francés, das Aufsuchen von Abenteuern, in der Natur sein, schreiben. Und da war für mich ziemlich rasch klar, dass ich mir meinen verrückten Seelen-Wunsch erfüllen muss: von Wien nach Marrakesch zu gehen.
Was hat diese 4,5-monatige Fußreise mit dir gemacht? Bist du als anderer Mensch zurückgekehrt?
Klar! Ein so entschleunigender Fußmarsch macht schon was mit einem. Ich denke, dass ich durch das mir-selbst-auf-den-Grund-gehen, die täglichen Begegnungen mit wundervollen Menschen und die Hoffnung, die sie dir geben, noch mehr ich selbst geworden bin.
2018 war der Alpe-Adria-Trail dran – was waren da deine prägendsten Erlebnisse und wie hast du diese Mammut-Tour „Vom Gletscher Richtung Meer“ körperlich weggesteckt?
Dass der Weitwanderweg durch die Landschft Kärntens, Italiens und Sloweniens ein wahrer Augenschmaus war und auch der Gaumen nicht zu kurz kam, brauche ich vermutlich keinem Bergwelten-Leser sagen. Besonders prägend war für mich der erste Tag am Großglockner. Einerseits war ich von der Wucht des Gletschers überwältigt, andererseits aber auch schockiert und sprachlos, wie weit sich die Pasterze (Anm.: der größte Gletscher Österreichs) seit meiner Geburt im Jahr 1990 zurückgezogen hat.
Was ist das Skurrilste, das dir beim Weitwandern jemals passiert ist?
Dass ich vor einem Kindergarten im Freien schlafend von einer circa 85-jährigen Frau mit einem Gehstock angetippt, aufgeweckt und anschließend mit einem Frühstück verwöhnt wurde. Es gab warme Eier, Wurstbrot und Süßigkeiten. Aber auch aus meiner Marokko-Fußreise gäbe es sehr viel zu erzählen…
Sind es solche Erlebnisse jenseits des Alltags, die dich am Weitwandern faszinieren?
Wer einmal für mehrere Wochen zu Fuß unterwegs war, in die Stille der Natur eingetaucht ist, spannende Geschichten erlebt hat, den wird diese Lust am Weitwandern nicht mehr loslassen. Ich nenne es auch „Meditieren mit den Füßen“. Ich lebe wirklich gerne in der Stadt, aber ich brauche manchmal eine Auszeit von der Hektik. Eine Zeit, in der man nicht funktionieren muss wie ein Schweizer Uhrwerk und einfach sein kann. Und wieder erkennt, was wirklich zählt und für ein gutes Leben notwendig ist. Das ist nicht viel. Und es beinhaltet definitiv kein Smartphone.
Kein Smartphone? Du nennst dich doch „Pilger 2.0“?
Natürlich bereichert das Handy das Leben in vielen Belangen auch. Zum Beispiel wenn man sich beim Weitwandern mal verirrt – Gott Lob gibt es Google Maps! Mir persönlich hat die Nutzung des Handys und sozialer Medien außerdem den Weg zu Menschen und Orten geebnet, die ich sonst womöglich niemals kennengelernt hätte. Trotzdem - wenn ich nicht beruflich unterwegs bin, bevorzuge ich es das iPhone abzudrehen und nur im äußersten Notfall wieder aufzudrehen.
Du möchtest von Mai bis September 8 kurze Weitwanderwege gehen – was genau ist darunter zu verstehen?
Ich werde Touren mit einer Länge von maximal 9 Etappen gehen – für erfahrene Weitwanderer sind das wohl eher „Weitwander-Spaziergänge“. Aber ich möchte ganz bewusst Weitwanderwege vorstellen, die für jedermann/-frau zu bewältigen und vor allem auch zeitlich im machbaren Rahmen sind.
Auf welchen Weitwanderweg oder welche Etappe freust du dich schon besonders und warum?
Auf die Trails in Gastein, Lech und Kitzbühel freue ich mich besonders, weil ich mit diesen Gegenden einige Erinnerungen aus alten Tagen verbinde.
Welche 3 Dinge dürfen auf einer Weitwanderung im Rucksack keinesfalls fehlen?
Ganz klar das Deo von Weleda, meine „Wildfüssler“ – handgedrechselte Massagerollen zur Aktivierung meiner Fußsohlen am Morgen – und Blasenpflaster.
Was hast du sonst noch für persönliche Tipps an alle, die sich im Weitwandern versuchen möchten?
Viel Grünen Tee trinken, um das Übersäuern im Zaum zu halten, am besten das Smartphone zuhause lassen und stattdessen nur das verstaubte Nokia 3210 vom Dachboden mitnehmen. Das Handy-Display ist nämlich oft wie eine Trennwand zwischen den Augen – ich nenne sie das Gartentürl zur Seele – und dem traumhaften Bergpanorama. Ein Pilzmesser würde ich auch unbedingt mitnehmen, damit man sich nicht immer nur von Kaiserschmarrn ernähren muss.
Beim Weitwandern sind die Füße nicht ganz unwesentlich – hast du ein Geheimrezept gegen müde bzw. wunde Füße?
Ein Pilgerfreund hat mir erzählt, dass er 2 Wochen vor und während seiner Touren täglich seine Füße mit Hirschtalg einmassiert, seitdem hat er keine Blasen mehr. Nach dem Ausprobieren hatte ich zwar immer noch welche, aber der Blasenpflaster-Verbrauch hat sich zumindest stark reduziert. Gegen müde Füße verwende ich seit geraumer Zeit die Wildfüssler. Das ist eine von Hand gedrechselte Massagerolle aus Birkenholz.
Wie bereitest du dich auf dein monatelanges Weitwanderprojekt vor? Kann man so etwas überhaupt trainieren?
Die letzten Jahre habe ich Yoga praktiziert und viel meditiert – dieses Jahr habe ich das noch durch Hometrainer-Sessions und Saunieren erweitert. Aber im Grunde ist es am Wichtigsten, dass ich mein Ego, meinen Extremsportler zuhause lasse und auf meinen Körper höre, dann kann und wird gewiss nichts schief gehen.
Du wirst in den kommenden Monaten fast täglich von unterwegs berichten, sowohl auf deinen eigenen Social-Media-Kanälen, als auch auf Bergwelten. Worauf kann man sich da gefasst machen?
Auf tägliche Überraschungen, Geschichten, hoffentlich wenig Schlechtwetter, Kuhflüsterer-Tipps, Interviews mit Kräuterhexen, kitschige Landschaftsaufnahmen, die lange Zungen verursachen werden, viel Witz und Humor und gewiss spannende Begegnungen.
Ernst wandert weit - und ihr könnnt dabei sein!
In den kommenden Monaten, von Mai bis September, wird Ernst mit einigen Blasenpflastern im Rucksack auf 8 der schönsten Weitwanderwegen des Alpenraums unterwegs sein und uns hier auf Bergwelten.com, per Instagram (ernstjetzt/bergwelten) und auf seinem eigenen Blog täglich davon berichten. In Kürze stellen wir euch die acht Weitwanderwege und Ernsts Packliste im Detail vor. Also, dranbleiben – es zahlt sich mit Sicherheit aus!
bergwelten.com/ernstwandertweit
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