Hans Thurner: „Ich habe keinen einzigen Höhenmeter bereut“
Für Hans Thurner bedeutet Bergführen mehr, als bloß seinen Gästen den Weg auf den Gipfel zu zeigen. Der gebürtige Niederösterreicher hat die entlegensten Regionen der Erde bereist, die höchsten Gipfel bestiegen und ist mit Rucksack, Zelt und Wanderschuhen über den Alpenbogen von Wien nach Nizza marschiert. Die Alpen sind aber nach wie vor sein Zuhause und liebstes Arbeitsfeld.
Bergwelten: Lieber Hans, warum eigentlich Bergführer?
Hans Thurner: Diese Frage stelle ich mir nicht. Ich bin nun über 35 Jahre als Bergführer tätig und sehe keine Alternative. Das Unterwegssein in der Natur und Bergwelt wurde mir einfach in die Wiege gelegt: Bevor ich richtig gehen konnte, nahmen mich meine Eltern bereits mit in die niederösterreichischen und steirischen Berge. Wir verbrachten jeden freie Minute im Gebirge, ein Sommerurlaub am Meer war für uns nie ein Thema.
Als Jugendlicher nahm ich an alpinen Ausbildungskursen des ÖTK teil und mit 22 Jahren begann ich, eigentlich ohne eine konkrete Berufsvorstellung, mit der Berg- und Skiführerausbildung. Ich bin einfach meiner inneren Stimme gefolgt. Im Zuge der Ausbildung wurde mir dann klar: „Das ist mein Ding“ und ich hängte kurzerhand meinen Werkzeugmacherberuf an den Nagel. Diese Entscheidung stieß in meinem Umfeld nicht überall auf Verständnis. Doch ich setzte unbeirrt meinen Weg fort und vertraute auf meine Intuition. Und ich bin froh sagen zu können, dass ich keinen einzigen Schritt oder Höhenmeter meiner bisherigen Reise bereue.
Aber woher kommt diese Faszination für das Bergführen?
Das Bergführen hat mich genau dorthin gebracht, wo es mir am besten gefällt: in die Natur! Auch wenn es plakativ klingt: Ich habe meine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Zusätzlich bin ich mein eigener Chef. Für mich gibt es nichts Schöneres als diese Leidenschaft für die Berge mit anderen Menschen zu teilen. Die Begeisterung und Dankbarkeit der Kunden nach einer gelungenen Tour zu erleben – das erfüllt mich mit Zufriedenheit.
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Und welche Berge besteigst du am liebsten mit deinen Gästen?
Meine bevorzugten Führungstouren sind klassische Hochtouren im Sommer wie im Winter – am liebsten in den österreichischen Alpen. Also Berge wie der Großglockner, der Großvenediger oder die Wildspitze. In der Skitourenzeit zählt das Tourengebiet rund um die Franz-Senn-Hütte in den Stubaier Alpen zu meiner absoluten Lieblingsregion.
Die Gründe dafür sind simpel: Ich fühle mich in diesen Bergregionen zu Hause und kenne mich dort bestens aus. Die Verständigung funktioniert problemlos im Unterschied zu fremdsprachigen Gebieten. Das macht die Arbeit sicherer und stressfreier. Natürlich zieht es mich aber auch hin und wieder in die „weite Ferne“: In den letzten Jahren war es vor allem die Insel Grönland, der ich viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet habe.
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Ich vermute, dass sich dein persönlicher Lieblingsberg trotzallem in der Heimat befindet.
Einen persönlichen Lieblingsberg habe ich eigentlich nicht. Im Grunde ist es wohl eher eine Frage der Begeisterung: So kann es leicht passieren, dass ich – egal wo ich bin – von einer Tour zurückkehre und meine, es war das beste Bergerlebnis meines Lebens. Wichtig ist, dass die Route einer schönen und logischen Linie am Berg folgt. Die Schönheit einer Linie ist für mich zumeist wertvoller als ein hoher Schwierigkeitsgrad. An meine Bergtouren stelle ich auch – nicht zuletzt als Fotograf – einen ästhetischen Anspruch.
Verrätst du uns dann deine drei schönsten Tourentipps aus den heimatlichen Bergen?
Wenn ich jetzt den Ostrand der Alpen zu meinen heimatlichen Bergen zähle, hätte ich folgende Tipps:
Für Klettertouren ist meine erste Wahl die Sonnenuhrwand auf der Hohe Wand. Die Route „Zukunftsweiser“ ist vergleichbar mit Klettereien in der Verdonschlucht in Frankreich: Steile Wandkletterei im siebten Schwierigkeitsgrad und durch die sonnige Lage hat es im Spätherbst oft geniale Bedingungen auf der Hohen Wand.
Den Skitourengehern möchte ich die Breite Ries am Schneeberg vorschlagen. Ein imposantes Kar mit knapp 800 Höhenmeter Abfahrt und einer steilen Einfahrt zwischen Felsen, die jedoch nur von guten Skifahrern gemacht werden sollte! Leider gab es in den letzten Jahren oft zu wenig Schnee. Doch wenn die Bedingungen einmal passen am östlichsten 2.000er der Alpen, dann gibt es dort viel zu erleben.
Für trittsichere Wanderer empfehle ich den Aufstieg zum Mühlstein bei Miesenbach. Mit einer Höhe von 747 m ist er wahrlich kein Gigant, aber ein durchaus netter Gipfel und auf dem Weg hinauf, kommt man bei einem erstaunlichen Felsenbogen vorbei. „Wie im Arches-Nationalpark in Amerika“, sage ich immer.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag in deinem Leben als Bergführer aus?
Meistens beginnt er viel zu früh für mich – ich muss gestehen, ich bin ein Morgenmuffel (lacht). Wenn ich dann aber den Schritt aus dem Bett geschafft habe, gilt mein erster Blick dem Wetter. Ist es halbwegs im „grünen“ Bereich, bin ich gleich mal entspannt. Schaut es nicht so toll aus, rattern die Gedanken sofort sämtliche alternative Tourenmöglichkeiten durch. Beim Frühstück gehe ich dann ein letztes die Tour mit den Gästen durch und dann geht es schon hinaus.
Auf Tour versuche ich dann ein gutes Gehtempo und den besten Weg für die Gruppe zu finden – vor allem bei Skitouren ist eine gute Spurwahl essenziell. Das kritische Auge ist beständig auf „Ausschau“ nach möglichen alpinen Gefahren, um diese rechtzeitig zu erkennen: Gibt es Hänge mit Lawinengefahr, Bereiche mit Steinschlag, wie entwickelt sich das Wetter, verändern sich die Sichtverhältnisse, wie wahrscheinlich ist ein Gewitter?
War die Tourenplanung umsichtig und sorgfältig genug, endet ein typischer Arbeitstag ohne schwierige Vorkommnisse bei einem gemütlichen Kaffee oder Bier im Tal. Eine Sache ist aber völlig klar, und die macht meinen Beruf auch aus: Kein Arbeitstag ist wie der andere!
Und weil jeder Tag neue Herausforderungen an deinen Beruf stellt, hast du sicher vieles zu berichten: Was war denn dein skurrilstes Erlebnis mit Gästen am Berg?
Ein Erlebnis aus meinen Anfangstagen als Bergführer ist mir da noch in guter Erinnerung: Die ersten Teilnehmer des Kletterkurses waren bereits eingetroffen und ich erklärte ihnen, dass wir noch auf den Rest warten werden, bevor der Kurs startet. Einer der bereits anwesenden Teilnehmer ignorierte mich jedoch völlig und las unbeeindruckt in seiner Zeitung. Zur gegebenen Zeit eröffnete ich den Kurs, doch der mir unbekannte Zeitungsleser blieb weiterhin sitzen. Nach einiger Zeit ließ er die Zeitung bleiben und gesellte sich doch zum Kursgeschehen. Am Ende des Tages entschuldigte sich der Zeitungsleser bei mir mit folgender Erklärung: Er dachte anfangs, ich sein ein Teilnehmer, der sich nur wichtig machte und er wollte noch auf den „richtigen“ Bergführer warten – also den mit Rauschebart und Lodenknickerbocker. Mit diesem antiquierten Klischeebild kann ich bis heute noch immer nicht aufwarten.
Die Macht der Vorurteile also. Aber neben solch unterhaltsamen Begegnungen wirst du im Laufe der Berufsjahre wohl auch ein paar weniger erfreuliche Erlebnisse gemacht haben.
Ein weiteres Vorurteil gegenüber meinem Berufsstand höre ich sehr oft: „Du hast es toll, du hast dein Hobby zum Beruf gemacht. Du bist immer im Urlaub und bekommst auch noch Geld dafür“. Und im Grunde streite ich das ja nicht ab, es gibt einige Touren oder Expeditionen, bei denen ich fast genauso denke. Mein Beruf findet draussen statt und hat es mir ermöglicht die halbe Welt zu bereisen.
Doch wir alle wissen: Unser Job kann auch ganz anders sein. Spätestens dann, wenn die Verhältnisse am Berg heikel werden. Wenn z.B. eine angespannte Lawinensituation herrscht, bei einem herannahenden Gewitter, bei Steinschlaggefahr, in überfüllten Hütten oder bei Unstimmigkeiten in/mit der Gruppe, usw. Es gibt viele Faktoren, die eine „sichere“ Tour zu einer überaus gefährlichen Situation machen können.
Unterm Strich ist das Risiko und die Verantwortung beim Bergführen im Vergleich zu „normalen“ Berufen sehr hoch. Auch die geringe soziale Absicherung bei einem Ausfall durch eine Krankheit oder Verletzung sollte man nicht außer Acht lassen.
Wie viel Zeit verbringst du auf nicht-berufliche Art und Weise in den Bergen?
Ich denke das Verhältnis liegt bei 70% beruflich und 30% privat. Aber so genau kann ich das nicht sagen, da sich bei mir das Berufliche mit dem Privaten – vor allem bei Reisen und Expeditionen – nicht immer trennen lässt. Und ehrlich gestanden will ich das auch gar nicht. Nicht selten reise ich der Gruppe voraus oder bleibe nach der Expedition noch länger im Land, um weitere Touren zu unternehmen. Auf diese Weise konnte ich viele Länder und Bergregionen in einer Intensität kennen lernen, wie es für mich nicht möglich gewesen wäre – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Diese oft langen Aufenthalte ermöglichen mir eine hohe fotografische „Ausbeute“, welche ich wiederum in meine Vorträge einbinden kann. Das eine ergibt also das andere: Für mich eine perfekte Verbindung aus meinem Beruf als Bergführer, meiner Vortragstätigkeit und Freizeit.
Folglich lässt sich dein Beruf mit Freundschaften und Familie vereinbaren?
Wenn man wirklich ausschließlich als Bergführer sein Geld verdient, ist man sehr viel unterwegs und somit von zu Hause weg. Das lässt sich mit einer Familie schwer vereinbaren. Leichter hat es da ein Standortbergführer, der nur regional tätig ist. Der ist am Abend wieder zu Hause, aber dafür meist am selben Berg unterwegs.
Zum Glück habe ich mit meiner Vortragstätigkeit auch ein zweites Standbein. Bei Reisen ist meine Lebenspartnerin immer wieder dabei, soweit es mit ihrem eigenen Beruf vereinbar ist. Diese Reisen genießen wir dann besonders. Es erfordert allerdings sicher ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Flexibilität, damit eine Partnerschaft mit einem Bergführer oder einer Bergführerin gelingt.
Abschließende Frage: Wie siehst du die Zukunft der Bergführer?
Früher war ich oft in Nepal, Peru und Bolivien als Bergführer mit Gruppen unterwegs. Doch mittlerweile haben diese Länder ihre eigenen, ausgebildeten UIAA-Bergführer und die österreichischen Reiseunternehmen setzen zunehmend auf die einheimischen Fachkräfte. Diese Entwicklung finde ich grundsätzlich gut und befürworte sie, für meinen persönlichen Tätigkeitsbereich stelle ich hier aber eine Veränderung fest.
Auch die Folgen des Klimawandels sind spürbar: Etliche Touren (oder zumindest Abschnitte davon) werden durch Ausaperung zunehmend schwieriger und auch gefährlicher. Wo man vor 10 oder 20 Jahren noch relativ einfach über eine Firnflanke aufsteigen konnte, herrscht heute blankes Eis, Schotter und Steinschlaggefahr. Insofern glaube ich auch, dass im Alpenraum in absehbarer Zeit das Skitourengehen nur mehr in Höhen über 2.000 Meter gut funktionieren wird.
Die Zukunft des Bergführers sehe ich aber nicht gefährdet, im Gegenteil sogar. Der Trend, Zeit in den Bergen zu verbringen, scheint ungebrochen. Viele Menschen wollen verstärkt in die Natur, der Ausbildungssektor verbucht eine starke Nachfrage. Das anwachsende Umweltbewusstsein lässt die Menschen wieder im Nahbereich ihren Urlaub verbringen. Ich denke, dass ich somit verstärkt in den österreichischen Alpen unterwegs sein werde. Und dort bin ich am liebsten als Bergführer unterwegs.