Christoph Hüthmair: „Der Berg ist kein Fitnesscenter“
Foto: Archiv Christoph Hüthmair
von Robert Maruna
Christoph Hüthmair, 36, ist Bergmensch von Kopf bis Fuß. Für nichts in der Welt würde er sein Leben in und von den Bergen eintauschen wollen. Wir haben den oberösterreichischen Bergführer zum Interview getroffen, sind der Frage nach dem beruflichen Glück nachgegangen und haben erfahren wieso mit Braunbären in Kletterrouten nicht zu spaßen ist.
Bergwelten: Warum eigentlich Bergführer?
Christoph Hüthmair: In meiner Familie und in meinem Freundeskreis gibt es wenige Nichtbergsteiger. Meine Eltern waren beide Lehrer und richtige Enthusiasten aller alpinen Bewegungsformen. Sie hatten mich von klein auf mit in die Berge genommen, insofern war es für mich naheliegend, diese später auch auf eigene Faust zu erkunden. Ich bin zwar auch gerne alleine unterwegs, aber am schönsten ist es immer noch, das Bergerlebnis mit jemandem zu teilen, oder behilflich zu sein, es überhaupt zu erfahren!
Was macht den Beruf Bergführer so faszinierend?
Neben der Natur an sich, sind es die Menschen, die mich begeistern. Man trifft auf die unterschiedlichsten Charaktere und lernt einander auf intensive Art und Weise kennen – zwischenmenschliche Beziehungen in den Bergen sind oft von starken Erlebnissen geprägt. Schließlich legt man großes Vertrauen in den jeweiligen Partner und gerade der Bergführer übernimmt eine große Verantwortung. Erfolg und Scheitern liegen in den Bergen oft knapp nebeneinander. Als Bergführer ist es meine Aufgabe in solchen Situationen den Überblick zu bewahren und Gefahren rechtzeitig zu erkennen.
Dazu kommt noch, dass sich in meinem Berufsfeld wenig bis gar nichts wiederholt. Ich bin beinahe jeden Tag aufs Neue gefordert – genau deswegen liebe ich meinen Beruf.
Welche Berge besteigst du denn am liebsten mit deinen Gästen und warum?
Wenn ich es mir aussuchen kann, bevorzuge ich Berge, Touren und Gebiete die ich nicht kenne. Das Unbekannte ist immer interessanter! Aber natürlich führe ich auch gerne Gäste in meine Heimatberge. Hauptsache ist jedoch das Bergerlebnis an sich, und das kann auf jedem x-beliebigen Berg großartig sein!
Dein persönlicher Lieblingsberg und deine drei schönsten Tourentipps aus den heimatlichen Bergen.
Mit einer Favoritenliste tue ich mir ein wenig schwer. Ganz sicher aber ist die Spitzmauer (2.446 m) ein besonderer Berg für mich. Einerseits wie sie da vor meiner Haustüre in die Höhe ragt und andererseits verbinde ich mit diesem Felskoloss zwei abenteuerliche Aktionen, die einen besonders intensiven Eindruck hinterlassen haben.
Zu den Tourentipps: Der Große Priel (2.515 m) zählt zu meinen liebsten Tourenzielen: sowohl im Frühjahr per Ski als auch im Sommer über den Südgrat. Für den ambitionierten Wanderer ist die Hochmölbling-Überschreitung ein landschaftliches Highlight. Ausgangspunkt ist die Hutterer Höss. Von dort geht es über den Grat auf den Schrocken und weiter über die Kreuzspitze zum Hochmölbling. Wer es gemütlich haben will, übernachtet auf der Hochmölblinghütte, oder man geht gleich über die Türkenkarscharte wieder zurück ins Stodertal. Für den Alpinkletterer faszinierend sind die Touren und Wände in den hinteren Seitentälern des Stodertals. Hier befindet sich z.B. das „Kleine Paradies“, ein klassischer V-er mit teilweise großartiger Felsqualität.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag in deinem Leben als Bergführer aus?
Den gibt es eigentlich nicht. Das Frühstück kann je nach Tourenziel zwischen 23:30 (z.B. Gonella-Hütte) und 7:30 (z.B. Schiestlhaus) stattfinden. Danach geht es raus an die frische Luft, rauf auf den Berg und hoffentlich wieder heil hinunter. Wenn alles gut gegangen ist, bleibt eigentlich immer Zeit für die Nachbesprechung bei Kaffee oder Bier.
Im Anschluss beginnen dann auch schon wieder die Vorbereitungen für den nächsten Tag. Und in der Regel gehe ich sehr früh schlafen – auf einer gemütlichen Hütte kann es aber auch schon einmal später werden (lacht).
Was war dein skurrilstes Erlebnis mit Gästen am Berg?
Da fällt mir eine Braunbärenbegegnung am Ausstieg einer Klettertour in der Nähe von Arco ein. Ich habe gerade an einem Baum den Standplatz eingerichtet, als ich in der Nähe etwas rascheln höre. Plötzlich, etwa 20 Meter weg von mir, lugt ein riesiger Schädel hinter einem Baum hervor! Er beobachtet mich und sucht immer wieder am Waldboden nach Fressbarem. Meine Aufforderung zu verschwinden war ihm völlig egal – ganz im Gegenteil! Er näherte sich bis auf etwa 15 Meter, allerdings mit keinerlei Anzeichen von Aggression, sondern meiner Meinung nach, bloßer Neugierde. Vielleicht war es ein Jungtier, ich weiß es nicht. Ich mache mich also so groß wie möglich, kacke mir dabei fast in die Hose und sehe nur eine Fluchtmöglichkeit: Selbstsicherung auf das in die Wand hinunterführende Seil und Sprung. Doch dazu kam es nicht. Vielleicht hatte der Bär einen saftigen Braten gerochen aber der Gestank meiner Kletterschuhe verdarb ihm doch den Appetit. Auf jeden Fall schlenderte er einfach seelenruhig von mir weg, löste dabei einen kleinen Steinschlag aus und erschrak dabei dermaßen, dass er auf und davon rannte. Ein wirklich ergreifendes, aber hoffentlich einmaliges Erlebnis!
Was sind die Sonnen- und Schattenseiten deines Berufs als Bergführer?
Die Sonnenseiten sind offensichtlich: Mein Beruf findet draußen statt und ich darf diese Zeit mit interessanten Menschen verbringen. Noch dazu verdiene ich mit meiner großen Leidenschaft mein täglich Brot, gibt es etwas Besseres?
Allerdings bekomme ich immer wieder zu hören, dass meine Arbeit ja „Urlaub“ ist und ich sowieso immer nur eine „Gaudi“ hab. Je weiter man am Alpenbogen Richtung Osten geht, desto weniger wird der Bergführerberuf ernst genommen. Sehr österreichisch ist auch, dass die „Hockn“ (berufliche Erwerbstätigkeit) keinen Spaß macht, sondern in erster Linie als Belastung wahrgenommen wird. Da passt ein lustiges Leben als Bergführer gar nicht hinein. Früher hat mich das geärgert, heute kann ich besser damit umgehen und bedaure diese Einstellung.
Natürlich ist die Dienstleistung des Bergführens darauf ausgelegt, den Gästen ein schönes, möglichst gefahrloses Bergerlebnis zu ermöglichen. Aber manchmal geht es auch ums „Eingemachte“ und dann heißt es wirklich Nerven bewahren. Ehrlich gesagt habe ich aber noch wenig Unerfreuliches in meinem Beruf erlebt. Wenn dann sehe ich diese Dinge im Zuge von Bergrettungseinsätzen, aber auch hier überwiegt letztlich das Positive.
Wieviel Zeit verbringst du auf nicht-berufliche Art und Weise in den Bergen?
Viel! Sofern es das Wetter zulässt, bin ich an jedem Tag draußen unterwegs. Es gibt noch so viel zu erkunden und zu entdecken. Außerdem möchte ich mich fit halten und über die aktuellen Verhältnisse am Berg Bescheid wissen. Speziell im Winter kommt mir dieses Engagement bezüglich Schneequalität und Lawinengefahr sehr zugute.
Bergsteigen bzw. Bergführen ist für mich in erster Linie eine Passion – es aus rein kommerziellen Absichten zu tun, wäre ein absoluter Widerspruch.
Wie lässt sich der Beruf Bergführer mit Freundschaften, Familie bzw. Lebenspartnern vereinbaren?
Eigentlich ganz gut, vorausgesetzt man findet die/den richtige/n Partner/in und man hält es auch einmal aus, sich über Wochen hinweg nicht zu sehen. Andererseits gibt es auch die Nebensaison, in der ich als Bergführer viel zu Hause bin. Auch solche Situationen können eine Beziehung auf die Probe stellen. Grundsätzlich gibt es in meinem beruflichen Leben wenig Kontinuität, insofern ist Spontanität gefragt. Buchungen können sehr kurzfristig ausfallen, längerfristige Planung ist meist schwierig. Ich sehe aber an meinem jüngeren Bruder, der auch Bergführer und Vater von vier Kindern ist, dass sich mit der richtigen Kommunikation und liebevollem Vertrauen auch eine Großfamilie irgendwie schaukeln lässt. Dieser Gedanke stimmt mich zuversichtlich.
Wie siehst du die Zukunft der Bergführer?
Bewegung in der freien Natur liegt im Trend und ist erwiesenermaßen gesund. Jahr für Jahr steigt die Zahl der Wanderer, Skitouren- und Klettersteiggeher aber auch Kletterer stetig an. Allerdings ist zu beobachten, dass sich die moderne Gesellschaft immer weiter von einem vernünftigen Umgang mit der Natur entfernt: die Bereitschaft zu eigenverantwortlichem Handeln verschwindet zunehmend. Der Mensch ist am Berg ein nur zeitweilig geduldeter Gast. Wenn ich mir anschaue wie manche mit sich und ihrer Umwelt umgehen oder welch schrecklichen Unfälle immer wieder passieren, dann denke ich mir oft, dass das Bewusstsein fürs eigene Handeln fehlt oder unzureichend ist.
Bergsteigen ist und bleibt ein existenzielles Sache. Der Berg ist kein Fitnesscenter, sich auf ihm zu bewegen erfordert Respekt und Demut. Der umsichtige Profi kann hier entscheidende Aufklärungsarbeit und Hilfestellungen leisten. Er weiß sich in diesem Spannungsfeld richtig zu orientieren und berücksichtigt die verschiedensten Interessen aller Beteiligten.
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