Leben im Campervan: 4 Quadratmeter, die Freiheit und wir
Und, wie viele Quadratmeter hat deine Wohnung? Elisabeth und Philipp haben zu Hause alles verkauft und sind in einen Campervan gezogen. Wie sich ein Leben auf vier Quadratmetern anfühlt und was für sie Freiheit heißt, erzählen sie uns hier.
Ich nehme den Meterstab aus dem Werkzeugkoffer und realisiere, dass Ellbogen-Checks einfach zu Tagesordnung gehören. Gemeinsames Kochen wird zu einem akrobatischen Akt auf höchstem Niveau, wobei „gemeinsam“ eigentlich besser durch „Verschmelzung zu chinesischen Zwillingen“ ersetzt werden sollte.
Der Tanz um die 4 Herdplatten wird jedoch erst dann richtig interessant, wenn sich der enge Raum um die Küchennische durch die Flammen unter den Töpfen in eine heiße Sauna verwandelt. Dieser enge Raum um die Küchennische, das ist das Bett, das Büro, die nassen Handtücher neben den angelaufenen Scheiben, das Klo und die Werkstatt. Einfach alles.
Ich schnappe mir ein Maßband und komme schnell zum Ergebnis, das uns für das ganze Leben etwa eine Fläche von vier Quadratmetern bleibt. Vier.
Vier Quadratmeter in denen wir tippen, schlafen, kochen, waschen und essen.
Vier Quadratmeter in denen wir krank sind, Weihnachten feiern, Autostopper beherbergen und Müll aufbewahren.
Vier winzig kleine Quadratmeter in denen wir frieren, streiten, Regentage überstehen und nasses Equipment trocknen.
Ich lege den Meterstab zurück in den Koffer und denke an den Duft von frischem Brot, das Elisabeth gestern gebacken hat.
Und eigentlich muss man den Platz auch noch halbieren: wir wohnen ja immerhin zu zweit hier.
Der täglich-klaustrophobische Wahnsinn aus Rempeleien, wenn wir die Wassertanks auffüllen, uns wecken, wenn wir übers Bett steigen oder einfach nur versuchen, uns aneinander vorbei zu schummeln.
Aus dieser Perspektive betrachtet muss man uns beiden wohl einen klaren Hang zum Masochismus zusprechen. Wenn ich darüber nachdenke, seit wie vielen Wochen wir auf diesen besagten vier Quadratmetern wohnen. Und dennoch überwiegen die positiven Gedanken an unsere rollende Villa klar.
Keine Präsidentensuite dieser Welt kann mit den Ausblicken mithalten, die uns jeden Morgen aufs Neue erwarten. Unser All-Inclusive-Appartement bringt uns an die schönsten Plätze der Welt, ermöglicht uns ein unabhängiges Leben, frei von Restaurants, Hostels oder Ikea-Katalogen.
Ich muss immer wieder grinsen, wenn ich mir mein Knie an der fiesen Schublade links unten stoße und realisiere, das alles, was wir brauchen, in den wenigen Stauraum passt, der uns hier drinnen zur Verfügung steht.
Ich freue mich immer auf den Moment, wenn ich morgens aufwache, den Vorhang beiseite schiebe und realisiere, wo wir denn eigentlich gerade wieder geparkt haben. Wenn ich diese vier kurzen Schritte vom Bett zum Fahrersitz mache, um den Motor zu starten und ins nächste Abenteuer zu rollen; denn dann werden aus vier Quadratmetern schnell unendlich viele.
Vier Quadratmeter beherbergen all die wenigen materiellen Dinge, die wir wirklich brauchen. Vier intensive Quadratmeter inmitten des größten Gartens der Welt.
Ich lege den Koffer zurück hinter den Reservekanister, schwinge mich übers Bett und quetsche mich zwischen kochendem Wasser und der Zähne putzenden Elisabeth (Ellbogencheck!) nach vorne ins Cockpit. Uns als Masochisten zu bezeichnen war wohl falsch: Diese vier Quadratmeter sprengen jedes Flächenmaß und nähern sich dem Begriff der „Freiheit“ sehr gut an.
Über die Autoren
Elisabeth Schrenk und Philipp Mück sind die Gründer von The Wild Routine. Nach Filmprojekten in Europa und Afrika reisen die beiden Österreicher mit ihrem ausgebauten Campervan gerade durch Südamerika. Auf bergwelten.com teilen sie immer wieder ihre Gedanken und Erfahrungen über das Leben unterwegs mit uns.
Mehr Infos & Videos findet ihr unter:
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