Matschbirne. Das war Stand der Wissenschaft.
Foto: Roland Vorlaufer
Das Gipfelgespräch, eine Rubrik im Bergwelten Magazin, die uns ganz besonders am Herzen liegt. Hier findet ihr in jeder Ausgabe spannende Interviews mit interessanten Persönlichkeiten, die ihr Leben und ihre Arbeit den Bergen gewidmet haben. Den Anfang macht wohl der bekannteste Bergsteiger aller Zeiten: Vorhang auf für ein Gipfelgespräch mit Reinhold Messner.
40 Jahre danach: Wie in der Salzburger Getreidegasse die Idee entstand, den höchsten Berg der Welt, den 8.848 Meter hohen Mount Everest, ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen. Das Interview in voller Länge erschien im Bergwelten Magazin (Februar/März 2018).
Bergwelten: Herr Messner, lassen Sie uns von der Erstbesteigung des höchsten Bergs der Welt ohne zusätzlichen Sauerstoff sprechen. Eine Leistung, die nicht nur den Alpinismus verändert hat, sondern auch unser Wissen über die Grenzen der menschlichen Physiologie. Man prophezeite Ihnen, dass Sie entweder oben zugrunde gehen oder als Gemüse zurückkommen.
Reinhold Messner: Als völlig vertrottelt, ja, wenn überhaupt. Als Matschbirne. Das war der Stand der Wissenschaft.
Sie vertrauten aber den Berichten einer in den 1920ern gescheiterten englischen Expedition.
Es gab schon auch einzelne Mediziner, die es für möglich hielten, Oswald Oelz zum Beispiel, der ja dann auch Arzt unserer Expedition war. Aber ja, Somervell und Norton waren für mich der stärkste Beleg, dass es gehen muss. Die beiden waren schon 1924 auf knapp 8.600 Meter gestiegen, mit Lodenhosen, Nagelschuhen, Wickelgamaschen. Nur die Erkenntnis, dass sie nicht mehr als 30 Höhenmeter pro Stunde machen, hat sie aufgeben lassen: Also scheiterten die beiden in erster Linie am Tempo. Schon 1924, mit dieser Ausrüstung, ohne dass sie davor auf einem 8.000er gewesen waren – vergleichen Sie das mit meiner Ausgangsposition in den 1970ern: Ich wusste, dass es weltweit damals keinen besseren Alpinisten als mich gab, ich hatte als einziger Mensch der Welt schon drei 8.000er ohne Flasche bestiegen, und die Ausrüstung war mit der aus den Zwanzigern nicht vergleichbar. Aber wissen Sie, dass der Everest ohne Flasche gar nicht die ursprüngliche Idee war?
Nicht?
Es ging uns allen seit Anfang der 1970er um ganz was anderes: um die Südwestwand des Everest. Das war die große Herausforderung, die schönste Wand, das bergsteigerische Ziel schlechthin. Von ’70 bis ’75 haben sich alle an ihr versucht – Engländer, Japaner, Deutsche, Österreicher –, alle sind gescheitert, und natürlich hab auch ich drauf hingearbeitet. Aber im Herbst ’75 spaziere ich durch Salzburg, vorbei an diesem Kiosk am westlichen Ende der Getreidegasse. Beim Vorbeigehen, nur so im Augenwinkel, sehe ich die Titelseite einer englischen Zeitung: „Everest“, „Southwest face“ … hingegangen, Zeitung gekauft und sehe: „climbed“. Die Engländer haben es gemacht. In diesem Moment war die Südwest für mich erledigt. Musste ich also was anderes machen. In diesem Moment hab ich entschieden: Ich werde den Everest ohne Maske versuchen.
An einem Zeitungsstand in der Getreidegasse ist die Entscheidung gefallen, ohne Sauerstoff auf den Mount Everest zu gehen? Man stellt sich Anlässe historischer Ereignisse gerne erhabener vor.
Es sind schon noch drei Überlegungen dazugekommen, ganz praktische Dinge. Erstens hatten der Peter Habeler und ich schon im selben Jahr den Hidden Peak im Alpinstil bestiegen. Wir waren also die Ersten, die ohne Hochlager, ohne Fixseile, ohne Träger, ohne Sauerstoff auf einen 8.000er gestiegen sind, so wie man sonst aufs Matterhorn steigt. Und mir war klar, dass man genau auf diese Art auch den Everest ohne Maske besteigen kann. Zweitens hatte ich mit Peter den perfekten Partner – er war der Einzige, der die Kraft, die Schnelligkeit, die Kondition und das alpinistische Können hatte. Der Peter konnte auch noch klettern, wenn er schon halb geschlafen hat. Und drittens: In dieser Zeit kam die Everest- Genehmigung für 1978 für die österreichische Expedition von Wolfgang Nairz. Das hat sich günstig ergeben, da haben wir uns reinverhandelt, dass wir uns anschließen dürfen.
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