„Still Alive?“: Reinhold Messner über seine erste Regiearbeit
Reinhold Messner hat sein Regiedebüt vorgelegt. Das Doku-Drama „Still Alive? Das Drama am Mount Kenya“ handelt von einer legendären Rettungsaktion in den Bergen Ostafrikas vor 46 Jahren. Uns erzählt er die Geschichte hinter dem Film und gibt Einblick in die Dreharbeiten.
Reinhold Messer: „Es war im Herbst 1970. Ich lag mit frisch amputierten Zehen in einem Einzelzimmer im sechsten Stock der Universitätsklinik in Innsbruck, als ein zweites Krankenbett mit einem mir unbekannten Patienten hereingeschoben wurde: ein junger Arzt, Gert Judmaier sein Name. Er war am Mount Kenya in Ostafrika abgestürzt, erfuhr ich, und im letzten Augenblick von einem eigens eingeflogenen Rettungsteam aus Tirol gerettet worden. Obwohl ich damals selbst unter einem Trauma litt – den Bruder am Nanga Parbat unter einer Lawine verloren, mit erfrorenen Füßen und zu Tode erschöpft von Einheimischen in die Zivilisation zurückgetragen –, berührte mich Judmaiers Überlebensgeschichte tief.“
„Ein paar Tage später kam Gerts Kletterpartner vom Mount Kenya zu Besuch: auch er Arzt, schwarzer Wuschelkopf, das Strahlen eines Siegers im Gesicht. Wir unterhielten uns, und dieser Oswald Oelz, 'Bulle' genannt, beschrieb mir den Unfall am Gipfelgrat des Batian so genau, als würde er jetzt gerade stattfinden: 'Um die Mittagszeit, im Schneetreiben, querten wir die drei Seillängen über den Gratkamm zu Shipton’s Notch, einem bequemen Standplatz. Der weitere Abstieg begann mit einer Abseilstelle, die durch zwei alte Seilschlingen kenntlich war. Während ich eine weitere Schlinge einhänge, verfolgt Gert, einen Meter links von mir, mit den Augen den weiteren Abstieg, seine Linke auf einen riesigen Felsblock gestützt. Ohne reagieren zu können, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich Fels und Freund plötzlich nach vorn neigen und abstürzen. Alles in Zeitlupe. Ich höre das Geräusch der fallenden Steine, Schreie, das rasend schnell abspulende Seil fährt durch meine Hände: In Sekundenbruchteilen ist die Haut von Fingern und Handtellern gerissen, der Sturz nach etwa zwölf Metern nur durch Gerts Aufprall auf einer Felsrippe gestoppt. Das Seil um meinen linken Arm und Ellbogen gewickelt – Gert schreit vor Schmerz –, kann ich ihn einige Meter in eine Senke hinunterlassen. Er diagnostiziert selbst einen offenen Unterschenkelbruch. Ein Stück seines Schienbeinknochens – er hat die Größe einer Streichholzschachtel – finde ich beim Abseilen zu ihm.'“
„Oswald ist klar, dass er seinem Freund allein nicht helfen kann. Er packt ihn in einen Biwaksack und steigt ab, um Hilfe zu holen. Rettungsmannschaften gibt es in Ostafrika damals nicht; eine Taubergung mit dem Hubschrauber ist unbekannt.“
„Was tun? Oswald klettert wieder hoch – Gert lebt noch –, versorgt den Fiebernden, hält bei ihm aus. Aber auch als Helfer kommen, ist ein Abtransport nicht möglich. Inzwischen ist Gerts Vater in Nairobi gelandet und erfährt, dass sein Sohn noch am Leben ist. Er organisiert eine transkontinentale Rettungsaktion. Sechs Tage und sechs Nächte liegt Gert schon mit schweren Verletzungen auf einem kleinen Felsvorsprung in mehr als 5.000 Meter Höhe. Sämtliche Infusionslösungen und Morphiumampullen sind inzwischen aufgebraucht. Das Abseilen aber – bei heftigen Schneestürmen, zu kurzen Seilen und fehlender Ausrüstung – bleibt ein unlösbares Problem.“
„Bis im Nebel und Schneetreiben in der Person des erfahrenen Bergsteigers Werner Heim ein Retter auftaucht. Mit diesem Deus ex machina und seiner Rettungsmannschaft aus Tirol beginnt Gert Judmaiers zweites Leben. Gemeinsam mit Dr. Raimund Margreiter, Walter Larcher, Kurt Pittracher und Walter Spitzenstätter gelingt das Wunder, dem Vater seinen Sohn zurückzubringen.“
„Seit den gemeinsamen Tagen im Krankenhaus bin ich mit Bulle und Gert befreundet. Die Idee, einen Film über ihre wundervolle Rettung am Mount Kenya zu machen, kam später. ServusTV hat es möglich gemacht und mir den Freiraum gelassen, die Geschichte so nachzuerzählen, als wären wir als Zuschauer vor Ort dabei gewesen: Bulles Einsatz bis zur Selbstaufgabe, Gerts Überlebenskampf und vor allem die gekonnte Rettungsaktion gehören in Summe zu den Sternstunden des traditionellen Alpinismus.“
„Denn die Hauptrolle – 1970 und 2015/16 bei den Dreharbeiten – spielte der Berg. Meine Neugierde galt dabei den Emotionen der Protagonisten, meine Rolle war diesmal eine hinter der Kamera.“
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