Schnee wie Sushireis: Skifahren in Japan
Foto: Klaus Haberstroh
Während Schneeliebhaber in den heimischen Alpen jetzt die schönste Zeit des Jahres verbringen, bin ich mit den Gedanken oft ganz weit weg.
Von November bis Mai veranstalte ich vorwiegend Ski- und Skitourenreisen in Gebiete außerhalb der Alpen. Teilweise erreiche ich den Gipfel des Store Kjostinden (1.488 m) in den norwegischen Lyngen Alpen öfter mit Ski als die benachbarte Serles (2.718 m) in Tirol. Die Schauplätze wechseln und ich habe mich an den Rhythmus gewöhnt, neue Gebiete zu erkunden und mich dort auf die Suche nach dem besten Schnee zu begeben. Im letzten Winter erstaunte und begeisterte mich dabei eine Region ganz besonders – die Japanischen Alpen auf der Hauptinsel Honshu.
Um die Landschaft in Jomo Kogen, einem Bahnhof der Shinkansen-Linie Juetsu, zu betrachten, muss man eine lange Anreise in Kauf nehmen. Ab hier schlängeln sich kleine Straßen in die gebirgige Landschaft, die sich auf den ersten Blick nicht sonderlich schneereich präsentiert. Es ist Mitte Januar und nebst trockenen Straßen und dem homogenen Braun der umliegenden Wälder treten nur vereinzelt Schneebereiche in den Vordergrund. Da hatte ich mir mehr Winter erwartet!
Ich vernehme ein freundliches Hupen und sehe meinen Freund Flory aus einem äußerst kompakt gebauten japanischen 10-Sitzer lachen. Er nimmt mich in Empfang und tröstet mich über meinen enttäuschten Ersteindruck hinweg. „Wart's ab“, sagt er. Wir folgen einem Tal nach Norden und Kurve um Kurve ändert sich das Bild hin zu einer exotischen Winterlandschaft.
Keine 20 Kilometer vom Bahnhof entfernt fahren wir schon durch zwei Meter hohe Schneewände. In mir regt sich pure Freude und als wir schließlich durch geothermal erhitzte Wasserfontänen rauschen, ist mein Vorstellungsvermögen kurz irritiert. Hier schneit es beinahe täglich und in derartig großen Mengen, dass eine herkömmliche Schneeräumung nicht ausreicht, um die Straßen befahrbar zu halten. Riesige Fallbeile bewegen Wechtensäume etliche Meter oberhalb der Straße zum kontrollierten Kollaps. Ich bin begeistert und verbringe den Rest der kurzen Fahrt mit Staunen. Das Thermometer an der Hoteleinfahrt zeigt leichte Minusgrade an – eine laut Flory übliche Situation. „So richtig kalt ist's hier im Tal selten“, meint er.
Flory ist bereits länger auf Honshu und kennt einige der vielen kleinen Skigebiete. Jedes hat seinen eigenen Charakter und oft besteht eine wesentliche Aufgabe für einen Bergführer darin, mit den spärlichen Informationen im Vorfeld das richtige Gebiet zu wählen.
Es gibt unterschiedliche Regelungen für Fahrten abseits der Pisten und ohne topographische Karte ist die Orientierung in meist schneeumtobten Wäldern eine Herausforderung. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, flüssige und qualitativ hochwertige Skitage zu gestalten. Doch ich habe Glück – nicht nur, weil ich Flory eine Zeit lang über seine erfahrene Schulter blicken kann, sondern auch durch ein Zeitfenster mit guter Sicht. Die Orientierung gelingt mir immer besser und ich bekomme ein besseres Gefühl für die Freerides.
Viele davon sind von den meist alten Lift- und Seilbahnanlagen aus gut erreichbar. Einige liegen abseits und um sie zu fahren, muss man mit Fellen aufsteigen oder aufwendige Querfahrten in Kauf nehmen. Meist bewegen wir uns unterhalb der Waldgrenze. Nur in ausgewählten Momenten stehen wir oberhalb und betrachten die uns umgebende, fremd wirkende Landschaft. Wir pflügen durch flockigen Sushi-Powder und erblicken keine Gleichgesinnten.
Beides, die Tatsache allein zu sein und ohne Hektik die bizarren, tief verschneiten Birkenwälder zu durchfahren sowie der anhaltend hohe Erlebniswert jeder einzelnen Abfahrt, hält uns die Exklusivität unseres Tuns vor Augen. Wir befinden uns jedoch auch weit abseits und ich denke an die ernsten Konsequenzen im Falle eines Notfalls.
Zufrieden und dankbar sitzen, besser gesagt, knien wir abends in traditionellen japanischen Restaurants und erfahren Gaumen- und Geschmackserlebnisse der besonderen Art. Wer eine Abneigung gegen Fisch und undefinierbares Meeresgetier hat, der wird zumindest in puncto Kulinarik in Japan nicht glücklich. Spät abends sitzen wir in den gut 40°C heißen Onsen (Becken mit heißem Quellwasser) und lassen den Tag Revue passieren.
Täglich ergeben sich Situationen und Anblicke, die völlig konträr sind zu unserem gewohnten Umfeld. Skifahren auf Honshu bedeutet mehr als bis zur Nase im Schnee zu stöbern. Es ist weich und exotisch. Es ist anspruchsvoll und Ehrfurcht erregend. Es ist verrückt und isoliert. Es ist aufregend und Glück bringend. Und: Es ist noch besser, als man es sich vorstellt.
Informationen:
Beste Reisezeit: Mitte Dezember bis Anfang Februar
Anreise: Flug nach Tokyo Narita (NRT), Weiterreise mit dem Zug nach Jomo Kogen oder Nagano.
Informationen zu den Skigebieten: snow-forecast.com
Veranstalter: Ski-Berge-Abenteuer – Privatgruppen auf Anfrage.
Kommunikation: Mit Englisch kommt man nur bedingt weiter. Vielerorts wird nur Japanisch gesprochen. Respekt und Freundlichkeit sowie Übersetzungsprogramme helfen bei der Kommunikation. Es empfiehlt sich, vor Antritt der Reise mit den Besonderheiten der japanischen Kultur auseinanderzusetzen (Literaturtipp: „Fettnäpfchenführer Japan“).
Empfohlene Ausrüstung: Freerideski mit Mittelbreite > 110 mm. Bindung mit Gehfunktion, Felle, vollständige Notfallausrüstung, technische und funktionelle Kleidung. Alternativ ein Splitboard bzw. Board mit Schneeschuhen.
Notfall: 110 (Polizei) und 119 (Rettungsdienst). Zusätzliche Informationen in den Skigebieten. Im Fall eines Notfalls ist man größtenteils auf sich allein gestellt. Entsprechend sollte dieses Thema behandelt und die Ausrüstung abgestimmt werden.
Skitouren in Japan: Zwischen Powder und Vulkanen
- Berg & Freizeit
Nasim Eshqi: „Die Schwerkraft ist für alle gleich“
- Alpinwissen
Expedition auf den Cho Oyu
- Berg & Freizeit
Jonas Deichmann: „In Mexiko nennen sie mich Forrest Gump“
- Berg & Freizeit
Ana Zirner im Kaukasus: Zwischen den Welten
- Berg & Freizeit
Zanskar – ein Himalaya-Juwel in Nordindien
- Berg & Freizeit
Die ungebrochene Klettersteig-Faszination