Melde dich an und erhalte Zugang zu einzigartigen Inhalten und Angebote!


AnmeldenRegistrieren
Abonnieren

Bergstation - die Maseben in Südtirol

Regionen

5 Min.

27.09.2021

Foto: Rudi Wyhlidal

Anzeige

Anzeige

Im Südtiroler Vinschgau, nahe am Reschenpass, versteckt sich in einem Seitental eine der außergewöhnlichsten Berghütten der Alpen. Die Maseben bietet Kulisse und Genüsse, einen privaten Skilift und sehr viel Einsamkeit.

Sissi Pärsch für das Bergweltenmagazin Dezember/Jänner 2019/20

Alessandro Secci dachte, er höre nicht mehr so richtig, als er im Sommer 2015 die Entscheidung traf, ein Skigebiet zu kaufen, um es final stillzulegen. Fast einen ganzen Tag war er allein auf einer Bank vor der leerstehenden Maseben-Hütte auf 2.267 Metern gesessen. „Und plötzlich dachte ich: O Gott, du hörst nichts mehr, du musst zum Arzt.“ Aber es war kein Gehörverlust.

Es war die Stille des Langtauferer Tals, diesem unbekannten Seitenarm, der im oberen Vinschgau in die Welt der österreichisch-italienischen Grenzberge abzweigt. Der 48-Jährige, den sie hier alle Secci nennen, hört sehr gut. Und er hört sehr gern auf sein Herz. „Auch wenn ich mit meiner Frau noch viel abgewogen habe, ist die Entscheidung doch genau zu diesem Zeitpunkt gefallen.“ Man sagt nichts, nickt nur und blickt mit Secci in die Berge.

Einige Stunden zuvor ging es am wenige Kilometer entfernten Reschenpass noch ganz anders zu: parkplatzsuchende Autofahrer in Kolonnen, die Schritttempo fahren, die Augen nicht auf die Straße, sondern auf den Stausee gerichtet. Der berühmte, halbversunkene Kirchturm von Altgraun ist auch im Winter ein Muststop-Spot. Nur wenige hundert Meter weiter geht es links ab in das Langtauferer Tal – und damit ab in die Einsamkeit. Das Tal ist eine Sackgasse mit ein paar Weilern und Gehöften.

In nur wenigen Sekunden ist der Reschen-Rummel auch wieder vergessen. Die Szenerie ist wuchtig und heimelig zugleich. Die Weißseespitze mit ihren 3.532 Metern steht zur Linken, die 3.738 Meter hohe Weißkugel zur Rechten. Ganz hinten, weit oben, liegt das Gletschereis und das Kaunertaler Skigebiet. Unten am Ende des Tals liegt Kappl: eine Kirche, eine Langlaufloipe, einige Skitourenspuren, die unter anderem Richtung Maseben-Hütte führen. 


Die Ruhe, um aufs Herz zu hören

1976 taten sich fünf, sechs Einheimische zusammen, um das vergessene Seitental durch ein Skigebiet zu beleben und errichteten einen Sessellift, einen Schlepper und eine Hütte. Schon bald stellte sich heraus: Der größte Erfolg sollte die Abwendung eines Konkurses bleiben. „Wie bei allen kleinen Skigebieten musste irgendwann die Gemeinde einspringen.

Und dann ist es selbst ihr mit den Schulden zu viel geworden“, erklärt Secci das Schicksal des Miniatur-Skigebiets. Es wurde an einen Hotelier aus Gröden verkauft, doch ab 2013 standen die Lifte still und die Hütte leer. „Ich habe einen Freund, Albert“, erzählt Alessandro und wirft augenzwinkernd hinterher: „Vielleicht ist er auch mein Feind.“

Ob Freund oder Feind, Albert überredete Secci, aus dieser schlafenden Perle etwas zu machen. Und so kam es zu diesem Tag im Sommer 2015, an dem es um Secci offenbar so ruhig war, dass er sein Herz gut hören konnte. Er richtete die Hütte her, baute eine große Sonnenterrasse, legte den Sessellift endgültig still und sich stattdessen eine schwedische Militärpistenraupe zu, „eine Hägglunds BV206 mit 136 PS und zahlreichen Macken“.

Die 400 Höhenmeter zur Maseben steigt man im Winter entspannt mit Schneeschuhen oder mit den Tourenskiern auf. Schweres Gepäck, ältere oder ganz kleine Gäste nimmt Secci mit der Raupe mit – und auch den einen oder anderen (meist jungen) Skifahrer. 

Vor der Hütte läuft der ein Kilometer lange Schlepplift wieder – der womöglich einsamste Lift der Alpen und der womöglich billigste: Zehn Euro kostet das Tagesticket. Anstehen muss man hier nicht. Eine Handvoll Kinder powern sich in Endlosschleife aus, ein paar Skitourengeher lassen sich das Stückerl nach oben ziehen, um dann die hinteren Gipfel in Angriff zu nehmen: links die 3.199 Meter hohe Falbanairspitze, geradeaus die nur etwas niedrigere Mitterlochspitze, rechts die steilere, anspruchsvollere Tiergartenspitze.

Von dort oben reicht der Blick zurück über das Langtauferer Tal auf das blaue Eis von Gepatschferner und Bärenbartferner im Nordosten, in der westlichen Gegenrichtung auf den Reschensee und die Ortlergruppe im Süden. Aber auch 1.000 Meter weiter unten, mit dem Rücken an die warme Hüttenholzwand gelehnt, möchte man sich nicht über die schneeweißen und himmelblauen Aussichten beschweren. Auf welchem der Gipfel Toni Steiner gerade noch gestanden ist, möchte er nicht sagen. Er druckst ein wenig herum.

Man ahnt, dass es wohl mehrere waren. Ohne auch nur eine Schweißperle auf der Stirn zu haben, sitzt der fanatische Skitourengeher beim späten Frühstück inmitten einer Gruppe ebenso fanatischer Skitourengeher. Allesamt einheimisch, allesamt durchtrainiert, allesamt Feinschmecker. „Ich will nicht nur den Berg genießen, sondern auch das Leben“, sagt der aus dem Vinschgauer Marmordorf Laas stammende Toni und beginnt, kulinarische Empfehlungen auszusprechen.


Italiens beste Marille

Seccis Küche hat einen mediterranen Einschlag. Es gibt viel Pasta, der Parmesan kommt in Spänen und das Rindfleisch von Freund (oder Feind) Albert aus dem Tal. Seccis Vater stammt aus Sardinien, seine Mutter ursprünglich aus Padua. „Mein Großvater mütterlicherseits war Schlosser und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der Firma eingestellt, die den Stausee baute.“

Und auch seinen Vater brachte die Politik nach Oberitalien: „Er war Carabiniere und wurde 1965 nach Meran versetzt.“ Es waren die Jahre der terroristischen Unruhen in Südtirol. Seinem Vater erzählte man, er würde an einem Kriegsschauplatz landen. In voller Kampfmontur kam er nach Südtirol „und hatte es dann mit zwei betrunkenen Bauern zu tun, anstatt mit politischen Aktivisten, die einen Anschlag planen“. Secci verbrachte die Hälfte seiner Kindheit und Jugend auf Sardinien beim Großvater, von dem er unter anderem das Schnapsbrennen erlernte.

Der Vater Carabiniere, der Sohn „Schwarzbrennmeister“. Aber Secci legalisierte 2010 sein hochprozentiges Geschäft und sammelt inzwischen Goldmedaillen mit den Destillaten. Sein Marillenbrand wurde zu Italiens bestem gekürt. Seit kurzem produziert er auch Gin. „Du brauchst gute Produkte“, sagt der Hüttenwirt, „Zeit und guten Geschmack.“ Den habe ja heute nicht mehr jeder, meint er. Secci hat in seinem Leben einige Haken geschlagen. Mit 13 Jahren ist er von der Schule abgegangen, um zu arbeiten. Er war Handlanger und Kellner, Getränkelieferant, Senner und Schwimmbadmonteur.

Er ist auf Strommasten geklettert und schließlich zur Maseben-Hütte aufgestiegen und hat dort „den Ort gefunden, wo ich mich richtig wohlfühle“. Vor allem, ergänzt er, „weil es hier keinen Durchgangsverkehr gibt“. Die Leute kommen gezielt zu ihm.

So wie auch Anna und Carina aus Schlanders. Als Kinder waren sie ab und zu im Langtauferer Tal. „Seit Secci das hier aufgebaut hat, kommen wir immer öfter“, sagt Carina. Fünf Jahre hat sie in Wien gelebt und sich dann über Innsbruck wieder ihrer Heimat angenähert. „Je älter man wird, desto mehr sucht man das Abgelegene“, meint sie.

Für Toni ist es nicht nur die Abwesenheit von Menschenscharen, die er an der Maseben-Hütte so sehr schätzt, sondern die Ruhe schlechthin. „Hört hin“, fordert er und reckt den Zeigefinger nach oben: „Keine Musik.“ Tatsächlich, die Boxen sind stumm. Secci weigert sich, sie anzuschließen. Auch abends finden sich überschaubare Grüppchen ein. Drei Freunde aus dem bayerischen Allgäu verbringen auf der Maseben zum zweiten Mal ihr Stamm-Skitouren-Wochenende.

Zufällig waren sie im letzten Jahr hier gelandet und von den Tourenmöglichkeiten und dem Hüttenkomfort begeistert. Die kleinen Zimmer sind alle mit Dusche und WC ausgestattet. „Und von dem Essen“, betont einer noch.

Das könnte der Nachbartisch wohl bestätigen. Dort sitzt ein Dreikäsehoch vor seinem kindskopfgroßen Mitterloch-Burger und weiß nicht, wo er anfangen soll. Sein großer Bruder stibitzt derweil unbemerkt die Kartoffel-Wedges. Die Familie ist zu Fuß hinaufgestapft, leiht sich von Secci einen Schlitten und wird, mit Stirnlampe ausgerüstet, wieder hinunterrodeln. Auch Seccis Frau ist heraufgekommen. Normalerweise arbeitet sie zuhause im Tal in Mals.

„Einer von uns muss ja auch Geld verdienen“, stellt Secci fest. „Aber ich warte, bis das Eisen unglaublich teuer wird und dann verkaufe ich den Sessellift.“ Das kann noch eine Weile dauern. Und das ist auch gut so. Denn bis dahin betreibt er eine der außergewöhnlichsten Berghütten der Alpen.