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Frauen am Berg

Dörte Pietron: Portrait einer Alpinistin

• 8. März 2017
5 Min. Lesezeit

Sie stand auf dem schwierigsten Berg der Welt, dem Cerro Torre. Sie leitet seit 6 Jahren den DAV Frauenkader. Dörte Pietron, Diplomphysikerin und Profibergführerin, im Porträt.

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An der Cima Scotoni in den Dolomiten
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Text: Malte Roeper

Ihren Freiheitswillen spürt man schon, wenn man mit ihr einen Termin vereinbaren will: Profibergführerin und Spitzenalpinistin Dörte Pietron steht vor der Wahl zwischen Samstag oder Sonntag, das ganze drei Wochen im Voraus. Weil ich es ihr leicht machen will, lasse ich sie aussuchen. Ihr Problem dabei: Drei Wochen im Voraus ist völlig unklar, wie das Wetter wird. Falls nun der Tag mit dem Interview ein sonniger und der andere verregnet ist, dann kann sie an diesem anderen Tag nicht klettern. Und sie liebt die Publicity zu wenig und das Klettern zu sehr, um das leichtfertig zu riskieren. Aber dann kurzfristig absagen, umdisponieren, Sonderwünsche anmelden – das kommt bei ihr nicht infrage, das spürt man ebenfalls schon am Telefon. Verbindlich sein, zuverlässig sein: Das ist Pflicht.

„Ich plane einfach ungern langfristig“, sagt sie. „Wenn der Alpenverein mich für bestimmte Kurse buchen will, dann muss ich mich natürlich trotzdem ein halbes Jahr im Voraus festlegen oder noch länger. Schrecklich!“ Sie lacht verlegen, weil ihr klar ist, wie luxuriös diese Freiheit auf andere wirken muss. Das alles bringt sie ja auch noch mit der großen Liebe unter einen Hut: Mit dem Spitzenbergsteiger Rolando „Rolo“ Garibotti lebt sie die Hälfte des Jahres in Südtirol und die andere Hälfte in Patagonien, seiner argentinischen Heimat. Den Sommer in Europa, den Winter im Süden – was vom Rhythmus ein bisserl an Rentner erinnert, die zum Überwintern an die Costa Brava fliegen, ist bei ihr ein Lebensentwurf, auf den sie spät, aber mit äußerster Geradlinigkeit zusteuerte.

Im gebirgsfernen Heidelberg aufgewachsen, unternahm sie die ersten Bergtouren im Jahr vor der Matura und kam erst während des Studiums zum Klettern. Atemberaubend kurze zweieinhalb Jahre später stand sie als einzige Frau im Expeditionskader des Deutschen Alpenvereins, einem damals neu ins Leben gerufenen Förderprogramm für die besten Nachwuchsbergsteiger des Landes. „Klar wurde ich im Studium schnell besser“, lacht sie wieder. „Da hatte man ja noch ziemlich viel Freizeit – das war noch nicht so streng wie heute.“
Die dunkle Seite der Berge lernte sie dabei empfindlich früh kennen: Ihr damaliger Freund starb während einer Skitour in einer Lawine. Zum Verlust kam hinzu, dass sie die Berge ja gerade erst als ihren Ort des Glücks entdeckt hatte. Die Berge aufgeben? Nein, sie hatte ja immer gewusst, dass etwas passieren kann. Einfach weitermachen? Das ging natürlich auch nicht.
Ihre Lösung: Sie ging allein auf Skitouren, um sich mit dem Geschehen und den Erinnerungen auseinanderzusetzen – ebendort, wo Lawinen abgehen können. Natürlich war das gefährlicher als zu zweit, aber fertigwerden mit dem Geschehenen musste sie ja auch allein.

Sie schloss das Studium mit einem Diplom in Physik ab und wäre nun eigentlich gern in die Forschung gegangen. Mit der vielen freien Zeit am Fels wäre es in so einem High-End-Job allerdings vorbei gewesen. Es gab nur eine Entscheidung, und die traf sie schnell: „Als Bergführer kannst du so wenig arbeiten, wie du willst.“ Rund vierhundertfünfzig Bergführer gab es damals in Deutschland, unter ihnen fünf Frauen – bald war es eine mehr. Sie hatte richtig entschieden: Sie war frei. Sie war glücklich. Und sie kletterte, so viel es ging.

Die unverzichtbare Exotin

Dass sie als bergführende Frau im Grund eine Exotin war – und immer noch ist –, das kümmerte sie genauso wenig wie in der Physik, einer Disziplin, die ebenfalls nicht den Ruf hat, frauenlastig zu sein. Wenn sie als Seilpartner häufig Frauen wählt, steckt auch dahinter nicht der Ansatz, den Männern irgendetwas zu beweisen, sondern schlicht Freundschaften, gleiche Wellenlängen, die gleiche Leidenschaft und ein ähnliches Niveau. Denn wenn beide nicht gleich gut sind, dann ist einer oder eine Chef beziehungsweise Chefin. Und das mag sie nicht. Seit 2011 leitet sie den DAV-Frauenkader, die weibliche Ausgabe des Nachwuchsförderprogramms, aus dem sie selbst einst hervorging. Sie liebt die Arbeit mit ihren „Mädels“, betreut sie zwei Jahre lang vom Auswahlcamp über die einzelnen Lehrgänge bis zur Abschlussexpedition.
 

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Jung, weiblich, mutig: Expeditionskader des Alpenvereins

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Die wenigen anderen Frauen, die das entsprechende alpinistische Niveau mitbrächten, um sie abzulösen, sind meist keine Bergführerinnen. Umso glücklicher zeigt sich der Alpenverein, dass die Unverzichtbare ihren Vertrag soeben für den nächsten Kader verlängert hat.

Wenn Dörte über ihre „Mädels“ spricht, wirkt sie mindestens genauso glücklich: „Alle aus den beiden ersten Kadern haben mit dem Bergsteigen weitergemacht, die meisten haben sich deutlich verbessert, einige die Bergführerausbildung begonnen. Das ist ein tolles Gefühl!“ Ein besonderes Highlight zündeten ihre einstigen „Lehrmädels“ Christina Huber und Caroline North, die im vergangenen Winter als zweite Frauenseilschaft überhaupt auf dem sturmumtosten Cerro Torre standen.
Auf dem Torre in Patagonien war Dörte selbst bereits zweimal und viermal auf dem davon nicht weit entfernten Fitz Roy, 2010 hat sie beide Gipfel innerhalb einer Woche bestiegen. Die „Schweizer Führe“ an der Westlichen Zinne kletterte sie „on sight“, also ohne Herumprobieren im ersten Versuch.

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Morgendliche Teezeremonie in den Dolomiten

Es gibt wenige Frauen auf diesem Niveau und keine, die um ihre Leistungen so wenig Aufhebens macht. Viele Spitzenalpinisten betonen, dass ihnen die anderen egal sind und sie doch nur in die Berge gehen, weil sie es lieben. Bei den wenigsten klingt es so überzeugend wie bei ihr. Als sie Rolo vor sieben Jahren kennenlernte, verdiente er sein Geld als Bergführer in den USA. Sie lebte noch in Deutschland. „Das wäre auf Dauer keine gute Situation gewesen. Da mussten wir eine Entscheidung treffen.“ Die Fähigkeit, solche Entscheidungen schnell und sicher zu treffen, dürfte sie vom Vater haben.

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Der Interkontinentalumzug

Papa Pietron war Lehrer in der DDR. Als die Polizei in die Schule kam, um ihn wegen einer verbotenen Hose aus dem Westen festzunehmen, wurde er rechtzeitig gewarnt. Der Junggeselle floh noch am selben Tag in den Westen. Ein paar Jahrzehnte später traf seine Tochter die weniger dramatische, aber für ihr eigenes Leben vergleichbar wegweisende Entscheidung, „dass wir halt die Länder wechseln – von den USA und Deutschland nach Italien und Argentinien“, lächelt sie, als sei so ein Interkontinentalumzug auch nicht schwieriger als Brötchenholen in Heidelberg.

In Südtirol haben Dörte und Rollo eine kleine Wohnung in Davare gemietet, einem Neun-Häuser-Nest im Herzen der Dolomiten. In El Chaltén, dem Talort der Fitz-Roy-Gruppe, haben sie ein Häuschen gekauft – mit winzigen sechsunddreißig Quadratmetern. Der Komfort notgedrungen klein, die Freiheit ganz groß: Dörte Pietron hat ihren Weg ins Glück gefunden.

 

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Dörte Pietron auf dem Gipfelgrat des argentinischen Cerro Domo Blanco

Zur Person

  • DÖRTE PIETRON, geboren 1981 in Heidelberg, ist Diplomphysikerin und Profibergführerin.
  • Zweimal stand sie auf dem Cerro Torre in Patagonien, einem der schwierigsten Berge der Welt. Seit sechs Jahren leitet sie den DAVFrauenkader, ein Ausbildungsprogramm für junge Bergsteigerinnen.
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Die Geschichte erschien erstmals im Bergwelten Magazin (01/2016).

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