Eisacktal: Wie das Dolce Vita in die Berge kam
Foto: Elias Holzknecht
Von Sterzing bis Bozen: Mediterrane Leichtigkeit trifft Tiroler Selbstbewusstsein – und das tut beiden Seiten gut.
Noch schläft das Eisacktal. Dämmert unter einer Wolkendecke, die sich watteweich an die Berghänge kuschelt, dem Tag entgegen. Hier, hier heroben am Rosskopf (2.189 m), auf Italienisch Monte Cavallo, erhebt sich bereits die Sonne. Die ersten Strahlen färben den Himmel orange. Für einen Augenblick ist da ein Hauch von Rosa, ein helles Gelb – und dann, dann schließen wir die Augen, weil sie ganz da ist, die Sonne, und uns blendet. Wir hören ein sanftes Rauschen, das Scheppern der Kuhglocken von der Vallmingalm, das Zwitschern erwachender Vögel. Als wir ein leises Knirschen vernehmen, öffnen wir blinzelnd die Augen. Eine junge Frau läuft an uns vorbei, über den schmalen Grat geradewegs auf den Gipfel zu.
Oben, wo bereits drei Wanderer ans Kreuz gelehnt die morgendliche Wärme genießen, verharrt sie für drei, vier tiefe Atemzüge, schlüpft in einen dünnen Pullover und läuft wieder bergab. Das Gras ist feucht. Taunass. Tropfen funkeln in der Sonne. Eine sanfte Brise bewegt die Halme. Das Grau der Dämmerung weicht; schneller, immer schneller werden die Farben kräftiger – so, als passten sie sich dem temporeichen Rhythmus der Läuferin an. Die Wiesen leuchten grün. Weit sehen wir jetzt hinein ins Eisacktal. Es erstreckt sich über eine Länge von 80 Kilometern vom Brennerpass bis zur Landeshauptstadt Bozen. Als eines der Haupttäler Südtirols wird es von malerischen Seitentälern begleitet: dem Pflersch, Pfitscher und Ridnaun bei Sterzing zum Beispiel, dem Lüsner Tal bei Brixen oder dem Dolomitental Villnöss bei Klausen. Es ist geprägt von einem ganz besonderen Lebensgefühl.
Gründlich und witzig
Hier trifft alpine Bodenständigkeit auf italienisches Dolce far niente, mediterrane Leichtigkeit auf gewachsenes Selbstbewusstsein. „Wir sind keine Tiroler. Wir sind keine Italiener. Wir sind Südtiroler“, sagt der Direktor des Tourismusvereins Sterzing, Josef Turin. Und sein Kollege aus Villnöss, Klaus Messner, meint: „Die Gründlichkeit der Deutschen mit dem Witz der Italiener zu verbinden haben wir Südtiroler gelernt – das kann ein Vorteil sein.“ Der Direttore von Brixen Tourismus, Werner Zanotti, erzählt, dass er in seiner Studienzeit in Bologna auf Italienisch geträumt hat, „heute jedoch auf Deutsch“. Gesprochen wird, wie’s notwendig ist. Wichtig ist nicht, welche Sprache verwendet, sondern vielmehr, was gesagt wird.
Wir erinnern uns jetzt an einen schönen Satz, den uns Franz Pernthaler vor zwei Tagen mit auf den Weg gegeben hat, als wir ihn auf seiner Schatzerhütte (2.004 m) auf der Plose bei Brixen besucht haben: „Hier heroben, da will jeder reden. Eine Hütte ist wie ein Beichtstuhl. Da werden die Leut’ offen – da sind die Berge, das ist die Weite des Tals, da ist die Ruhe.“ Damit hat er recht, der Franz. Die Hektik bleibt unten, unten im Tal. Und auch wenn wir die Stille der Gipfel genießen, sobald wir andere Wanderer treffen, wird geredet. Über Gott und die Welt, das Essen, die Berge. Werner Zanotti sagt: „Du spürst die Aura, die sie umgibt.“ Wir essen rosa gebratenes Lamm, Kartoffelgratin mit Fenchelgemüse, später ein luftiges Schokoladensoufflé.
Franz Pernthaler, der für uns gekocht hat, führt die Schatzerhütte seit 1982. Knapp 22 Jahre war er alt, als er sie übernommen hat. Runter will er nicht mehr: „Nur da heroben kannst du deine Träume verwirklichen.“ Die Berge als Heimat für Individualisten. Das gilt auch für Gerhard Runggatscher. Er steht in der Geisleralm (1.996 m) hinter dem Herd. „Er ist einer der besten Köche“, schwärmt der Villnösser Tourismusdirektor Klaus Messner, „ein Abenteurer, der immer wieder überrascht.“
Schutz für die Teufelskralle
Die Geisleralm liegt mitten im Naturpark Puez-Geisler (auf Italienisch Parco Naturale Puez-Odle). Er ist einer von sieben in Südtirol. Auf einer Fläche von 10.196 Hektar bietet er Schutz für viele Tiere des Alpenraums, allerdings auch für seltene Pflanzen wie beispielsweise die prächtige Teufelskralle oder den blauen Enzian. Seinen Namen hat er von den markanten Gipfeln der Puez- und der Geislergruppe, UNESCO-Welterbe seit 2009. Wir sitzen nun draußen vor der Hütte und genießen Almochsen-Carpaccio mit Rucola-Käse, Bauernspeck, eine Kaminwurzen, Graukäse und Hausgeräuchertes auf Knödelscheiben mit Pfifferlingen – eine Brettljausn de luxe.
Graurinder liegen auf der Wiese in Sichtweite die Hütte von Reinhold Messner. Wir spüren die Kraft der Sonne. Die Gipfel der Geisler sind in den Wolken versteckt. Klaus Messner (nein, er ist nicht mit Reinhold Messner verwandt) reimt: „Haben die Geisler an Huat, wird des Wetter guat.“ Über der Mittagsscharte (2.597 m) schwebt ein schwarzer Punkt. „Der Adler“, sagt Messner. Und das klingt so, als wäre der Raubvogel ein guter alter Bekannter; einer, auf den man stolz ist, wenn man ihn vorstellen darf. Der Adler zieht seine Kreise. Und dann fliegt er raus, raus ins Eisacktal.
Die Geisleralm im Detail
Geisleralm
Tourentipps
Wanderung zur Geisleralm von Ranui/St. Magdalena
Dolorama - Etappe 3: Schlüterhütte bis Raschötzhütte
Odla di Valdussa
Sas Rigais - Rundtour durch die Geislergruppe – Die Rundtour über das Kreuzjoch, die Wasserscharte, durch das Wasserrinnental und den Ostanstieg auf den Sas Rigais, führt bis zum Gipfel Bergeinsamkeit, den man hier hautnah erleben kann. Die Berg- und Klettersteigtour ist mit über 20 km und über 2.000 Hm aufgrund der Auf- und Abstiege konditionell fordernd. Sie beginnt beim Parkplatz Zans, führt beim Gasthof Sas Rigais vorbei und leitet in 9:15 Stunden hinauf zur Tschantschenonalm.
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