Gravelbiken zwischen dem Chiemgau, Tirol und dem Salzburger Land
Sieht aus wie ein Rennrad, fährt aber über Stock und Stein: Das Gravelbike erlebt gerade einen Hype, weil es sowohl Asphalt als auch Schotter kann. Zwei Welten, die man am besten im Grenzgebiet zwischen dem Chiemgau, dem Salzburger Land und Tirol erfährt.
Anke Eberhardt für das Bergweltenmagazin Juni/Juli 2019
Wessen saublöde Idee war das eigentlich, den Huber Andi nach einer Tour für unseren Fahrradtest zu fragen? Ach ja: meine. Schließlich befinden wir uns im Chiemgau, wo traditionell der Nachname vor dem Vornamen genannt wird und man an besagtem Huber Andi, dem Initiator der Mountainbike-Runde „Chiemgau King“, in Sachen Fahrrad nicht vorbeikommt.
Tag 1: Mit den Rädern wollt ihr da runter?
Im Moment kommen wir aber deswegen nicht am Huber Andi vorbei, weil sich zwischen ihm, der freudig über Wurzeln und Steinstufen rollert, und uns, die wir schon schiebend Mühe haben, den Steig runterzukommen, der Abstand beständig vergrößert.
Selbst mit einem Mountainbike wäre es keine Anfängerrunde, von der Winklmoosalm aus über die Grenze nach Österreich zu radeln und dann über einen alten Schmugglerweg wieder nach Deutschland zu gelangen – geschweige denn zum Abschluss den besagten Steig vom Staubfall nach Ruhpolding hinunterzufahren. Kein Wunder, dass uns entgegenkommende Menschen mit vollgefederten Rädern vor ein paar Minuten noch ungläubig gefragt haben, ob wir mit diesen Rädern da runterwollen.
Da hatten wir den Steig noch nicht gesehen und erwiderten so selbstbewusst, wie man es nur mit einem schweineteuren Trendsportgerät unterm Gesäß kann: „Das sind ja keine Rennräder, das sind Gravelbikes. Mit denen kann man alles fahren.“ Ja, kann man. Zumindest wenn man Huber Andi heißt.
Wir tragen die Räder hingegen lieber und preisen bei jedem Schritt die geringe Zahl der Kilos, die auf unseren Schultern liegen. Carbon statt Kondition – das gilt auch bergab. Gravelbikes also. Oder auch Cyclocrossräder. Der Unterschied liegt im Einsatzgebiet (Allzweckwaffe versus Wettkampfrad), in der Geometrie und in sonstigen Details, die der Fahrradlaie ignoriert – er benutzt die zwei Begriffe meist synonym.
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Crosser oder Gravelbikes sind für den Anfänger einfach Rennräder mit etwas dickeren Reifen samt gröberem Profil, und somit in der Lage, nicht nur flott auf Asphalt zu fahren, sondern eben auch auf Schotterstraßen, Forstwegen oder, wenn man Huber Andi heißt, auf Trails. Susanne Haller und Fotograf Philipp Schönauer schütteln bei dieser dilettantischen Beschreibung natürlich synchron den Kopf.
Schließlich sind die zwei Fahrradfahrer. Also nicht Menschen, die Fahrrad fahren (so wie meine Freundin Franca und ich), sondern Fahrradfahrer. Dass der Sattel bei ihnen noch nicht mit dem Gesäß verschmolzen ist, ist ein Wunder.
Tag 2: Mit den Rädern wollen wir da rüber
„Des is doch a Schmarrn“, kommentiert Susanne unseren ersten Versuch in reinstem Bairisch. „Wir machen jetzt eine entspannte Gravelrunde – ohne Mountainbike-Einlage.“ Also rollen wir die Deutsche Alpenstraße entlang, biegen in den Wald ein und befinden uns plötzlich auf einem Weg, der auf Wikipedia als Beispiel für den Begriff Forststraße gezeigt werden könnte.
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Feinkörniger Schotter, einmal etwas mehr Erde, dann etwas mehr Stein, aber alles in allem eben und beständig. Auf diesem Untergrund zeigt sich das Gravelbike von seiner besten Seite: Wesentlich flinker als mit einem Mountainbike geht es bergauf. Die Reifen greifen zuverlässig auf dem Kies, und auf den festeren Abschnitten zwischen den Almwiesen am Röthelmoos nimmt man so schnell Tempo auf, dass man meinen könnte, man wäre kurz vor der Tour de France.
Bei der Dandlalm gibt es kühle Getränke aus dem großen Holztrog, zudem fast ebenso große Jausenteller. Und Almkäse. Und Kaiserschmarrn. Und schon am zweiten Tag auf den Gravelbikes ist klar: Die Dinger verheizen nicht nur Kilometer, sondern auch Kalorien. Man beschleunigt weitaus schneller als mit einem Mountainbike, verbraucht aber auch entsprechend viel Energie.
Und da das Thermometer inzwischen über die 30-Grad-Marke geklettert ist, entschließen wir uns, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. Im Tal warten drei Seen auf uns, die schon seit den frühen Morgenstunden von Badenden belagert werden.
Über eine hügelige Wiese fahren wir in der Falllinie auf den See zu und verschwenden keinen Gedanken ans Schieben. Querfeldein geht es zum Ufer, und wir haben tatsächlich das Gefühl, unsere Räder könnten einem Mountainbike zumindest ein kleines Glas Wasser reichen.
Tag 3: Mit den Rädern wollen wir da rauf!
Knackpunkt bei der Zahl gefahrener Kilometer ist ja bekanntlich, dass sie in direktem Zusammenhang mit dem Grad des darauf folgenden Muskelkaters steht. Gut, dass wir heute eine Straßenetappe geplant haben – von Reit im Winkl starten wir wieder Richtung Österreich und passieren die Grenze unbemerkt auf einem Schleichweg neben der Bundesstraße.
Rund um den Walchsee kann man auf Seitenstraßen testen, wie sich die Crosser auf Asphalt verhalten. Ergebnis: ganz hervorragend. Wer kein Rennrad gewohnt ist, wird meinen, auf einem solchen unterwegs zu sein, so flüssig, wie es sanfte Hügel hinauf- und noch flüssiger wieder hinunterrollt.
Schaut, da drüben geht ein Forstweg rauf! Eigentlich hatten wir geplant, nur eine kurze Abschlussrunde um den See zu drehen – keine wilden Höhenmeter, nur Straße und das Genießen der Aussicht auf die umliegenden Tiroler Berge. Aber da oben, meint Susanne und zeigt in Richtung Heuberg, habe sie im Winter einmal eine Skitour gemacht. Sehr schön sei das gewesen.
Da die müden Beine inzwischen gar nicht mehr so müde sind, entschließen wir uns kurzerhand, noch schnell zu schauen, wie es auf dem Heuberg im Sommer aussieht – und belegen damit den größten Vorteil, den Gravelbikes gegenüber Rennrädern haben: Da man nicht an Straßen gebunden ist, werden auch spontane Routenänderungen abseits des Asphalts möglich.
Und selbst wenn man sich einmal verfährt, ist es kein Drama: das Gravelbike kommt fast überall weiter. Es geht bergauf. Steil bergauf. Ein paar Mountainbiker kommen uns entgegen und befeuern das Gravel-Ego umso mehr. Wir schrauben uns Kehre um Kehre nach oben, an kleinen Almhäuschen vorbei, deren Dächer in der Sonne flirren, an Kühen, die sich den wenigen Schatten teilen.
Nachdem wir uns entschieden haben, dass es auf die letzten 200 Höhenmeter, die es noch bis zur Hageralm sind, jetzt auch nicht mehr ankommt, und wir in Gedanken schon einmal die Speisekarte rauf- und runterbestellen, bleibt eigentlich nur noch die Frage, wessen saublöde Idee das eigentlich war, ein Gravelbike zu testen. Denn jetzt muss man sich so ein Ding auch noch kaufen.