Iran: Bergsteigen abseits des Damavand
Foto: Mark Buzinkay
von Mark Buzinkay
Anders als der berühmte Damavand, gilt das Takht-i-Suleiman-Massiv im Norden des Iran nicht als vorrangiges Ziel westlicher Bergsteiger. Mark Buzinkay hat sich Zeit genommen, um die wilden 4.000er rund um den Alam-Kuh (4.850 m) genauer zu erkunden.
An einem wolkenlosen Morgen strecken wir die Köpfe aus dem Zelt und freuen uns auf einen wohl verdienten Ruhetag. Wir haben ihn dringend nötig. Unser Zeltplatz liegt auf 3.800 m Seehöhe auf einer Hochebene nordwestlich von Teheran. Unsere Glieder schmerzen immer noch bei der kleinsten Bewegung. Akklimatisation ist angesagt.
Vor zwei Tagen bin ich mit meinem Bergkamerad Micheal Auer hier angekommen. Ich bin auf einem Trip durch den Mittleren Osten, der mich durch Kurdistan und den Westen Irans in dessen Hauptstadt geführt hat. Michael brachte die Campingausrüstung aus dem heimatlichen Ötztal mit, den Proviant für zwei Bergwochen besorgten wir an einem Einkaufsnachmittag mit iranischen Freunden.
Vom westlichen Busbahnhof Teherans geht es in einem luxuriösen Langstreckenbus über die Berge in Richtung Chalus am Kaspischen Meer. Die Landschaft wirkt wie im Rest des Landes karg, ausgedörrt, braun und felsig. Die wenigen Bäume kann man zählen, die Kioske und Restaurants entlang der Straße kaum – es sind einfach zu viele. Die Route ist ein beliebtes Ausflugsziel für die Hauptstädter, die am Wasser des kleinen, wilden Flusses picknicken und grillen. Der Plastikmüll ist erschreckend, die Landschaft aus Canyons, Staub und Trockenheit fesselnd. Wir kleben an der Fensterscheibe und starren hinaus.
Die Straße führt über das Takht-i-Suleiman-Massiv, dabei verändert sich die Landschaft dramatisch: zunächst noch zaghaft, dann stetig, übernimmt ein zartes Grün das Bild, Gras und Büsche ziehen die Berghänge hoch und erste Bäume tauchen auf. Auf dem Weg in den Niederschlagsreichen Norden steigen wir in Marzanabad aus dem Bus. Eine kleine, aber lebendige Stadt und ein Verkehrsknotenpunkt mitten in den Bergen. Von hier wollen wir zu unserem Basecamp unter dem Alam-Kuh gelangen. Die Weiterfahrt ist denkbar einfach: ein Sammeltaxi bringt uns nach Kelardascht, und weiter zu einer Herberge der iranischen Bergsteigervereinigung. Gestenreich, mit Händen und Füßen und der Mithilfe eines iranischen Gasts, organisieren wir die Permits (20 US-Dollar pro Nase) und für 40 Euro die Weiterfahrt über die holprige Bergstraße bis zum allerletzten fahrbaren Punkt. Wir teilen das Geländefahrzeug mit drei iranischen Bergsteigern. Stunden später stehen wir am Ziel, mit Unmengen an Gepäck und vor einer grandiosen Kulisse.
Dünne Luft auf der Hochebene
Die erste Tour ist wie immer die härteste, wenn es um Höhenanpassung geht. Unsere beginnt am Endpunkt der Straße und beträgt nur fünfhundert Höhenmeter. Mit jeweils zwei Rucksäcken beschwert steigen wir langsam den steilen Weg hoch, der zunächst durch eine Klamm und dann gegen Westen führt. Die Schneeschmelze ist hier immer noch im Gang, der Bach führt klares, reißendes Wasser. Der Trampelpfad hinauf ist nicht zu verfehlen, eine einzige Markierung deutet in der persischen Sprache Farsi auf das Lager auf der Hochebene Hesarchal hin. Die Beine schwanken, die Lunge lechzt nach mehr Atem, die Augen suchen die Landschaft nach den Zelten ab. Es dauert rund zwei Stunden, bis wir das fast leere Lager erreichen. Es ist eine großzügige, wellige Alpe, die sich zu den sterbenden Gletschern unter dem Alam-Kuh ausbreitet. Kleine Bäche durchziehen die grünen Wiesen, über ihnen thronen die grau-braun-schwarzen Felswände und Geröllhänge, die Hesarchal – einem Amphitheater gleich – einschließen.
An Touren mangelt es am Alam-Kuh nicht. Besonders, wenn man sein Zelt in Hesarchal aufschlägt. Ein gutes Dutzend 4.000er stehen zur Auswahl, mit der höchsten Anhöhe auf über 4.800 m. Wir haben uns eine Woche Zeit genommen, wollen es langsam angehen und die Landschaft auskosten. Das unterscheidet uns von den meisten anderen Bergsteigern aus dem Ausland. Sie kommen zwecks kurzer Akklimatisation für eine anschließende Besteigung des weit höheren und bekannteren Damavand (5.604 m) für einen Tag und eine Nacht nach Hesarchal, steigen zum Amal-Kuh auf und verschwinden wieder runter ins Tal.
Unser erster Gipfel heißt Lashgarak (4.320 m), eine vom Lager im Süden leicht einsehbare Höhe. Ein Pfad führt uns langsam und etwas atemlos zum kleinen Gletschersee, dann über viele Kehren im losen Schotter zur Schulter des Berges. Das flache Dach des Lashgarak bietet eine erste, eindrucksvolle Rundumaufnahme des Gebirgsstocks. Kurzerhand entschließen wir uns dem breiten, dann etwas schmaleren Grat zum Nachbargipfel Hezar Cham (4.317 m) zu folgen. Wir haben genug Zeit und für die Akklimatisation ist es kein Schaden.
In Summe übersteigen wir an diesem Tag drei Gipfel – als dritten den Gardoneeh Kooh (4.402 m) – , ehe wir zufrieden zum Lager zurückkehren. Den darauffolgenden Ruhetag verbringen wir an dem am Vortag entdeckten Gletschersee. Die Sonne verpasst uns einen ersten Sonnenbrand, die Stille ist überwältigend. Nur der Wind pfeift, sonst ist nichts zu hören. Das Zeltlager selbst hat sich deutlich vergrößert, immer mehr Wanderer und Naturfreunde kommen für eine oder zwei Nächte hier hinauf. Es ist August und Höhepunkt der iranischen Ferien. Wir fürchten etwas den Ansturm auf den Alam-Kuh am islamischen Freitag, legen die Tour zum höchsten Gipfel der Region zwei Tage früher auf den Plan. Wie immer marschieren wir als Letzte aus dem Lager los – während wir im Sonnenaufgang frühstücken sind die meisten Gruppen bereits die ersten Meter dem Gipfel näher gerückt. Wir folgen eine Stunde später, nehmen eine etwas anderen Weg, um zunächst auf den Marji Kesh (4.580 m) aufzusteigen und dort eine Rast einzulegen. Der Punkt verschafft uns Einblick in das Nachbartal und eine mögliche Aufstiegsroute durch wegloses Gelände zum Siah Sang (4.604 m), dem vielleicht interessanten Berg hier. An diesem Tag folgen wir aber dem Grat in endlosen Kehren und Stufen auf staubiger Erde, der uns an den vielen iranischen Wandergruppen vorbei am Ende zum Gipfel des Alam-Kuh (4.850 m) führt. Wir sehen auf die Nordseite hinunter, dort, wo es auch zahlreiche, sehr technische Klettereien zu entdecken gibt.
Bergbegeisterte Iraner
Das Gipfelglück ist bei den Iranern groß. Es wird applaudiert und umarmt, gratuliert und gejubelt. Wir machen bei den vielen Selfies gerne mit. Unsere neuen Bergkameraden freuen sich sichtlich über unsere Anwesenheit und fragen nicht nur ständig nach unserem Wohlbefinden, sondern auch, wie uns ihre Heimat gefällt und ob wir mit allem zufrieden sind. Auch auf unserer dritten Tour, diesmal auf den Siah Sang, stoßen wir auf reges Interesse einer entgegenkommenden Großgruppe. Noch dazu, da wir weglos durch das Paralleltal und über lose Geröllhänge unter dem Siah Sang zu einem Trampelpfad aufsteigen. Immer wieder fragt man uns, ob wir nicht zum Alam-Kuh wollten, als ob wir uns verirrt hätten. Ihre Anteilnahme ist herzlich, etwas verdutzt schauen sie unserer Affen-artigen, raschen Kletterei zum Gipfel und zurück zu. Als wir dann über wildes Geröll auf den Gletscher absteigen, sind sie begeistert. Wir auch, die Tour ist romantisch wild und eine kurzweilige Herausforderung. Nach wenigen Tagen sind wir mittlerweile gut akklimatisiert und genießen die Landschaft um Himarchal in vollen Zügen.
Nach einem stundenlangen Abstieg treffen die Kolonnen, eine nach der anderen, im Lager ein. Ich höre Applaus, man bietet Tee an, breitet die Picknick-Decke aus und lädt die Nachbarn ein. Wie immer sind wir irgendwo bei einer iranischen Gesellschaft zu Gast, erzählen unsere Geschichte, beantworten neugierige Fragen, werden bemuttert und bekocht. Es mangelt uns an nichts, am wenigsten an Gesellschaft.
Per Anhalter ans Kaspische Meer
Nach einer knappen Woche ist es Zeit, den Lagerplatz zu räumen. Die Rucksäcke sind nun wesentlich leichter, wir trotten gemütlich zur Bergstraße hinunter. Hier warten wir vergeblich auf unser Fahrzeug. Die meisten Bergtaxis kommen am frühen Nachmittag mit den neuen Besuchern des Tages, aber am Vormittag ist an ein motorisiertes Weiterkommen nicht zu denken. Ein Hirte am Straßenrand sieht unser Dilemma und lädt uns auf eine Tasse Tee ein, bevor wir den langen Weg Schotterpiste bis nach Vandarbon (12 km) zu Fuß in Angriff nehmen. Als auch da kein Taxi aufzutreiben ist, haben wir per Anhalter auf einem Pickup mehr Glück: es bringt uns bis nach Kelardascht und von dort geht es per Sammeltaxi nach Marzanabad und für wenig Geld mit einem weiteren Taxi nach Chalus ans Kaspische Meer, welches sogar leicht unter dem Meeresspiegel liegt. Chalus ist eine andere Welt, eine neue Etappe auf einer interessanten Reise, eine Zwischenstation auf dem Weg zur Nordroute am Damavand. Doch schon jetzt begeistert uns der Iran – die Berge um Alam-Kuh sind eine absolute Empfehlung.
Infos und Adressen: Bergwandern im Norden des Iran
Beste Wanderzeit: Mai bis September
Visa: Österreichische, deutsche und Schweizer Staatsbürger benötigen für die Einreise ein Visum. Am Iman Kohmaini Airport in Teheran gibt es auch Visa on Arrival (gültig für 14 Tage). Wer länger im Land bleiben oder auf Nummer sicher gehen möchte, besorgt sich das Visa über die jeweilige Vertretung im Land.
Anreise: Am besten einen Direktflug von Wien, Zürich oder München nach Teheran. Inner-iranische Flüge sind extrem günstig, genauso wie Langstreckenbusse.
Weiterkommen: Zwischen Teheran und Chalus verkehren Busse in regelmäßigen Abständen. Normalerweise ist eine Vorreservierung nicht notwendig. Falls doch erwünscht, am besten direkt am Busbahnhof das Ticket erwerben (Teheran Western Terminal). Von Mazarabad mit dem Taxi günstig nach Kelardascht, dann ein Vehikel zum Endpunkt der Straße von Vandarbon organisieren (am besten im Haus der iranischen Bergsteigervereinigung). Wer auch noch einen Mauleseltransport vom Fahrzeug zum Zeltplatz möchte, kann dies über Veranstalter im Iran im Vorfeld arrangieren. In Teheran sind private Taxis über die App „Snapp“ sehr günstig, einfach und sicher zu bekommen.
Unterkünfte: In Teheran und Chalus mangelt es nicht an Zimmern aller Klassen. In Verdabon gibt es eine Unterkunft der iranischen Bergsteigervereinigung, auch in Kelardascht.
Kommunikation: Farsi ist Landessprache, Englisch wird in den Städten überraschend häufig verstanden, am Land eher selten. WiFi gibt es in den meisten Unterkünften und auch in Bussen und an öffentlichen Plätzen, jedoch nicht in Hinanchal. Mit einer SIM-Karte (am Flughafen bei der Ankunft besorgen) ist man auf der sicheren Seite. Einige Web-Services sind im Iran allerdings nicht erreichbar (vor allem Social Media und Messenger-Dienste).
Ausrüstung: Eine normale Wanderausrüstung inklusive Wind- und Sonnenschutz reicht aus. Es ist keine technische Ausstattung notwendig. Dazu Campingausrüstung samt Kocher, Zelt, Schlafsack und Isomatte sowie den gesamten Essensvorräten (auf Hinanchal gibt es nur eine sehr einfaches Vorratslager mit Cola und Snacks).
Hinweis zur Bekleidung: Auch auf Wanderwegen gilt die islamische Kleiderordnung des Iran. Diese wird in der Höhe allerdings nicht überprüft, weshalb auch viele Einheimische statt Kopftuch eine Sportmütze tragen.
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