Rennrad fahren in den Nockbergen
Angetrieben von Espresso und Kasnudeln: Rennrad fahren in den Kärntner Nockbergen.
Wolfgang Gerlich für das Bergwelten Magazin Oktober/November 2016
Josh Hayes ist Amerikaner und rennradverrückt. Der Ex-Punk, begnadete Radmechaniker und Barista lebt schon seit geraumer Zeit im Osten Österreichs, sitzt fast täglich auf seinem Rennrad-Maßrahmen, ist aber noch nie in den Alpen unterwegs gewesen.
Höchste Zeit also, dem Mann zu zeigen, was Österreichs Berge so einzigartig macht. In den Kärntner Nockbergen liegt alles nah beieinander, was für Rennradfahrer attraktiv ist: lange Bergstraßen, kurze, knackige Anstiege, erfrischende Badeseen und ambitionierte Kulinarik mit Verständnis für hohen Kalorienbedarf.
Und Italien ist auch nur eine längere Tour entfernt. Das Rennrad: Kaum eine andere Maschine setzt Muskelkraft so effizient in Erlebnis um. Seit gut einhundert Jahren kaum verändert, weil immer schon perfekt in Form und Funktion, leicht, elegant, verlässlich.
Der Aktionsradius ist größer als mit jedem anderen Fahrradtyp, das Erlebnis von Geschwindigkeit und Höhe unmittelbar und intensiv. Tritt und Atmung arbeiten im Rhythmus, den die Straße und unser Wille vorgeben. Josh fährt Rennen, seine Übersetzung ist eher für flachere Etappen ausgelegt.
Wir jedoch fahren in Ebene Reichenau in das Herzstück der Nockalmstraße ein, vor uns liegen 34 prachtvolle Bergkilometer mit einer Steigung bis zu zwölf Prozent – Josh ist sich seiner Kletterqualitäten in diesem Moment nicht so ganz sicher.
Beliebt auf Bergwelten
Einen Berg mit einem Rennrad zu erfahren ist ein ganz besonderes Erlebnis: Die gleichmäßige Steigung des Asphaltbandes und die stetige körperliche Anstrengung verbinden sich zu einem Flow, der einen förmlich auf den Berg trägt. Jede Kehre ein kleiner Teilerfolg.
„Instant Reward“, nennt das Josh, „unmittelbare Belohnung.“ Und sein Lächeln wird immer breiter, als wir den ersten langen Anstieg auf die Schiestlscharte hinaufkurbeln.
Ein Moment Heimweh
Instant Reward – das können auch ein Kärntner Reindling sein, der traditionelle Nuss-Zimt-Germkuchen, und ein Kaffee auf über 2.000 Meter Seehöhe, am besten mit weiter Aussicht. Der Hüttenwirt auf der Eisentalhöhe hat all das zu bieten, dazu noch eine Herde von freundlichen Kälbern, die sich gern an salzigen Radlerwadeln laben.
Ein schöner Augenblick für Josh, denn er stammt von einer Farm in Kalifornien; ein kurzer, sympathischer Moment von Heimweh auf der Hütte. Das Panorama des Biosphärenparks Nockberge ist eine sanfte Schönheit.
Auch beliebt
Es sind die Weite und die Abwechslung von sanften grünen Kuppen, Almwiesen, Weiden und Wäldern, die den Reiz der Kulisse ausmachen. Hinter jeder Kurve eine neue Szene – Real-Life-Zappen in wunderbarer Natur.
Das ist alles kein Zufall: Das Gebiet blickt schließlich auf eine lange Geschichte der Pflege seiner Natur- und Kulturlandschaft zurück. In der langen Abfahrt nach Radenthein sind alle Sinne geschärft: Auf einem kaum sieben Kilo schweren Gerät geht es mit deutlich über 70 km/h wieder Richtung Tal.
Ein Hochgefühl. Gerade weil die Nockalmstraße auch lange Passagen mit sanften Kurven und wenigen Kehren aufweist, ist sie ideal für eine flotte Abfahrt.
„Vielleicht ist das Erfahren, das Erklimmen eines hochalpinen Passes mit dem Rennrad das Intensivste, was man mit diesem Gerät, was man überhaupt erleben kann“, schreibt der sonst eher unsentimentale Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem 2010 erschienenen Text „Die letzte Kehre“.
Josh springt bei der Abfahrt locker über alle Wildgatter. Früher war er BMX-Profi. Als Rennradfahrer wird man Experte für den Zustand von Straßen. Jeder Belagwechsel, jede Unebenheit, jedes Gatter und jedes noch so kleine Hindernis werden aufmerksam wahrgenommen, der Asphalt wird „gelesen“.
Die Nockalmstraße erweist sich in dieser Hinsicht als Prachtexemplar – eine glatte, perfekte Fahrbahn, Kompliment an die Straßenerhalter. Wenn der Adrenalinspiegel nach langer Passabfahrt langsam wieder normales Niveau erreicht, macht sich verlässlich Hunger bemerkbar.
Chris Cummins, Moderator beim österreichischen Radiosender FM4 und Rennradfahrer, hat es einmal so ausgedrückt: „Ich fahre Rennrad, weil ich dann so viel essen kann.“ Ein guter Grund, die Räder an die Hausmauer des Metzgerwirts in Radenthein zu lehnen. Emanuel Stadler, der Patron, begrüßt uns mit einer Quizfrage: „Reinanke oder Barsch?“
Richtige Antwort: Barsch, aus dem Millstätter See! Perfekt für die Ernährungsexperten unter den Ausdauersportlern ist die Kärntner Kasnudel, weil sie ein geradezu ideales Verhältnis von Kohlehydraten und Proteinen mitbringt. Sie ist so was wie hunderte Jahre bewährtes Functional Food.
Von zart bis hart
Die Nockberge sind nicht nur schön, sondern auch wunderbar abwechslungsreich. Zahlreiche kleine Straßen lassen sich zu unzähligen Touren oder Trainingsstrecken verbinden, von zart bis hart. Und vielleicht sogar wichtiger: Wenn nicht alle in der Familie Rennrad fahren wollen – und das soll tatsächlich vorkommen –, gibt es in jeder Saison Alternativen. Mountainbiken, Wandern, Kultur und alles, was Badeseen so im Angebot haben, Segeln, Surfen oder auch Fischen.
Die Temperatur ist im Sommer gut fünf Grad unter dem Niveau der Beckenlagen, in der Übergangszeit ist das Klima trotzdem angenehm. Es herrscht hier immer ideales Radfahrwetter. Die Seen der Region bieten die großartige Kulisse für eine zweite Tour: vom Feldsee zum Afritzer See, auf den Aussichtspunkt Verditz hinauf und über den Millstätter See via Sappl retour zum Feldsee.
Für Rennradler gilt: Wer nicht den ganzen Tag unterwegs sein will, der wählt die frühen Morgen- oder Abendstunden für die Ausfahrt. Das offenbart noch eine andere Qualität des Landschaftserlebnisses auf dem Rennrad: Düfte! Frische Seenluft, würziger Heuduft, der Geruch von blühenden Bäumen, Rennradfahrer sind Nasentiere.
Hannes Nindler, der Wirt des Lindenhofes in Feld am See, ist selbst passionierter Mountainbiker und Rennradfahrer. Das verrät nicht nur sein Hemd, dessen Muster bei genauem Hinsehen aus lauter kleinen Rennrädern besteht, sondern auch das Leuchten in seinen Augen, wenn er von den Vorzügen seiner Region für Rennradtouristen erzählt.
Hier fühlt man sich auch als buntgescheckter Lycraträger hochwillkommen und bekommt sogar einmal außerhalb der Küchenzeiten eine rettende warme Radlermahlzeit. Noch sind es einige wenige Häuser, die spezielle Angebote für diese Zielgruppe im Programm haben, aber es werden laufend mehr. Und wer kein eigenes Rad mithat, dem wird nebenan in Armins Radlwerkstatt ausgeholfen.
Josh ist Barista und ernsthafter Kaffee-Aficionado. Einer der Kaffee-Hotspots der Region ist die Villa Verdin in Millstatt, ein wunderbares kleines und sehr individuelles Hotel direkt am See mit großem Herz für alle. Gianni und Thomas, die beiden Patrone, haben ihrem Haus vor kurzem eine eigene Kaffeerösterei spendiert. Der von Thomas geröstete und Gianni gebrühte Ristretto erntet auch Joshs anerkennendes Nicken.
Guter Espresso ist und bleibt der beste Treibstoff für Rennradler. Der Ritt in den Sonnenuntergang endet mit einem kühnen Sprung direkt in den herrlich erfrischenden Feldsee. Aus Josh wird auch noch eine Bergziege. Den Bart dazu hat er ja schon.