Rennradfahren in der Wachau
Foto: Philipp Schönauer
Ein Wachau-Wochenende auf schmalen Rädern: Vom viel befahrenen Donauradweg muss man nur einen Haken nach Norden schlagen, um zu den schönsten Auffahrten im Osten Österreichs zu kommen.
Martin Foszczynski für das Bergwelten-Magazin April 2018
„Halleluja, wo sind wir hier eigentlich?“ Für einen kurzen Moment, zirka in der zweiten Serpentine, weiß es Marvin Mangalino nicht mehr genau. „Das ist ja schöner als Mallorca!“, entfährt es ihm, ehe er wieder eins wird mit der Fahrbahn, die sich makellos glatt, konstant steil, in einem ausgewogenen Mix aus weiten Kehren und fließenden Kurven dem Gipfel entgegenwindet.
Die perfekte Rennrad-Straße, mitten in der Wachau – Niederösterreich, nicht auf den Balearen. Minuten davor fuhren wir am Donauradweg noch Slalom. Doch man muss in Weißenkirchen nur einen Haken Richtung Norden schlagen, schon ist der Strom der Bummel-Radausflügler abgehängt. Hier steigt sie aus weitläufigen, hellgrünen Weinterrassen an – die Seiberer Bergstraße. Für Eingeweihte eine der schönsten Rennradauffahrten im Osten Österreichs, für Marvin und seine Kumpel eine Offenbarung.
Sie treten gleichmäßig in die Pedale, der „Flow“ – dieses Verschmelzen von Straße, Rennmaschine und Herzschlag zu einem großen Glücksgefühl – wird schweigend ausgekostet. So wortkarg sind die drei Freunde nicht immer, schon gar nicht, wenn man mit ihnen an der Weinbar des Loisium-Spa-Hotels in Langenlois steht.
Marvin, Gui da Rosa und Christian Wieners alias Wieni können einen ganzen Abend übers Rennradfahren reden, ohne dass ihnen eine Sekunde langweilig wird. Die drei brennen für alles, was mit schmalen Reifen, hautengem Spandex und Speed zu tun hat. Manchmal könnte man meinen, sie haben gar nichts anderes im Kopf – außer vielleicht ihre Freundinnen, die sie an diesem Wochenende schweren Herzens zu Hause gelassen haben.
„Zu Hause“, das ist der siebente Wiener Gemeindebezirk, wo Marvin einer schmuddeligen Absteige neues Leben eingehaucht hat. Das Hotel am Brillantengrund ist seitdem nicht nur hipper Grätzel-Treff, sondern auch Anlaufstelle der Wiener Bike-Szene samt Verkauf einer selbst kreierten Modelinie für Rennradfahrer mit dem schrägen Namen Brillibrilliant/Unicorn, kurz BBUC.
Rennrad statt Ferrari
Die bunten BBUC-Trikots finden mittlerweile auch in Paris und Bangkok Anklang, am liebsten führen sie die jungen Wiener aber selbst aus – zumeist bei Ausfahrten in den nahen Wienerwald. Rund 9.000 Kilometer kurbelt jeder von ihnen jährlich. „Andere Hotelmanager sammeln Ferraris, ich stecke mein Geld in Fahrräder“, schmunzelt Marvin, der nichts von einem Manager, dafür sehr viel von einem Schlawiner hat. „Wir sind einfach süchtig!“, bringt er es auf den Punkt.
„Mit dem Rennrad ausfahren ist wie ein Rausch – nach drei Stunden ist dein Körper voller Endorphine.“ Die Wachau, UNESCO-Welterbe und keine Autostunde von Wien entfernt, ist eher für Gemütlichkeit als für Räusche bekannt – es sei denn solche, die von übermäßigem Traubensaftgenuss herrühren. Sie gibt aber auch eine perfekte Bühne für Rennradfeste ab. Die Wachauer Radtage, eines der boomenden Events für Hobby-Rennradfahrer, genießen in der Szene einen guten Ruf.
Gui da Rosa, der bei solchen Amateurrennen schon Spitzenplätze belegt hat, ist besonders auf den Jauerling gespannt, mit 960 Metern die höchste Erhebung der Wachau. Der soll nämlich kein malerischer Weinhügel, sondern „Hadersfeld mal drei“ sein, zieht Gui einen Vergleich mit jener Serpentinenauffahrt nordwestlich von Wien, die wohl jeder Hauptstadt-Rennradfahrer schon einmal hochgekurbelt ist.
Oder anders ausgedrückt: „eine richtig fiese Sau!“ Es versteht sich von selbst, dass wir dort um die Wette fahren müssen. Doch vor dem fiesen Jauerling will der schöne Seiber bezwungen werden. Man möchte hier ewig weitertreten. Im letzten Drittel der Auffahrt legen wir trotzdem einen kurzen Stopp ein – nicht nur der Pinkelpause, sondern auch der Aussicht wegen.
Es könnte ein Blick in die Toskana sein, würden in der dunstigen Ferne nicht die Donaufähren, Linienschiffe und Frachtkähne über den ewigen Strom gleiten. Von hier oben sieht man förmlich, wie vom Osten trocken-warme pannonische Luft in das enge Wachau-Tal drängt, während vom Nordwesten kühlere, feuchtere Atlantikströmungen überschwappen – eine klimatische Gemengelage, die an den Flussterrassen seit der Römerzeit Spitzenweine gedeihen lässt.
Puls im Maximalbereich
Auf der herberen Seite der Region landet man mit dem Rennrad schneller als gedacht. Schon finden wir uns in den südlichen Ausläufern des Waldviertels wieder. Hier prägen weite Äcker, Bauernhöfe und scheppernde Traktoren auf schmalen Feldstraßen das Bild. Nicht mehr die mediterrane Brise, sondern würzige Landluft weht uns jetzt ins Gesicht und kündet an, dass es einige rasante Abfahrtskilometer später ans Eingemachte geht.
Wenn der Seiber ein feinfühliger Jung-Sommelier ist, dann ist der Jauerling sein Onkel, der bauernschnapsende Winzer. Er will nicht „bergauf gesurft“, sondern mit roher Kraft niedergerungen werden. Die Auffahrt vom Spitzer Graben aus beginnt gleich mit einer steilen Rampe, und genau so geht es auf den 750 Höhenmetern auch weiter.
Der Puls pendelt sich im Maximalbereich ein, während die verbeulte Fahrbahn es einem möglichst schwer macht, in den Rhythmus zu kommen. Für die Gelegenheits-Racer freilich kein Grund, um nicht das Rennen um die Bergwertung zu eröffnen. Marvin zieht weg, Gui und Wieni nehmen die Verfolgung auf.
Als die Beine schon bleiern sind, rückt endlich das Gipfelplateau mit Sender ins Blickfeld. Oben wartet leider kein Blumenstrauß für die Finisher, sondern eine Baumschule mit Christbäumen. Und die Konkurrenz: Marvin und Co wussten die Verspätung des Autors zu nutzen und studieren bereits Segment-Zeiten und Wattzahlen. Strava, das Facebook für Rennradfahrer, macht es möglich.
Aus der Stadt in die Pampa
Wer sich wie die Wiener Bike-Freaks richtig auspowern will, dem gibt die Wachau reichlich Gelegenheit. Bis zu 3.000 Höhenmeter lassen sich im Weinland an der Donau per Rennrad an einem Tag bewältigen. Weitere Tourenkilometer warten im angrenzenden, schon im Waldviertel liegenden Kamptal, nördlich von Krems.
Man könnte die Gegend aber auch „Pampa“ nennen, wie es Martin „NoPain“ Ganglberger tut. Er betreibt mit Bikeboard das größte Radsport-Portal des Landes und ist einer der angesehensten Figuren in der österreichischen Rennradszene, der auch in seinen Vierzigern noch den meisten Jungspunden davonfährt. Und in diese Pampa ist er aus Wien herausgezogen.
Eigentlich der Freundin wegen, erzählt der einst erfolgreiche Amateur-Wettkampffahrer mit den Gesichtszügen eines harten Knochens und der Stimme eines gutmütigen Kumpels. An sein Radler Leben in der Stadt erinnert er sich mit Graus: „Stiegenhaus runter, U-Bahn-Treppe rauf, Slalom zwischen Hunden und Grillern auf der Donauinsel. Hier aber klicke ich die Schuhe in die Pedale ein und kann sofort loslegen.“
Sich Schinden und Schlemmen
Unzählige Routen, anspruchsvolle Aufstiege, wenig Verkehr – oft wundert sich Martin Ganglberger, wie wenig Rennradler er in seiner Wahlheimat antrifft. „Dabei hat die Gegend hier viel zu bieten.“ Besonders geeignet sei das Kamptal mit seinen Traktorwegen und Schotterstraßen fürs Offroad-Biken, einen der größten Trends der Szene.
Immer mehr Rennradler satteln auf sogenannte Gravel-Bikes um, die eine schneidige Rennradgeometrie aufweisen, dank breiterer Reifen aber voll geländetauglich sind. Zusammen mit dem Betreiber des Hotels Zur Schonenburg in Schönberg am Kamp hat Ganglberger vier Gravel-Routen zwischen Weinreben ausgeschildert.
Weshalb man noch ins Kamptal kommen sollte: „Es kostet hier ja auch alles nix.“ Besonders die Heurigen seien unverschämt billig und doch absolute Weltklasse. Das trifft definitiv auch auf eine perfekte Labestation am Ende jeder Radtour im Kamptal zu, Hermann Hagers Weinbeisserei hoch über Mollands.
Von der Welt hat der sympathische Wuschelkopf einiges gesehen – 18 Jahre lang lebte er aus dem Koffer auf Kreuzfahrtschiffen in der Karibik, jetzt widmet er sich ganz seinen borstigen TuropoljeSchweinen, die zwischen Weingärten einen luxuriös großen Gatschauslauf genießen, während Bruder Matthias einige der besten Weine der Region keltert.
Gestärkt durch feinsten Rohschinken, Speck und Liptauer, rollt sich das letzte Stück nach Langenlois wie von selbst. An der Loisium-Weinbar stoßen wir auf das Wochenende an. Der Sommelier ahnt wohl schon, dass es an diesem Abend nicht um Hanglagen, Säuregehalt und Parker-Punkte, sondern um Rahmendesign, Laktatschwellen und Intervalle im roten Bereich gehen wird. Marvin beginnt zu rechnen: „Wie viel Watt pro Kilo müsste ich treten, um Gui auf dem Jauerling zu biegen …“
„Darf’s noch ein Glaserl sein für die Herren?“ Sicher, ein Achterl in Ehren. Doch morgen wieder: Volle Kanne!
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