Der Koch, die Hütte, ein Wintertraum
Foto: Bernhard Huber
Kurz vor dem Großglockner biegen wir ins Kalser Lesachtal ab, zu einer versteckten Hütte in rauer Einsamkeit. Touren, essen, rasten: ein Genusswochenende für Fortgeschrittene.
Marlies Czerny für das Bergwelten-Magazin Dezember/Jänner 2017/18
Nicht nur die Kärntner, auch die Kalser in Osttirol haben ein „Lesachtål“. Von dem bekommen die wenigsten Gipfelstürmer in Kals am Großglockner etwas mit. Denn die meisten wollen dort höher hinaus, so hoch, wie es sonst nirgends in Österreich geht, auf 3.798 Meter. Mir ging es stets ähnlich. Eine leichte Form von Bergblindheit?
Diesmal schauen wir aber über den ersten Talausgang des berühmten Bergdorfs in Osttirol nicht hinweg, wir folgen ihm. Eine Stunde geht es einwärts, auf einer Forststraße den Lesachbach entlang, bis in wilder Umgebung eine Handvoll Hütten auftauchen und wenige Schritte danach noch ein paar. In einer einzigen brennt Licht, in der Staller Alm.
Als Christian Riepler die Küchentür öffnet, steigt der Geruch frischer Kaspressknödel in unsere Nasen. Wir treten ein in die warme Stube, der dunkle Holzboden knarrt.
Die Gelassenheit hat 1.968 Meter über dem Meer und 1.830 Meter unter dem Glockner-Gipfel einen Rückzugsort gefunden. Das Feuer knistert im Ofen, darauf brodelt die Rindsuppe. Christian Riepler ist dankenswerterweise nachmittags vorausgegangen, um die unbewirtschaftete Almhütte auf Betriebstemperatur zu bringen. In der Stube gelingt ihm das herzerwärmend.
Der Bergführer aus Kals ist gelernter Koch und gelernter Osttiroler: Er begrüßt uns mit einem Stamperl „Pregler“, einem Obstler Marke Osttirol aus separat gebrannten Äpfeln und Birnen. Hat der Volksmund recht, dann gibt der Pregler Kraft und Lebensfreude, schützt vor bösen Geistern und Langeweile, fördert die Verdauung, steigert das Lebensgefühl und so manches andere auch.
Christian schickt zum besseren Verständnis vor dem ersten Nippen voraus: Die Kalser sprechen mit ihrem sonderbaren Dialekt in vielen Wörtern das „A“ als „E“ aus, ein „O“ wird oft zum „Ö“. Da wird die Wand zur Wend und das Tanzen zum Tenzen. Verstanden?
Uriger Luxus
Zwei von fünf Kalser Haupttälern, das Ködnitztal und das Teischnitztal, führen zum Großglockner – sie ziehen die meisten Bergsteiger an. Im ohnehin schon stillen Lesachtal ist vor sieben Jahren noch mehr Ruhe eingekehrt. Bis dahin wurde an Sommertagen in der nahen Lesachalmhütte für Wanderer ausgeschenkt und aufgetischt, aber steigende behördliche Auflagen führten ein Ende der Bewirtschaftung herbei.
Unsere Hütte, die Staller Alm, können Gäste im Sommer für sich mieten, im Winter auch, aber nur inklusive Bergführer und Koch. Ein uriger Luxus, der im nordwestlichen Teil der Schobergruppe seinen Sinn hat.
„Es ist eine brutal wilde, einsame, verlassene Gegend und skitechnisch anspruchsvoll“, sagt Matthias Wurzer, als er zum Fenster hinaus in den Abendhimmel blickt. Der Star in der Manege ist hier nicht der Großglockner, es sind der Glödis, Ganot und Hochschober. Sie und weitere Gipfel setzen dem Talkessel mit ihren scharfen Graten oberhalb der Dreitausender-Marke eine Krone auf. Zwischen den Zacken finden sich schmale Rinnen und Übergänge wie das Kalser Törl und Glödistörl, hier kann man ins Kärntner Heiligenblut oder nach Lienz hinüberschreiten.
Es öffnet sich auch ein Weg zum Lucknerhaus, dem beliebten Ausgangspunkt für die Glockner-Besteigung. „Der Großglockner ist unser Brötberg“, merkt Matthias spitzbübisch blickend an. Vom höchsten Berg in Österreich leben die meisten Kalser Bergführer. Er hat erst gar nicht zu zählen begonnen, wie oft er schon da oben stand, bereits als Elfjähriger mit dem Papa jedenfalls.
Wenn er es sich jetzt aussuchen darf, dann führt Matthias seine Gäste nicht zum x-ten Mal auf das Hochheiligtum, sondern er sucht das Weite der Schobergruppe.
Hier sind es unberührte wilde Wege; die „Butter auf dem Bröt“ sozusagen. Was wir morgen vorhaben, sei die gemäßigste Tour in dieser Gegend, schickt unser Bergführer voraus. Klingen tut’s am wildesten: Auf das Böse Weibl wollen wir. Mit seinem feministisch fragwürdigen Namen steht der 3.119 Meter hohe Berg nicht allein da. So heißen in Tirol einige wenige Gipfel, die als Wetterwinkel immer wieder Anziehungspunkt für böse Unwetter waren. Warum nicht „Böses Männle“? Immerhin heißt es ja auch der Blitz, der Donner, der Wolkenbruch, der Wind.
Das klären wir auch beim zweiten Stamperl Pregler nicht. Uns wird morgen die Sonne versprochen. Damit wir noch besser gestärkt sind, brutzelt der Kruscht – so werden in Kals alle mit dem Namen Christian gerufen – ein Tiroler Gröstl in der großen Pfanne.
Wir sitzen um einen von zwei Holztischen in der guten Stube, aus dem Hüttenfenster leuchtet bald nur noch Kerzenschein. Das Solarlicht kommt und geht, da arbeiten die Kerzen zuverlässiger, und außerdem sind sie auch hübscher.
Im Wandregal erzählen Bücher wie „Verrückt nach Liebe“ und „Versuchsweise romantisch“ von lieblichen Nächten in dieser Hütte, die seit dem 16. Jahrhundert mehr oder weniger auf diesem wunderbaren Flecken Almwiese steht. Die Staller Alm gehört Alois Holaus, zu Hause ist der Lois am Stallerhof in Lesach. Er ist Bergführer, der älteste der Kalser Führungsebene.
Wer bodenständigen Hüttencharme in einer verborgenen Winterwelt erleben will und nicht den Komfort eines Hotels sucht, der wird hier glückliche Tage verbringen. Touren, essen, rasten. Und alles wieder von vorn.
Wir sind beim dritten Punkt des ersten Tages angelangt. Wir haben unsere eigenen Schlafsäcke mit. In Lagern und Zimmern können wir uns ausbreiten, nachdem Speis und Trank ihre schlaffördernde Wirkung gezeigt haben. Zum Frühstück haben wir uns den Apfelstrudel aufgehoben. Wir wandern gähnend in das Tal hinein. Dort, wo im Sommer vierzig Kühe und zweihundert Schafe weiden, scheint uns die Sonne ins Gesicht. Mit einem breiten Grinsen lassen wir unsere Ski in den Nationalpark Hohe Tauern gleiten.
Nur Natur
Katrin Polentz aus Kals hat heute das Programm mit dem größten Kontrast. An allen anderen Wintertagen kommt die 25-Jährige nicht ohne „atemlose Nächte“ von Schlagerstar Helene Fischer aus. Sie führt mit der Figolalm im Großglockner Skiresort eine Après-Ski-Bar. Ihren Husky Yuma hält sie anfangs am kurzen „Soal“ (Kalser Dialekt für Seil). Seine blau-braunen Augen leuchten, er darf losspurten, auch Katrin genießt den Auslauf in der Stille.
„Hier ist nur Natur. Keine Hütte, du bist weit und breit allein“, sagt sie und strahlt eine unglaubliche Ruhe aus. Vor uns werden linker Hand immer mehr Zacken der Krone sichtbar. Talauswärts öffnet sich ein Weitblick über die Granatspitzgruppe hinweg. Weil es hier so schön ist (natürlich nicht, weil der Pregler Nachwirkungen zeigt), beschließen wir, unsere Gruppe zu teilen.
Die einen genießen mit Kruscht die Ruhezone, die anderen mit Matthias ein Blitzdate mit dem Bösen Weibl. Ein Aufschwung in spitzen Kehren, die letzten Schritte am Grat zu Fuß, schon peitscht uns der Wind heftig um die Ohren – ein bisschen böse darf’s doch sein, das Weibl. Wir stehen am Balkon der Alpen, erste Reihe fußfrei. Der Großglockner hätte die ganze Bühne für sich. Aber im Wolkenkleid wird sein Auftritt nur ein kurzer, ehe er wieder verschwindet. Und auch wir sind wieder schnell weg.
Matthias Wurzer fährt voraus, um eine gute Spur für uns zu finden. Er ist ein Vertreter der neuen Generation von Alpinisten, die Ski, Steigeisen und Kletterschuhe extrem gut kombinieren. Selbst auf dem viel begangenen Großglockner fand er noch eine neue Route. In der Schobergruppe ist das Entdecken neuer Linien einfacher.
Große Abstecher in wilde Rinnen lassen wir heute aber aus, immerhin wartet bereits die gute Stube auf uns, von einer Speckjause war die Rede. Die schmeckt nach dem Ausflug über die Dreitausender-Grenze und einer freudigen Abfahrt bis direkt vor die Hüttentür besonders gut. Und teilen müssen wir hier auch mit niemandem – weder die Butter noch den Firn.
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