Weitlanglaufen von Ost- nach Südtirol
Foto: Sam Strauss
Zwei Tage im Skatingschritt von Ost- nach Südtirol: Langlaufen kann doch anstrengender sein, als man ahnt.
Katharina Lehner für das Bergwelten Magazin Dezember 2019/Jänner 2020
Wenn die Knopperin ins Auto steigt, weiß man im Örtchen Strassen, dann dauert es, bis man sie wieder zu Gesicht bekommt. Knopper, das ist der Name, unter dem Irmgard Huber in der Gegend bekannt ist. Die 45-Jährige ist nicht nur inmitten der Osttiroler Berge zu Hause, sondern auch auf ihnen.
Und so kommt es, dass sie ausrückt und erst Stunden später wieder daheim auf ihrem Bauernhof ist. Von den Bergen erzählt sie wie von guten Bekannten, empfiehlt aufregende Aufstiege und Plätze zum Sitzen und Innehalten. Tatsächlich scheint sie auf jedem Gipfel gestanden, jede Tour im Umkreis schon mindestens einmal gemacht zu haben:
„Manche denken, da muss man ein bisschen verrückt sein, aber ich bin ganz normal“, beteuert sie. Was aber selbst Irmgard Huber, Bergwanderführerin und Siegerin diverser Bergläufe, nicht ganz normal findet, ist unser Vorhaben: ein mehrtägiger Langlauf durchs Hochpustertal. Tatsächlich war es gar nicht so einfach, eine Begleitung für diese Tour zu finden.
Da „nicht ganz normal“ aus dem Mund der Knopperin aber ohnehin ein Kompliment zu sein scheint, ist sie dann schnell überzeugt. Weitwandern, im Winter, auf Langlaufskiern, das haben bisher noch wenige für sich entdeckt.
Die Regionen brauchen dafür ein zusammenhängendes Loipennetz und eine Organisation über Orts- und mitunter auch Landesgrenzen hinaus – und die Sportlerinnen und Sportler eine gute Kondition. Wer denkt: „So ein bisschen Langlaufen, wie anstrengend kann das schon sein?“, der irrt gewaltig.
Doppelstock, rechts, links
Das Hochpustertal, das sich westwärts von Osttirol nach Südtirol zieht, ist eines der wenigen Gebiete in den Alpen, in denen sich entlang der Loipen Ort um Ort auffädelt und eine mehrtägige Tour möglich ist. Offiziell beginnt die „Trans Dolomiti“- Strecke in Lienz, verläuft Richtung Westen nach Sillian und dann über die italienische Grenze bis nach Cortina d’Ampezzo. Um ehrlich zu sein: Die Schneegötter müssen es schon sehr gut meinen, damit die Strecke ab Lienz gewalzt und gespurt werden kann.
Wir starten in Strassen. Gerade hat sich der über Nacht tief im Tal hängende Nebel verzogen, und die Schneedecke glitzert im frühen Sonnenschein. Es ist reichlich kalt an diesem Morgen. Vielleicht auch deshalb, weil man nicht allzu viel anhat; beim Langlaufen wird einem sehr schnell sehr warm.
Wer zur Sicherheit die Skihose anlegt, wird das bald bereuen. Zweiundzwanzig Kilometer liegen zwischen unserem Startpunkt und dem ersten Etappenziel, dem Südtiroler Toblach. Das sollte doch entspannt machbar sein. Doppelter Stockeinsatz bei jedem zweiten Beinabstoß. Rechts gleiten, links gleiten, rechts und links. Ziel beim Skating ist, möglichst lange auf einem Bein zu bleiben.
So riskiert man zwar Stürze – aber wer hier auf Nummer sicher gehen will, verbraucht viel mehr Kraft und Energie. Beobachtet man die Menschen auf der Loipe, sieht das oft sehr mühelos aus, auch bei den Kindern. Warum man sich dabei selbst so plagen muss, beginnt man sich irgendwann zu fragen – und warum es eigentlich ständig bergauf geht.
Irmgard zieht ohne erkennbare Anstrengung davon: „Ungeübte laufen meist zwanzig Minuten, dann sind sie fertig.“ Ihr Rat: Bevor man sich mehrere Tage auf den Weg macht, sollten zwei Winter auf Langlaufskiern in den Beinen stecken. Je nach Etappe kann man mehrere Stunden bis den ganzen Tag unterwegs sein.
Die schlechte Nachricht: Unsere Beine haben in diesem Winter noch sehr wenig Übung. Die beruhigende: Wer es nicht mehr packt, steigt in den Bus. Man kommt immer wieder an Haltestellen vorbei. Die gute: Das Mehrtagesgepäck muss nicht mitgeschleppt werden – es wartet schon in der nächsten Unterkunft.
„2:1 symmetrisch“ heißt die Technik, die Skating-Langläufer über lange, flache Strecken bringt: Doppelstock-Einsatz und rechtes Bein, links gleiten; Doppelstock und gleiten. Kilometer um Kilometer. Irgendwann vor der italienischen Grenze geht einem der Knopf auf, und man flitzt nur so dahin. Geht doch.
Wir sind die Meisterinnen des Langlaufs, Bezwingerinnen der Tagesstrecke! Bis der Wald kommt und damit der Schatten. Der Schnee ist kälter, das Wachs auf den Brettln nicht optimal auf diesen Temperaturwechsel abgestimmt – schon pickt man am Boden. Oder ist man nur müde und hat die Technik letztlich doch nicht drauf?
Hände, Arme, Schultern, Rücken und Bauch, Gesäß und Beine – jeder Muskel muss mithelfen. Der Hirnmuskel verwaltet die hochtourige Anstrengung, und so entgeht einem fast, wie idyllisch es hier ist. Die letzten Tage hat es geschneit, eine dicke weiße Decke überzieht die Landschaft, darauf haben sich filigrane Eiskristalle gebildet.
Schwarze Baumstämme, grüne Nadeln. Links und rechts ragen die Berge in die Höhe. Ein Stückchen noch durch diesen Märchenwald und dann zurück in die Sonne: Schon fällt das Gleiten wieder leichter.
Bis ein Anstieg kommt. Wie war das noch einmal? Diagonaltechnik? Jeder Stock einzeln und gleichzeitig mit dem gegenüberliegenden Ski? Die Herzfrequenz steigt, der Atem wird laut. Wirklich egal, wie das jetzt aussieht – Hauptsache, man kommt oben an.
Hat nicht jemand im Vorfeld dieses Unternehmens gesagt, dass das alles ganz easy wird? War man das etwa selbst? Auf den Hochpustertaler Loipen sind viele Langläufer unterwegs – Anfänger und richtige Könner, in klassischer Technik und beim Skating. Doch das Angebot mit dem Mehrtageslanglauf werde – trotz Gepäcktransport von Ort zu Ort – noch immer nicht so recht genutzt, erzählt der Toblacher Hotelwirt Alexander Strobl am Abend an der Bar.
„Einer pro Woche schaut vorbei und übernachtet bei mir. Im Sommer ist hier viel mehr los, wenn die Biker die gleiche Strecke fahren und das Tal bevölkern.“ Liegt es vielleicht daran, dass alle außer uns wissen, wie anstrengend das ist? Die Frage kann der Hotelwirt nicht beantworten. Aber den Mehrtageslanglauf findet er eine tolle Sache, selbst wenn die Eintagesgäste nicht das große Geld bringen.
Vom Hotel Rosengarten aus, wohlverdientes Nachtlager, sieht man schon den Eingang des Höhlensteintals, wo der morgige Tag beginnen wird. Ein langes, enges und im Winter teilweise sehr schattiges Tal, das Ruhe und Aufregung gleichzeitig verspricht. Steile Wände, wenig Infrastruktur, der verschneite Toblacher See, und irgendwann: der Blick auf die ikonischen Drei Zinnen.
Loipe statt Gleisen
Die Sonne scheint zwar nicht anders am nächsten Morgen, aber man merkt: Mittlerweile ist man in Italien angekommen. Manches wirkt wie aus der Zeit gefallen – und dieser Glanz vergangener Tage stimmt einen selbst bei größter Anstrengung ganz romantisch.
Da sind die pompejanischrot getünchten Häuschen am Wegesrand mit der verblassten „A.N.A.S.“-Aufschrift; diese case cantoniere, Straßenwärterhäuser, stehen meist leer, seit die Provinzen die Zuständigkeit für die Straßenverwaltung vom Staat übernommen haben.
Da ist auch das alte Grand Hotel Toblach, das heute als Veranstaltungszentrum und Jugendherberge genutzt wird und in dem das Naturparkhaus Drei Zinnen untergebracht ist. Übernachtet hat man hier sicher schon einmal luxuriöser, das Zentrum samt Ausstellung jedoch ist jedenfalls einen Besuch wert.
Und da sind noch die alten Eisenbahntunnel und -brücken auf dem letzten Stück des Weges hinunter nach Cortina. Und wo früher der Zug unterwegs war, braucht es jetzt deutlich mehr Muskelkraft, um voranzukommen. Vor allem weil hier nach dem letzten starken Schneefall noch nicht gespurt wurde.
„Manchmal hört die Loipe einfach an der Grenze zwischen Südtirol und Venezien auf“, erzählt Irmgard. „Für die Südtiroler ist der Wintersport ein wichtiger Tourismusfaktor – in Venezien fehlt oft das Geld.“ Auch das ist Italien.
Da die Tunnel natürlich ein Highlight der Tour sind, kämpfen wir uns durch den Tiefschnee. Die dazupassende Technik steht nicht im Lehrbuch und geht folgendermaßen: Ski parallel zueinander und mit den Armen anschieben. In die Hocke und wieder anschieben, mit voller Kraft.
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