Tränen am Kilimanjaro
Afrika zu Füßen, die Sonne auf Augenhöhe, Freunde in den Armen: Bergwelten-Chefredakteur Klaus Haselböck und Christian Rainer, Herausgeber des Nachrichtenmagazins „profil“, auf dem Traumberg für alle: Nachbesprechung einer Besteigung in dünner Luft. Der Beitrag ist im Bergwelten Magazin erschienen.
Der Kilimanjaro ist ein Berg der Superlative: 4.000 Meter ragt der wuchtige Klotz aus der afrikanischen Steppe auf – der höchste freistehende Berg der Welt.
5.895 Meter misst er am Uhuru Peak, seinem höchsten Punkt: Das macht ihn zu einem der begehrten „Seven Summits“, den jeweils höchsten Gipfeln der sieben Kontinente. Dass es für den in Tansania gelegenen „Kili“ kein bergsteigerisches Können braucht, ist die gute Nachricht für alle ambitionierten Wanderer.
Wer ihn besteigt, erlebt in wenigen Tagen fünf Klimazonen: Los geht es im Kulturland Tansanias mit seinen Weideflächen, Kaffee- und Bananenplantagen. Ab 1.800 Meter Höhe folgt ein feuchtschwüler, artenreicher Bergregenwald. Alle 200 Höhenmeter fällt die Temperatur um ein Grad, entsprechend verändert sich auch die Vegetation.
Schon die Moorlandschaft – ab 2.700 Meter Höhe – wirkt deutlich karger, ist aber auch ein reicher Nährboden für eine ungewöhnliche Pflanzenwelt. Die bizarren Sezenien, die neben Fackellilien, Zuckerbüschen und Gladiolen hier wachsen, sorgen für den vielleicht spektakulärsten Abschnitt jeder Kilimanjaro-Tour.
In dem kargen Bereich der alpinen Steinwüste von 4.000 bis 5.000 Metern sind nicht nur Wanderer unterwegs, sehr selten verirren sich auch andere große Säuger wie Antilopen, Wildhunde und sogar Büffel in diese Höhe.
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Der Leopard, dessen Kadaver in den 1920er-Jahren sogar im Gipfelbereich – der arktischen Permafrostzone – gefunden wurde, erlangte durch Ernest Hemingways Erzählung „Schnee auf dem Kilimanjaro“ Bekanntheit.
Dort oben zeigt das Thermometer im Jahresmittel nur noch –7 °C an. Der Frost ist auch die natürliche Kühlung für die mittlerweile schon arg zerzauste weiße Gletscherhaube, das Markenzeichen des Bergs, der über der afrikanischen Steppe zu schweben scheint.
Ganz langsam zum Gipfel
Um ganz nach oben zu kommen, muss nicht über Felswände geklettert werden, keine Spalten versperren den Weg, und es sind weder Lawinen noch Steinschlag zu befürchten. Selbst das Wetter folgt einem halbwegs planbaren Rhythmus.
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Das hat sich herumgesprochen: Mit rund 25.000 Menschen pro Jahr erlebt der Berg einen ähnlichen Zustrom wie der Mont Blanc, der höchste Alpengipfel. Der tatsächliche Rummel am Berg hängt stark von Routenwahl und Jahreszeit ab. Wirklich allein ist man nie, zumal man in jedem Fall Guides und Träger von einheimischen Agenturen beschäftigen muss.
Neben Geduld, einer Portion Ausdauer und der Bereitschaft fürs einfache Leben ist eine solide Akklimatisation, also die langsame Anpassung des Organismus an die Höhe, notwendig. Am Weg hinauf sinkt der Luftdruck, der Körper muss härter arbeiten, um den Lungen die gleiche Menge Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Einfacher formuliert: Die Luft wird dünner. Aufgabe der Guides aus Tansania ist es, den europäischen Ehrgeiz zu drosseln und mit ihren Gästen ein langsames Tempo zu gehen, damit es nach rund sieben Tagen möglichst alle zum höchsten Punkt am Kraterrand schaffen.
Genau dorthin wollten Christian Rainer und ich Anfang 2017. Uns verbindet schon lange die Lust am Abenteuer: Gemeinsam standen wir auf dem Großglockner und dem Ortler, schnupperten mit Himalaya-Legende Peter Habeler Höhenluft im nepalesischen Khumbu-Tal, tauchten in Mikronesien nach Wracks und fuhren mit dem Zug von Wien bis an den Pazifik nach Wladiwostok.
Seit Jahren schon sprachen wir auch darüber, den Kilimanjaro zu besteigen. In der immer dünner werdenden Luft während des Aufstiegs sind wir dann nicht viel zum Reden gekommen. Umso mehr brauchte es eine ausführliche Nachbesprechung.
Klaus Haselböck: Im Unterschied zu dir, Christian, war ich immer der Kilimanjaro-Skeptiker von uns beiden. Je prominenter ein Berg, desto mehr Leute wollen rauf. Und Massenanstürme sind nicht mein Ding.
Christian Rainer: Du kennst ja mein Motto, Klaus: Lieber den Everest versuchen, als foreverest bescheiden bleiben.
K.H: Bei mir ist der Funke übergesprungen, als ich von der Umbwe-Route gehört habe: Sie gilt als der anspruchsvollste Weg auf den Kili. Vor allem ist sie ein fast unwirklich schöner, aber gut machbarer Weg durch den Bergurwald.
C.R: Von dem Gedanken ans Zelteln und der Perspektive auf steile, sumpfige Wege war ich ja anfangs wenig inspiriert. Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eine ganz normale Route, am besten mit Schlepplift, nehmen können. Aber du hattest recht: An den beiden Umbwe-Tagen und danach am Northern Circuit waren wir komplett allein unterwegs – kaum vorstellbar auf so einem beliebten Berg. Als wir vom Barranco Camp aus zu den Massen auf der Machame-Route hinüberblickten, war klar, wo der Normalweg ist.
K.H: „Allein“ ist relativ: Uns haben 23 Afrikaner als Träger, Guides, Kellner und Köche auf der Tour begleitet – das ist so üblich. Aber ich wurde am Berg noch nie so betreut!
C.R: Jeden Morgen gab es eine Tasse Tee ans Zelt und heißes Wasser zum Waschen. Wir wanderten mit leichtem Rucksack. Und abends wurde uns ein tolles Essen serviert. An diesen Service kann man sich schon gewöhnen.
K.H: Hast du gewusst, dass Tansania bis ins 20. Jahrhundert eine deutsche Kolonie war? Die Erstbesteiger des Kilimanjaro, der deutsche Geograf Hans Meyer und der österreichische Alpinist Ludwig Purtscheller, nannten ihn Kaiser-Wilhelm-Spitze und haben ihn zum höchsten Berg Deutschlands gemacht.
C.R: Unser Guide Issa ist das beste Beispiel für ein lebendiges europäisch-afrikanisches Miteinander: Er spricht toll Deutsch, ist mit einer Ärztin aus Jena verheiratet und hat den Kili dreihundertmal bestiegen.
K.H: Umso erstaunlicher, dass selbst er in manchen Gebieten unserer Tour zwanzig Jahre nicht mehr war. Wir haben einen weiten Bogen gezogen, uns gut akklimatisiert und immer neue Perspektiven bekommen: zuerst das tropischschwüle Klima des Regenwalds, dann die Moorlandschaft, plötzlich eine Bergwüste. Ich musste spontan an die schottischen Highlands denken.
C.R: Und ich an eine heiße Dusche im Salzkammergut – mit Höhenzulage. Wo wir gemütlich gewandert sind, kommst du in Europa ja nur mit dem Ballon hin.
K.H: Stimmt. Gestartet sind wir beim Gate auf 1.800 Metern, also der Höhe des Ötschers in Niederösterreich. Am ersten Tag ging es mit 3.100 Metern über den Dachstein hinaus. Ab Tag zwei haben wir den Großglockner hinter uns gelassen und uns bis zum Gipfelsturm zwischen 4.000 und 4.600 Metern bewegt.
C.R: Wegen der Höhe hatte ich die Familienpackung des Schmerzmittels Ibuprofen immer griffbereit – für euch natürlich. Im Himalaya hat Peter Habeler meinen gesamten Vorrat verbraucht, du erinnerst dich, Klaus. Dass wir den Gipfel schließlich so entspannt geschafft haben, lag aber wohl an der „African Time“, mit der wir uns sechs Tage lang bewegt haben.
K.H: Das „Pole, pole“, also „Langsam, langsam“, der Guides habe ich immer noch im Ohr. Selbst auf einfachen Wegen waren wir wie in Superzeitlupe unterwegs. Als würden wir an der Weltmeisterschaft im Langsamgehen teilnehmen.
C.R: Ich hätte auch nicht schneller können. So frisch bin ich dafür noch nie in 3.000 Meter Höhe angekommen. Eine gute Akklimatisierung am Kili und viel zu trinken ist viel wichtiger als eine Superkondi.
K.H: Wettermäßig hatten wir es auch perfekt: Am Morgen war es klar, dann kamen Wolken, aber kein Regen, und ab dem späten Nachmittag hat’s wieder gepasst. Heute wissen wir: Eine Besteigung in der Trockenzeit geht fast immer.
C.R: Laut meiner Internetprognose hätte es am Gipfeltag 68 Zentimeter Neuschnee geben sollen. Was für ein Schwachsinn! War wohl eine Finte der Resortbetreiber in Sansibar, der benachbarten Inseln im Indischen Ozean. Geschneit hat es jedenfalls keine Flocke.
K.H: Dafür hatte es die Gipfeletappe in sich: 1.100 Höhenmeter, also rund sieben Stunden Gehzeit, sind es vom letzten Camp. Wer zu schnell startet, kann im Finale noch verlieren.
C.R: Der nächtliche Gipfelgang in dünner Luft bei minus zehn Grad ist das Kriterium der Tour.
K.H: Und eine Prüfung für die Ausrüstung: Da hatte ich alle Schichten an, die Daunenjacke um die Hüfte geschlungen und – nicht weitererzählen – die Handwärmer aktiviert. Der Berg liegt zwar am Äquator, man darf sich aber nicht täuschen: Oben wird es saukalt. Erst recht, weil wir um Mitternacht gestartet sind.
C.R: Dadurch haben wir wenigstens nicht gesehen, wie öde der Weg hinauf ist! Und der Frost gab uns besseren Grip auf dem sandigen Boden. Pünktlich zu unserer Ankunft am Kraterrand ging die Sonne auf. Das konnte einiges.
K.H: Allerdings. Bei mir sind die Tränen geflossen wie selten zuvor. Da hat sich die Erwartungshaltung eines halben Lebens entladen. Afrika zu Füßen, die Sonne auf Augenhöhe, die Freunde in den Armen. So könnte ich sterben, dachte ich mir.
C.R: Ich stand mit gemischten Gefühlen am Gillman’s Point: Ich war überglücklich, das Schild zu sehen, die Anspannung war aber noch da. Zum Uhuru-Peak, dem eigentlichen Gipfel, fehlten zwar nur mehr 150 Höhenmeter, jedoch liegt der auf der anderen Seite des Kraterrands.
K.H: Und das Stück ist heftig! Ich habe junge Menschen gesehen, die, gestützt von ihren Begleitern, wie im Delirium dahinstolperten. Auf welchem Berg sie unterwegs waren, wussten die wohl nicht mehr.
C.R: Die Höhe haben wir auch gemerkt, als wir sie wieder loswerden wollten. Nach dem Gipfel ist die Tour zwar gefühlt vorbei, es braucht aber noch zwei Tage, bis man unten ist – beim Mweka-Gate diesfalls. Denn am Kilimanjaro herrscht ein ausgetüfteltes Einbahnsystem für den Auf- und den Abstieg. Bei kühlem Bier und afrikanischer Musik kam dann der Stolz.
K.H: Mit dem Kili gibt es auch ein Problem. Vor dem sollte auch gewarnt werden.
C.R: Nämlich?
K.H. Er ist Teil der „Seven Summits“, der höchsten Berge der sieben Kontinente. Schon einen einzigen davon zu besteigen macht süchtig auf mehr. Für dich ist das wohl die Carstensz-Pyramide in Ozeanien, für mich der Everest. Oder einigen wir uns auf den Aconcagua in Südamerika?
Infos und Adressen: Kilimanjaro – Auf das Dach Afrikas
Ankommen
Der Flughafen Kilimanjaro International in Tansania wird u. a. von Ethiopian Airlines, Condor und KLM angeflogen und ist der beste Ausgangspunkt für Kili-Besteigungen und Safaris im Ngorongoro-Krater. Ein Visum zum Preis von $ 50 wird direkt bei der Einreise ausgestellt. Der Zeitunterschied beträgt plus zwei Stunden.
Die klimatisch günstigen, weil wärmeren und trockeneren Monate sind Jänner bis März. Ein weiteres Fenster öffnet sich von August bis Oktober. Während der Regenzeit – die „große“ dauert von Mitte März bis Anfang Juni, die „kleine“ von Mitte Oktober bis Dezember – wird der Berg weniger begangen.
Aufsteigen
Fünf Wanderrouten sind für den Aufstieg relevant: Bei der Marangu, der leichtesten und populärsten, wird in Hütten genächtigt, bei allen anderen gezeltet. Rongai und Machame sind ähnlich nachgefragt, landschaftlich ist Letztere steiler und abwechslungsreicher. Bei Lemosho/Shira und Umbwe sind die Wege spektakulär und deutlich einsamer. Für den Gipfel führen alle Wege wieder zusammen. Die Anstiege (außer bei der Marangu) werden als „Einbahnstraßen“ geführt: Der Abstieg führt über die Mweka-Route. Die Gehzeiten aller Routen liegen zwischen 3 und 7 Stunden pro Tag, für den Gipfel können es bis zu 12 sein. Eine Besteigung ist nur mit amtlicher Erlaubnis gestattet, außerdem müssen lokale Guides und Träger beschäftigt werden.
Ausrüstung
Es kann in der Nacht deutlich abkühlen und am Gipfel bis zu minus 15 Grad haben. Für die Zelttour braucht es einen Schlafsack mit einem Komfortbereich bis minus 10 Grad, eine Wärmejacke, warme Unterwäsche, Handschuhe und eine Haube.
Impfungen
Gegen Gelbfieber sollte man geimpft sein, Malaria tropica kann bis auf 2.000 Meter Höhe durch Mücken übertragen werden. Eine Prophylaxe ist mit Tabletten möglich.
Lesen
Viel Geschichte, kurzweilige Geschichten und tolle Bilder zu Afrikas Höchstem. „Kilimanjaro: Der weiße Berg Afrikas“, P. Werner Lange, Robert Bösch, AS Verlag, 39,90 Euro.
Karte
Zur Orientierung am Berg und für die Nachbereitung der Reise. „Kilimanjaro National Park“, Maßstab 1:100.000 (Harms Verlag, 12,50 Euro).
Buchungen
Der DAV Summit Club, der Reiseveranstalter des deutschen Alpenvereins, hat ein umfangreiches Angebot für Kilimanjaro- Besteigungen im Programm: vom Hüttentrekking über eine abenteuerliche Übernachtung im Krater bis zu der hier beschriebenen Umbwe-Route.
DAV Summit Club
Am Perlacher Forst 186
81545 München
Tel.: +49/89/642 40-0
www.dav-summit-club.de
Der besondere Tipp: Im Garten Eden
Im Ngorongoro-Krater, rund drei Autostunden vom Kilimanjaro entfernt, findet die spektakulärste Tierschau Afrikas statt: Der 260 Quadratkilometer große Kessel, ein Teil des Serengeti-Nationalparks, ist Lebensraum für Löwen, Elefanten, Nashörner, Leoparden, Zebras, Gnus, Antilopen, Flusspferde, Hyänen und Giraffen. Einen halben Tag braucht man, um das Gebiet zu erkunden und viele der mehr als 25.000 Wildtiere meist friedlich grasend und schlafend zu erleben. Dieser Ausflug kann im Rahmen einer Kilimanjaro-Tour mitgebucht werden.