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Bilanz eines Jahres

Menschen

3 Min.

06.05.2024

Foto: Simon Messner Archiv

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Simon Messner ist Bergsteiger und Bergbauer – wie sich das zu einem Leben fügt, erzählt er in seiner Kolumne. Vierte Folge: Nach einem Jahr am Oberortl-Hof blickt Simon auf eine arbeitsreiche Zeit zurück und fragt sich, ob er sich sein neues Dasein so vorgestellt hat.

Am Nachmittag sitze ich gerne auf dem- selben Stein und lasse meinen Blick in die Ferne schweifen. Alle Feriengäste sind abgereist, und es ist still geworden auf Juval. Nur hin und wieder blökt ein Schaf auf der bräunlich gewordenen Wiese, die schon Winterschlaf zu halten scheint. Die Tage auf Juval sind mittlerweile kurz, die Temperaturen empfindlich kühl, und auf den Bergen ist der erste Schnee gefallen.

Ich mag den Herbst. Jetzt kommt nicht nur die Natur zur Ruhe, sondern auch wir Menschen. Und nach einer intensiven Saison kann ich über das zurückliegende Jahr nachdenken: Was hat sich verändert, seit Anna und ich unsere kleine Mietwohnung in Innsbruck verlassen haben? Haben wir uns das Leben am Oberortl-Hof so vorgestellt? Und ist überhaupt noch Platz für meine Leidenschaft, das Klettern und Bergsteigen?

Solche Fragen gehen leicht unter angesichts der vielen Aufgaben, die Anna und ich tagein, tagaus zu bewältigen haben. Wir beide hatten zu Beginn kaum eine Ahnung, wie man so einen Hof überhaupt führt. Den hatte ich zwar geerbt, aber es gab niemanden, der uns sagte, was damit zu tun sei. Entsprechend holprig war der Start: Versuch und Irrtum machten wir zu unserer Devise.

Für mich als Kletterer änderte sich mit der Entscheidung, den Hof zu übernehmen, alles: Zuvor hatte ich jede freie Minute in den Bergen und Tälern rund um Innsbruck sowie in den Dolomiten verbracht und mit Martin Sieberer eine Reihe anspruchsvoller Linien erstbegehen können. In den Wänden ging es mir gut. Genau dort wollte ich sein, das war Freiheit pur! Anna erlebte es ähnlich: Sie hatte eine Arbeit gefunden, die ihr Spaß machte und sie forderte. Wir mochten Innsbruck und unsere 43 Quadratmeter große Wohnung. Die Entscheidung, den Hof in Südtirol zu übernehmen, fiel uns nicht leicht.


Ein neues Leben

Schließlich einigten wir uns, dass wir es wenigstens versuchen wollen. Mit Motorsäge und Beil rückten wir an, befreiten das Hofgelände von Sträuchern und Unkraut. Mit einem Tuch vor dem Mund kratzten wir zentimeterdicke Schichten aus Staub und Fledermauskot von Simsen und Leisten. Überall lag Müll herum: kaputte Maschinen, alte Matratzen, verrostete Ersatzteile. Wir räumten auf, ersetzten verfaulte Bretter, schlugen Nägel nach und erneuerten den Eselstall. Wir mähten das erste Mal unsere Wiesen, schnitten Wege frei und flickten die heruntergekommenen Zäune. Außerdem war alle paar Monate Zeit für Klauen- und Hufpflege bei unseren Tieren. Vor allem Heidi, die Eseldame, zeigte sich wenig kooperativ.

Mit der Hilfe eines Freundes säuberten wir den Stall – Ausmisten ist eine verdammt harte Arbeit! Da wir nicht genau wussten, wo die Wasserleitungen verlaufen, hatte der Frost die Hälfte der Dichtungen im ersten Winter kaputt gemacht. Schließlich renovierten wir noch drei Ferienwohnungen, wobei wir den Großteil der Arbeiten selbst mach- ten. Seit Juli werden die Wohnungen vermietet und mit großer Begeisterung angenommen. Anna und ich begrüßen die Gäste, putzen die Wohnungen und waschen die Bettwäsche. Das erste Jahr am Hof war fordernd, doch es kam viel Positives zurück.

Im Winter werde ich wieder mehr zum Klettern kommen, das habe ich mir fest vorgenommen. Auch den einen oder anderen gefrorenen Wasserfall möchte ich begehen. Daher habe ich schon einmal meine Eisgeräte aus dem Keller geholt und mit dem Trockentraining begonnen. Schließlich will ich vorbereitet sein, wenn das Eis gut steht.

Bevor der Winter kommt, gibt es noch eine Menge am Hof zu tun: Sechs Schindeldächer müssen erneuert werden. Dafür türmen sich bereits jede Menge Holzschindeln in unserer Garage. Ich werde also bis auf weiteres eher auf Dächern als auf Berggipfeln stehen. Aber das ist okay. In jedem Fall bringt das viel Schmalz für die Oberarme!

Simon Messner machte mit 15 Jahren erste Felstouren in den Dolomiten. Ihm gelangen Erstbegehungen in den Alpen, Pakistan und im Oman. Der studierte Molekularbiologe bewirtschaftet einen Bauernhof bei Juval.


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