Jordanien: Klettern und Wandern im Wadi Rum
Foto: mauritius images/ Juergen Ritterbach
von Peter Knauseder
Bizarre Felsformation, tiefrote Sonnenuntergänge, Beduinen, Kamele und ein endlos scheinender Wüstenhorizont, der mit mächtigen Tafelbergen geschmückt ist: Schon vor hundert Jahren begeisterte das Wadi Rum im Süden Jordaniens „Lawrence von Arabien“ – heute gilt es als Kletter-Geheimtipp.
Rund dreißig Jahre nachdem der dort stationierte britische Offizier Thomas Edward Lawrence – besser bekannt als „Lawrence von Arabien“ – über die atemberaubende Schönheit dieses Ortes berichtete, machte sich die erste britische Expedition auf, um den höchsten Berg des Wadi Rums, den Jebel Rum, zu besteigen. Das Unternehmen war von Erfolg gekrönt.
Auch heute noch lässt das Wadi Rum viel Spielraum für Abenteuer übrig. Die schier endlos scheinenden Tafelberge, mit Sandsteinwänden von bis zu 600 m Höhe, von denen nur die wenigsten mit Bohrhaken versehen sind, eröffnen ein enormes Potential für Erstbegehungen – bzw. für Klettertouren, die sich so anfühlen als wären sie welche.
Es ist Mitte Jänner in Wien und ein gefühltes halbes Jahr ohne Sonnenlicht neigt sich langsam dem Ende zu. Wie immer vor den Uni-Semesterferien bin ich mit der Urlaubsplanung zu spät dran. Schon letztes Jahr besuchten zwei meiner Langzeit-Kletterpartner das Wadi Rum – ihre Erzählungen über wilde Kletter-Abenteuer und perfekten Sandstein waren so zahlreich und spannend, dass mir keine andere Wahl bleibt als die Jungs zu fragen, ob sie bereit wären erneut nach Jordanien zu fliegen – dieses Mal mit mir. Ein paar Telefonate später haben wir bereits unsere Flüge gebucht und planen unser Tourenprogramm sowie die Gepäcksaufteilung für die Anreise. Vier Mann stark, kiloweise Metall im Gepäck und hungrig auf Sonne und Abenteuer treten wir die Reise nach Jordanien an.
Ankunft im Abendrot
Als wir die letzten Kilometer in unserem schwer überladenen Taxi in das Wadi Rum einfahren und sich uns der unvergleichliche Anblick des im Abendrot leuchtenden Jebel Rum (des höchsten Gipfels im Wadi Rum) eröffnet sind die Mühen der Anreise sofort vergessen.
Zu meinem Vorteil kennen Niki und Matthias das Wadi ja bereits und kümmerten sich somit um die Einreise in den Naturpark wie auch um das „Einchecken“ am Campingplatz. Wenig später haben wir bereits unser Basecamp aufgestellt und freuen uns darauf die erste Nacht unter sternenklarem Wüstenhimmel zu verbringen.
Am nächsten Morgen heißt die erste Mission natürlich: an Kaffee kommen. Vier vom Stadtleben verwöhnte Kletterer wollen klarerweise guten Espresso mit Milchschaum und wenn möglich mit Sojamilch. Kein leichtes Unterfangen, wenn man sich mitten in der Wüste befindet. Nichtsdestotrotz machen wir uns auf die Suche nach unserer Dosis Coffein und werden schon nach kurzer Zeit fündig.
Leider befindet sich das einzige Kaffeehaus gerade in Umbauarbeiten und uns bleibt nichts anderes übrig als uns ein Päckchen Kaffee im lokalen Lebensmittelgeschäft zu kaufen und unseren Kaffee selbst zu brühen.
Zu meiner großen Freude verläuft die Nahrungsbeschaffung wesentlich unkomplizierter. Nur wenige Gehminuten vom Campingplatz entdecken wir eine kleine Falafel- und Hummusbude die uns die kommenden drei Wochen mit Kichererbsen in jeglicher Form versorgen wird.
Jetzt, wo der Hunger und Kaffeedurst gestillt sind, ist es Zeit ans Klettern zu denken. Doch erst müssen wir unsere bis zum Rand mit Kletterequipment vollgestopften Rucksäcke leeren und uns einen Überblick über das mitgebrachte Material verschaffen.
Auf alten Beduinenwegen
Endlich sind wir bereit und wir machen uns auf den Weg, um zunächst ein paar leichte Sportklettertouren in Angriff zu nehmen. Schließlich gilt es unsere Fitness zu testen und uns an den Fels zu gewöhnen.
Es vergehen einige gemütliche Klettertage und wo unsere Haut Pausen vom Fels benötigt schieben wir die ein oder andere Wanderung ins Programm. Unter normalen Umständen sind Kletterer dem bloßen Wandern eher abgeneigt, es sei denn es handelt sich um Zustieg zur Wand. Nicht so im Wadi Rum. Die einzigartige Landschaft mit ihren Tafelbergen und oft vorgelagerten, sanft wirkende Hügeln, bietet unendliches Potential für spannende Ausflüge zu Fuß.
Durch labyrinthartige Schluchten und über unzählige Felsstufen haben schon vor langer Zeit Beduinen ihre Wege hinauf auf die Berge gefunden, um dort nach schutzsuchenden Tieren zu jagen. Einige dieser Beduinenrouten sind überaus lohnend und können als „Normalwege“ im Mix aus Wandern und Solo-Klettern (keine Bohrhaken vorhanden) begangen werden.
Nach knapp einer Woche fühlen wir uns fit und mit Material und Fels so weit vertraut, dass wir uns entscheiden eine erste Mehrseillänge in Angriff zu nehmen. Die Tour mit dem klingenden Namen „Lionheart“ (6b, 350 m, 8 SL). Früh morgens machen wir uns auf und haben nach rund eineinhalb Stunden den Zustieg zu den „Abu Aina Towers“ hinter uns gebracht. Schon vom Einstieg aus beeindruckt der Turm mit seiner Steilheit und der verhältnismäßig glatten Sandsteinwand.
Bohrhaken „Made in West-Germany“
Aufgeteilt auf zwei Seilschaften klettern wir los und sind spätestens in der dritten Seillänge überzeugt, dass wir eine gute Wahl getroffen haben. Die Felsqualität ist nahezu perfekt, der Schwierigkeitsgrad passt und wir haben genügend Möglichkeiten uns gut mit Friends und Keilen abzusichern.
Knappe fünf Stunden später stehen wir auf dem Gipfel, doch da die Tage hier nicht allzu lange sind neigt sich der Tag bereits seinem Ende zu und es bleibt nicht viel Zeit für den Weg nach unten. Zu wenig Zeit! Als das Licht schon knapp ist stehen Niki und ich auf einer uns unbekannten Felsbank und wir starren auf einen einzelnen, mit „Made in West-Germany“ gravierten Bohrhaken. Die Finger gekreuzt seilen wir weiter ab und schaffen es mit zittrigen Beinen zurück auf den Boden.
Kaum ein Tag vergeht an dem wir nicht zumindest eine Mehrseillängentour klettern. Nach rund einer Woche entscheiden wir uns eine kleine Pause vom Fels zu nehmen. Glücklicherweise liegt das Wadi Rum nicht weit vom Roten Meer und so verbringen wir einen Tag in Aqaba, bevor wir die berühmte antike Felsstadt Petra besuchen. Dort nutzen wir die gute touristische Infrastruktur, um uns in einem der Restaurants den Bauch vollzuschlagen und beim Barber die Bärte rasieren zu lassen. Dann fahren wir nochmals ans Rote Meer zum Schnorcheln.
Die “So-Gott-will-Wand“
Tiefenentspannt und top motiviert kehren wir ins Wadi Rum zurück und haben noch eine Woche Zeit unsere Liste an Touren abzuarbeiten. Speziell eine Tour schwirrt seit Beginn des Trips in unseren Köpfen herum. „The Inshallah Factor“ (6c+, 450 m, 15 SL) bedeutet übersetzt „Der Wenn-Gott-will-Faktor“, was einiges an Spielraum für Interpretation offen lässt.
Es handelt sich dabei um die Durchsteigung der Jebel Rum-Ostwand, einer der schönsten und eindrucksvollsten Wände im gesamten Wadi Rum. Mittlerweile ist ein Crewmitglied, Stefan, abgereist und wir beschließen die Tour in einer Dreierseilschaft zu machen und brechen noch vor Sonnenaufgang auf.
Die ersten vier Seillängen verlaufen schnell und unproblematisch, doch ab Seillänge 5 wird es spannend. Erst hat Matthias große Mühe in der schwierigsten Seillänge (6c+) mehr als zwei Micro-Friends (nicht unbedingt sehr sicher) unterzubringen. Nur wenige Längen später bin ich an der Reihe um meine Nerven zu testen. Auf brüchigen Sandsteinschuppen, zum Teil nicht dicker als Schallplatten, versuche ich meine 72kg so zu verteilen, dass nichts abbricht. Meine Gedanken schwanken zwischen „ich bin leicht wie eine Feder“ und „wenn das abbricht bin ich dran“ und nach einigen Verzweiflungsschreien und etwas Todesangst ist die Seillänge geschafft.
In gewohnter Manier erreichen wir den Gipfel bei Dunkelheit, setzten unsere Stirnlampen auf und machen uns auf den Weg nach unten.
Sechs Stunden später haben wir uns ohne Orientierungshilfen in der Dunkelheit abgeseilt und finden unseren Weg durch ein nicht endend wollendes Labyrinth an Schluchten hinaus aus dem Berg.
Ein unvergesslich spannender und außergewöhnlicher Klettertrip findet sein Ende. So Vieles geklettert und doch noch so Vieles offen. Wie so oft verlasse ich ein Klettergebiet mit dem Gedanken, dass ich wiederkommen muss. Doch so oder so – die feuerroten Sonnenuntergänge, die sternenklaren Wüstennächte und die steilen Sandsteinwände werden mir für immer in Erinnerung bleiben.
Touren
Infos und Adressen: Klettern im Wadi Rum, Jordanien
- Beste Reisezeit: Dezember bis März sind die besten Monate, um das Wadi Rum zu besuchen. Speziell zum Klettern sind diese etwas kälteren Wintermonate ideal geeignet. In dieser Zeit ist es meist trocken (ca. 5-13 mm Niederschlag pro Monat) und nicht allzu heiß (ca. 8-26°C).
- Anreise: Der Flughafen Amman (AMM) ist mehr oder weniger von jedem größeren europäischen Flughafen entweder direkt oder mit einer Zwischenlandung erreichbar. Ab Wien Schwechat (VIE) fliegt z.B. Austrian Airlines direkt.
- Weiterfahrt: Eine direkte Fahrt von Amman ins Wadi Rum ist nur per Taxi oder Mietwagen möglich. Beides ist nicht allzu teuer und Jordaniens Straßen sind gut und sicher zu befahren. Wer dennoch den Bus vorzieht muss zuerst nach Petra (1x täglich ins Wadi Rum, 6:00 Uhr) oder Aqaba (4x täglich ins Wadi Rum) fahren und von dort eine weitere Busverbindung ins Wadi Rum nehmen.
- Kletter- und Wanderführer: Das vom englischen Kletterer Tony Howard verfasste Buch „Treks & Climbs in Wadi Rum, Jordan“ („Cicerone“ Verlag) beinhaltet die wichtigsten Wander- und Kletterrouten.
- Berg & Freizeit
Wildcampen und Klettern auf den Lofoten
- Berg & Freizeit
High in Jamaika: Wandern in den Blue Mountains
- Berg & Freizeit
Mazedonien: Die Entdeckung der Einsamkeit
- Berg & Freizeit
Der Paternkofel ruft
- Berg & Freizeit
Klettern und Radeln: Mikroabenteuer in der Wachau