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Spitzentanz

Regionen

4 Min.

21.01.2022

Foto: Elias Holzknecht

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Eis statt Fels, Klingen statt Fingerkraft und etwas Adrenalin: von den ersten Schritten an gefrorenen Wasserfällen.

Klaus Haselböck für das Bergwelten-Magazin Dezember/Jänner 2017/18

Erst eine kalte Dusche aus Schnee vermischt mit Eiskörnern, dann prasseln fette Brocken auf mich ein: Selten habe ich meinen Helm so geschätzt wie in dieser Wand aus gefrorenem Wasser. Blöd nur, dass ich genau dorthin will, wo die Schauer herkommen. Trotz messerscharfer Eisgeräte und Steigeisen ist es schwierig, einen Halt zu finden, geschweige denn Meter nach oben zu machen.

Beim Versuch die Geräte zu platzieren, rauschen große Schollen unter mir in die Tiefe. Also muss ich kleinen Kanten, die im Eis zurückbleiben, mein Gewicht anvertrauen. Meine Lage ist nicht gänzlich verzweifelt, aber mühsamer als erwartet. Wo sind die gut ausgestalteten Tritte und Stufen hin, die die gestrige Route zu einem gemütlichen Spaziergang in der Vertikalen gemacht haben?

Gestern, das war quasi die Volksschule und damit der Beginn des Eiskletterkurses: Das Eis, das sich im Winter über die Felsen der Zufahrtsstraße nach Bad Gastein legt, bietet eine ideale Spielwiese für unverfrorene Kletterer. Bis zu 30 Meter ist der Vorhang hoch und der Zustieg minimal. Das Routenspektrum reicht von gutmütig bis anspruchsvoll und gesichert wird „top-rope“: Das Seil kommt also von oben, und Stürze sind genauso kurz wie sanft.

Eine solide Erfahrung im Bergsteigen, vor allem im Felsklettern, empfiehlt sich als Basis, um in diese wilde Sparte des Alpinismus hineinzuschnuppern. Ganz spielerisch turnten Petra, Therapeutin aus dem oberösterreichischen Ebensee, und ich im steilen Eis herum. Genauso wie am Fels sind auch dort kleine, überlegte Schritte gefragt. „Die Steigeisen sollen nicht gerade, sondern von unten ins Eis gestoßen werden“, erklärte uns Hans Zlöbl, Bergführer und als Lokalmatador Spezialist für waghalsige Erstbegehungen. „Sonst hebelt es euch die Zacken im überhängenden Eis heraus.“


From Zero to Hero

So weit waren wir aber noch nicht. Für unsere Genese „From Zero to Hero“ nahmen wir uns zwei Tage Zeit: Zuerst wurden in aller Ruhe die Basics gepaukt. Etwa, dass der Arm beim Steigen möglichst gestreckt sein soll. Das weiß das Muskelgedächtnis von Klettersteigen und Felstouren. Gewöhnungsbedürftig war aber, dass jetzt zwei messerscharfe Eisgeräte mit im Spiel sind, die überlegt eingesetzt werden wollen.

Wir lernten auch, nicht zu aggressiv auf die Wand einzuhacken. Viel besser ist es zu „hooken“, also das Eisgerät in vorhandene Vertiefungen einzuhängen und vorsichtig zu belasten. „Immer fröhlich pecken“, rief dazu der Hans gut gelaunt herauf. „Damit ihr ein Gefühl fürs Eis bekommt.“ Als Belohnung gab es bald den magischen Moment, wenn wenige Millimeter Stahl plötzlich das ganze Körpergewicht tragen.

Eine vertrauensbildende Maßnahme dafür ist das „Kraftdreieck“, das wir im Eisklettergarten unter entspannten Bedingungen übten: Bei diesem vertikalen Spitzentanz bilden die Füße – wie bei einem auf der Basis stehenden Dreieck – eine solide Grundlage unter dem im Eis verankerten Gerät. Aus dieser Position heraus suchten wir ein neues Loch für das andere Gerät: Links und rechts, Schritt für Schritt gewannen wir an Höhe.

Eigentlich einfach, aber als Fortbewegung euphorisierend: Wohlige Schauer liefen mir über den Rücken, als ich mich an einer freistehenden Säule hinaufarbeitete. Solche fragilen Gebilde sind das nächste Level des Eiskletterns, und ein anerkennendes „Wow!“ kam von unten. Ob man die Vertikale im Winter bezwingt, hängt aber nicht nur von der Technik und der Kraft in den Oberarmen ab: Eis ist ja nur Wasser in einem anderen Aggregatzustand, von der Temperatur abhängig und damit stets in Veränderung.

Entsprechend schmal ist der Zeitraum, den Eiskletterer bespielen: In einem kalten Dezember können steile Wasserläufe innerhalb von Tagen zu bizarren Kaskaden frieren und ein Warmwettereinbruch dem Eistraum schon im Jänner wieder ein jähes Ende bereiten. Ist der Frost zu streng, wird das Eis gefährlich spröde und mit Ende Februar, spätestens im März, ist die Saison in niedrigen Lagen zu Ende. Düstere Nordwände, schattige Täler und andere klimatisch wenig begünstigte Gebiete sind für Eiskletterer deshalb die bevorzugten Reviere. Je weniger Sonne, desto konstanter die Eisqualität.


Reifeprüfung am Wasserfall

Genau diese Qualitäten hat das nahe Bad Gastein gelegene Anlauftal. In dessen üppiger Eisarena sind wir heute, am zweiten Tag, unterwegs. Der 120 Meter hohe Federweiß-Fall soll unsere Reifeprüfung sein. Nach einer Stunde Gehzeit ist der Einstieg der Tour erreicht. Bevor es losgeht, klopft Hans das Eis ab. Hohl soll es keinesfalls klingen und unter den Schlägen des Eisgeräts nicht zu sehr nachgeben. Der Routinier lächelt zufrieden: „Perfekt!“ Der Föhnsturm der letzten Tage hatte die Strukturen nicht beeinträchtigt.

An dem Klettergurt baumeln diesmal Eisschrauben in unterschiedlichen Längen: Als Dreier-Seilschaft setzen wir die Sicherungen selbst. In Sachen Exponiertheit ist schon beim Hinaufschauen klar, dass die Route – verglichen mit dem Eisklettergarten – in einer anderen Liga spielt: Nach dem moderaten Beginn wird die Tour fast senkrecht, vor allem ist sie richtig hoch. Schon mit der ersten Seillänge ist der Stress da: Die Wand scheint dauernd in Bewegung zu sein. Mit jedem Schlag gehen Teile des Eisfalls ab, und von oben kommt reichlich Gefrorenes nach. 

Es braucht Zeit, sich in die Geräuschkulisse, den Puls der Wand, einzugrooven. Tief durchatmen“, befehle ich mir und denke an das gestern Gelernte: Solide stehen, kleine Schritte machen und jede Vertiefung, die sich bietet, konsequent nützen. Ist der Blick fürs Eis einmal geschärft, so findet auch die schwarze Spitze der Haue wieder und wieder einen Punkt, wo sie sich eingraben kann, und mit jedem gewonnenen Meter steigt die Faszination am Tun.

Mit dem letzten Aufschwung erreichen wir einen flachen Felsbalkon, und plötzlich ist es so ungewöhnlich still. Kein Hacken, kein Schlagen mehr, kein berstendes Eis. Nur das Adrenalin scheint noch in den Ohren zu rauschen. Stolz blicken wir hinunter, und spätestens beim Abseilen steht fest: Nach dem Wasserfall ist vor dem Wasserfall.


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