David Lama: Über das Alter
In Nepal war Conrad Anker, am Eiger Peter Habeler mein Partner. Beide sind Legenden des Bergsteigens. Allerdings könnte der eine mein Vater, der andere sogar mein Opa sein.
Mit dem 55-jährigen Conrad Anker, Amerikas erfahrenstem Expeditionsbergsteiger, hatte ich bei unseren ersten zwei gemeinsamen Unternehmungen noch oft das Gefühl, ich sei mit einem Gleichaltrigen unterwegs. In puncto Leidenswille und Freude am Alpinismus unterschieden wir uns kaum voneinander. Nur unsere Risikobereitschaft war eine andere.
Als es darum ging, sich für eine Linie zum Gipfelpfeiler des Lunag Ri in Nepal zu entscheiden, hatten wir unterschiedliche Meinungen: Ich war für die leichteste und schnellste Linie, die aber unter zwei – meiner Meinung nach – harmlosen Eisabbrüchen verlief. Conrad sah das anders und sagte: „Vor 25 Jahren hätte ich deine Linie probiert, jetzt suche ich mir die sicherste.“ Ich konnte ihn nicht umstimmen. Beim Klettern waren wir dann wieder komplett auf einer Wellenlänge.
Dass sein Körper nicht mehr 26 Jahre alt ist, erlebten wir ein Jahr später am selben Berg auf drastischste Weise: Conrad erlitt in der Wand einen Herzinfarkt und musste zur Notoperation ins nächste Krankenhaus geflogen werden. Damit endete für ihn das Kapitel „Extrembergsteigen“. Mittlerweile ist er wieder in den USA am El Capitan und an leichteren hohen Bergen der Welt unterwegs. Seine Ziele hat er zwar angepasst, sein Feuer für die Berge brennt aber genau gleich weiter.
Für die Durchsteigung der Eiger-Nordwand, die ich in diesem Frühjahr gemeinsam mit Peter Habeler gemacht habe, war das Thema „Alter“ von Anfang an viel präsenter. Es hat mich sehr geehrt, dass Peter, der als Erster den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen hat, mich bei diesem Vorhaben dabeihaben wollte. Denn er hat meinen Einstieg ins Klettern als Fünfjähriger maßgeblich ermöglicht und geprägt.
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In zahlreichen Vorbereitungstouren schaffte sich Peter eine Basis für die Erfüllung seines Traums. Bei der ganzen Planung ging es darum, die Tour trotz seines fortgeschrittenen Alters – er war bei der Begehung 74 Jahre alt – überhaupt zu schaffen. Das war eine ordentliche Aufgabe für uns beide und für mich sogar ein Blick in meine eigene Zukunft. Denn viel mehr als diese Herausforderung faszinierte mich, wie Peter zwar körperlich am Limit war, aber denselben Glanz in den Augen hatte, wie einer, der in der besten Form seines Lebens ist.
Bei den gemeinsamen Touren habe ich von meinen doppelt bzw. dreimal so alten Kletterpartnern vor allem eines gelernt: Ist die Freude am Bergsteigen die eigentliche Triebfeder, dann kann man unbeeinflussbaren Umständen wie dem Älterwerden gelassen begegnen. Denn diese Leidenschaft ist nicht an unser Leistungsvermögen gekoppelt. Sie ist viel tiefer in uns drin.
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Für mich ist faszinierend, wie sich Conrad und Peter diese Lust auf Abenteuer erhalten haben, sich immer wieder quälen können und sich neue Ziele setzen. Wenn ich mir eine Sache wünschen darf, dann die: dass es bei mir nicht anders sein wird.