Glockner-Mythen auf dem Prüfstand
Aus der Nähe betrachtet ist der schwarze Berg gar nicht schwarz. Dunkel, ja. Aber der Gneiss am Stüdlgrat des Großglockners (3.798 m) schimmert zwischen den Fingern eher rot und grünlich. Trotzdem hält sich der martialische Spitzname für Österreichs höchsten Berg und klingt ein wenig nach Herr der Ringe. Wie an jedem Berg, der seine Umgebung so deutlich überragt und Superlative auf sich vereint, ranken sich viele Geschichten um den „dunklen Großfürsten der Ostalpen“. Alles nur Mythos?
Ein wenig klingt es danach, wenn Andreas Hanser vor einem steigt. Allein die Sprüche des 45-jährigen Kalser Bergführers sollen den Berg wohl klein machen: An den teils senkrechten Felsaufschwüngen des Stüdlgrats spricht er von einer „schönen Wanderung“. Gleichzeitig gähnen hunderte Meter Leere unter den Fersen, während die Spitzen der Bergstiefel auf einem Band Halt finden. Doch Hansers Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: „In 24 Jahren als Bergführer gab es bei mir noch keinen Unfall“, erzählt er stolz.
Einfach gestaltet sich der Aufstieg zwar nicht, doch Hanser sichert souverän von oben. Es ist leichter ihm hinterher zu steigen, als selbst den besten Weg über die mit dunklen Türmen gespickte Schneide zu finden. Auf 600 Höhenmetern schwingt diese sich vom Gletscher Teischnitzkees direkt zum 3.798 m hohen Gipfel empor. Dabei verlangt die Route Bergsteigern Kletter-Schwierigkeiten bis in den vierten Grad ab. Je nach Verhältnissen kann in diesen unwirtlichen Höhen mit ihrer dünnen Luft zu jeder Jahreszeit Schnee dazukommen.
Ein moderner Mythos ist, dass der Stüdlgrat ein Klettersteig sei: Wer hier mit dem entsprechenden Sicherungsset, aber ohne Seil und Karabiner aufschlägt, kann gleich wieder umdrehen. Wahr ist, dass Hilfsmittel den Grat heute an einzelnen Stellen entschärfen. Sie gehen auf den Prager Kaufmann Johann Stüdl zurück. Er war zwar nicht der erste auf dem nach ihm benannten Südwestgrat. Dafür förderte er ab 1867 den Alpinismus an Österreichs höchstem Berg. Stüdl finanzierte die Hütte, die ebenfalls seinen Namen trägt, sowie die Hilfen am Grat. An einbetonierten Eisenstangen lässt es sich heute unkompliziert sichern, dicke Taue helfen über einen glatten Felsaufschwung hinweg und kurze Drahtseile erleichtern die ein oder andere ruppige Kletterstelle.
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Das gilt auch für den Normalweg, den technisch leichtesten Anstieg über die Erzherzog-Johann-Hütte (3.454 m) und den luftigen Kleinglockner. Stüdlgrat-Begeher nutzen diesen in aller Regel als Abstieg. Dort stehen die Eisenstangen dichter beieinander und ein Drahtseil erleichtert den Gegenanstieg aus der ordentlich ausgesetzten Glocknerscharte. Wer hier vom Gipfel kommend nach links blickt erschaudert: 600 Meter stürzt dort die Pallavicini-Rinne in die Tiefe. Benannt ist dieser Eisschlauch nach seinem Erstdurchsteiger Markgraf Alfred von Pallavicini. Dessen alpinistischen Taten im Glockner-Massiv widmet sich die Multimedia-Show „Mythos Großglockner“, mit klassischer Livemusik und spektakulären Bildern aus den Hohen Tauern.
Martin Gratz, der Moderator dieser Show, ist Musiker, Touristiker und Kalser Vizebürgermeister. Kürzlich ging er zudem unter die Schauspieler: Er schlüpfte in die Rolle Pallavicinis. Mit der Ausrüstung von 1876 durchstieg er für einen Film mit Kalser Bergführern die Nordwand. Denn auch Pallavicini begleiteten drei Einheimische. Mangels Steigeisen schlugen sie – wie die Bergsteiger jetzt im Film – rund 2.500 Stufen ins Eis. „Es dauerte 23 Jahre, bis sich danach wieder eine Seilschaft in die steile Eisrinne wagte“, huldigt Gratz dem damaligen Abenteuer.
Mit vor der Kamera stand auch Georg Oberlohr, der Wirt der Stüdlhütte. Er und Peter Tembler von der Erzherzog-Johann-Hütte wollen, dass eine schlechte Seite am Glockner bald ebenfalls zu den alten Geschichten gehört: „Wir hatten immer wieder Negativ-Geschichten über Staus am Glockner“, sagt Oberlohr. Dabei geht es vor allem um die kniffligen Stellen am Normalweg. Denn viele Menschen möchten auf den Großglockner und einige der rund 5.000 Besteiger pro Jahr stoßen an ihre Grenzen. Kommen die absteigenden Alpinisten vom Stüdlgrat hinzu, ist Chaos zwischen Groß- und Kleinglockner vorprogrammiert.
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Denn dort pfeifft der Abgrund neben dem Schuh und die Glockner-Aspiranten müssen auf- und abklettern. Oberlohr und Tembler begegnen dem Problem, indem sie ihre Hütten zu höchstens 90 Prozent belegen. Zustände wie am Mont Blanc mit schlafenden Bergsteigern auf und unter den Tischen gibt es so nicht. Am Berg verhindert das zwar nicht jeden Stau, doch die Situation habe sich in den vergangenen Jahren stark gebessert. Das bestätigt auch Bergführer Hanser – auf dem Rückweg seiner „schönen Wanderung“.
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