Grüßen am Berg
Foto: Martin Kreil
von Harald Nachförg
Ab 1.000 Höhenmetern, heißt es, ist man per Du – doch wenn Wiener auf Tiroler trifft, gelten eigene Regeln. Warum sich unser Autor mit Umgangsformen am Berg schwertut.
Ja gut, es heißt, dass man ab 1.000 Höhenmetern per Du ist. Aber abgesehen davon, dass man sich nicht einmal da einig ist (manche sprechen von 1.300, manche von 1.800 Metern) – die Regel hat ihre Tücken. Und da reden wir noch gar nicht einmal vom Grüßen.
Was ist zum Beispiel, wenn man von der Stadt (also unten) beim Hüttenwirt (also oben) anruft? Du oder Sie? Bei ruppigeren Gesellen kann das förmliche Sie leicht für überheblich gehalten werden. Kommst du so jemandem andererseits gleich mit Du, läuft er vielleicht erst recht rot an.
Es könnte natürlich sein, dass im Falle eines Gesprächs von Tal zu Berg automatisch der oben geduzt wird, während man von oben aus siezt. Oder genau umgekehrt. Aber wer weiß das schon?
Der höfliche Umgang miteinander wird auch nicht einfacher, wenn wir am Gipfel stehen. Oben am Großglockner zum Beispiel. Am Parkplatz vorm Restaurant. Grüßt man da jeden? Da hast du zu tun an schönen Tagen. Selbst als Berufsgrüßer.
Das führt uns zum nächsten Problem: Was, wenn wir in luftiger Höhe unseren Bundespräsidenten treffen? Was sagt man dann? „Aaaah, der Sascha! Na, alles fit im Schritt?“ wird’s wohl eher nicht sein. Ein würdevolles Nicken mit kurz geschlossenen Augen ist da schon angemessener – vorausgesetzt, Sie befinden sich nicht gerade in ausgesetzter Lage. In so einem Fall sollten Sie besser auch die Hand am Fels lassen und sich allfällige Huhuuuuu-Rufe samt fröhlichem Gewinke sparen.
Apropos: Was glauben Sie, was mir unlängst passiert ist? Ich rauf auf den Berg – und der Rübezahl, der mir entgegenkommt, winkt mir schon von weitem. Allerdings nur mit dem Mittelfinger!
Gut, es mag daran gelegen haben, dass er zu Fuß ging, ich aber mit dem Auto fuhr. Mit Wiener Kennzeichen. Im tiefsten Tirol. Das kann Erregung hervorrufen – selbst wenn dich der Hüttenwirt angefleht hat, raufzufahren, damit er dich später nicht in stockfinsterer Nacht suchen muss.
Aber das interessierte Rübe natürlich Nüsse. „Würde der Jäger vorbeibrettern und ihn einstauben, tät’s heißen: Griaß di, Förschta! Aber kommt ein Wiener des Weges, ist er sofort ein Pliatz. Das heißt so viel wie Hirnederl“, sagte ich weltmännisch zur Geliebten, die zur Sicherheit das Fenster hochkurbelte und ihre Tür verriegelte.
„Keine Angst, der tut uns nichts, vielleicht ist er ja vom Sägewerk“, versuchte ich Madame zu beruhigen, ging aber im Geiste doch ein paar Tipps durch, die mir mein Osttiroler Freund Michi im Umgang mit Wild… äh … Einheimischen gab. „Nicht starr in die Augen schauen“, „Nicht davonlaufen“, „Wenn doch, dann schnell, gebückt und zickzack“, murmelte ich nervös, während die Geliebte im Handschuhfach nach Glasperlen oder anderen schönen Geschenken suchte.
Was soll ich sagen. Während wir noch überlegten, wie wir am gesündesten an dem offensichtlich sehr aufgebrachten Eingeborenen vorbeikommen, glitt auch schon sein hochgereckter Mittelfinger an der Seitenscheibe vorbei – und das war’s. Kein Gruß, keine Delle im Auto. Gar nix.
„Prinzipiell sein ma ja recht offen. Solange die Tourischten wieder hoamfoahrn“, deutete mir der Michi aus Osttirol später den Vorfall. „I glab daher nit, dass das ein Einheimischer g’wesen ist“, folgerte er, der im Nachnamen übrigens Bergmeister heißt, für mich also der Experte in allen alpinen Fragen ist. „A Unsriger hätt enk vielleicht g’fragt, wer eich den Schranken aufg’macht hat. Aber so a Geste? Das wird wohl …“, sagte der Michi nachdenklich und bemüht ernst, „… das wird wohl a so a Wieeener g’wesen sein.“ Dann brüllte er vor lauter Glück, der Alpenhiasl.
Zum Autor: Der geborene Wiener Harald Nachförg ist Textchef beim Monatsmagazin Servus in Stadt & Land, Buchautor („Alles bestens“) und seit über 50 Jahren auf der Suche nach dem rechten Weg.
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