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Interview: Christoph Mitterer zum Thema Frühjahrslawinen

Sicherheit & Know How

3 Min.

18.04.2018

Foto: Archiv Mitterer

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von Peter Plattner

Für viele Skitourengeher ist das Frühjahr der Höhepunkt der Skitourensaison. Die Kondition passt, die Tage werden länger und die Lawinengefahr ist gut einschätzbar - der richtige Zeitpunkt für hohe Gipfel, lange Überschreitungen und steile Rinnen. Doch wie sicher ist die Situation im Frühjahr wirklich? Bergwelten bat den Lawinenforscher Dr. Christoph Mitterer zum aufklärenden Gespräch.

Peter Plattner (Bergwelten): Christoph, was ist das typische an der Lawinensituation im Frühjahr?

Christoph Mitterer: Die Lawinensituation im Frühjahr ist eigentlich einfach – und doch komplex zugleich. Trägt die Schneedecke den Skifahrer, ist die Lawinengefahr zumeist gering. Bricht man ein, kann‘s gefährlich werden. Diese beiden Situationen können allerdings gefährlich nahe beieinanderliegen, denn der Hauptgrund für die Lawinengefahr im Frühjahr ist das eindringende Wasser. Schmelzwasser in der Schneedecke entsteht sehr kurzfristig und vor allem durch Erwärmung und Sonneneinstrahlung – wobei die Sonne sehr, sehr dominant ist. Sie bestimmt, welche Hänge wieviel Energie zum Schmelzen bekommen. Steile Hänge bekommen mehr Sonne ab, als flache Hänge. Südhänge bekommen mehr Energie als Nordhänge im Frühjahr und ein Osthang wird natürlich früher weich als ein Süd- oder Westhang, einfach weil er sich bis mittags länger sonnen kann. Zudem ist es in der Höhe meist etwas kühler als im Tal. Kleine Veränderungen in Höhe, Steilheit und Exposition, können große Auswirkungen haben. Gerade war man noch in einem etwas flacheren Nordhang unterwegs um zur Abfahrt eines steilen Osthanges zu gelangen. In wenigen Metern kommen wir von pickelhartem Schnee in einen aufgeweichten Sumpf, denn dort im steilen Osthang produziert die Sonne schon seit den frühen Morgenstunden Schmelzwasser, das schon länger die Schneedecke aufweicht. Zwischen genialem Firn und einer grollenden, alles mit sich reißende Nassschneelawine liegen häufig nur wenige Meter und ein paar Stunden. Deshalb gilt was unsere Urväter auf Skitouren gesagt haben: Früh rauf auf den Berg, früh zurück!

An den vergangenen Wochenenden sind zahlreiche Lawinen abgegangen, wie ist das passiert und waren daran Personen beteiligt?

Wir hatten in den vergangenen Wochenenden eine hohe Aktivität von Gleit- und Nassschneelawinen. Die meisten davon haben sich spontan gelöst. Grund dafür ist was wir salopp als treibhausähnliches Wetter bezeichnen. Aufgrund der sehr warmen Temperaturen, starken Sonneneinstrahlung und verminderten Abstrahlung (hohe Luftfeuchtigkeit, bewölkte Nächte, Saharastaub in der Luft) konnte die Schneedecke nur mehr schlecht oder gar nicht abkühlen. Schmelzwasser ist dann durch die Schneedecke geflossen, hat diese geschwächt und/oder zum Gleiten gebracht. Das Ergebnis waren zahlreiche spontane Lawinen. Personenausgelöste Nassschneelawinen gab es hier und da auch – stellen aber eher die Ausnahme dar.

Die von den landesweiten Lawinenwarnkommissionen ausgegebenen Gefahrenstufen sprechen mit teilweise 1 und 2 doch für eine stabile Situation und auch bei der in einigen Ländern prognostizierten Stufe 3 gehen im Hochwinter wesentlich weniger Lawinen ab. Wie kannst du das erklären?

Die Einschätzung der Nassschneelawinengefahr ist sehr schwierig. Wie gesagt, in kurzer Zeit können  sich sehr viele Dinge sehr schnell ändern, die man eventuell bei der Ausgabe der Lawinengefahr so noch nicht gewusst hat bzw. deren Verlauf so nicht prognostizierbar war. Generell haben wir immer einen gewissen Tagesgang, wann genau die Situation sich allerdings verschlechtert, ist kaum vorherzusehen. Zudem glaube ich, dass wir alle (Skitourengeher und Lawinenexperten) die Frühjahrssituation gedanklich gegenüber den Perioden mit hoher Aktivität von trockenen Lawinen verniedlichen und in unseren Köpfen als nicht ganz so gefährlich ansehen. Nichtsdestotrotz: Erhebliche Lawinengefahr bedeutet auch, dass spontan einige mittlere und vereinzelt aber auch große Lawinen möglich sind.

Worin unterscheidet sich die Beurteilung der Lawinengefahr im Frühling verglichen mit jener im Hochwinter?

Da sich die meisten Nassschneelawinen spontan lösen, kann ich mich nicht mehr auf regelbasierte Methoden (z.B. Reduktionsmethode) stützen. Das hängt vor allem an der Tatsache, dass ich als Skitourengeher eine nasse Lawine sehr selten selber auslöse und sich zusätzlich die Mechanik und Materialeigenschaften im nassen Schnee stark verändern. Ähnlich wie beim abgehenden Fischmaul befinde ich mich einfach zum falschen Moment am falschen Ort. Hier sind einfach das Timing und die Schneedecke entscheidend. Ich muss beurteilen, wann der Hang zu weich ist. Wer sich das nicht zutraut ist wieder an unsere Urväter verwiesen: Früh raus und früh wieder zurück. Bin ich am Gipfel und es ist noch zu hart, dann einfach Brotzeit auspacken, ratschen, Sonne genießen und auf den perfekten Moment warten: Lieber zu früh, als zu spät!

Was ist deine Empfehlung für Frühjahrs-Skitouren?

Ich schließe mich den Urvätern an: Früh raus und früh wieder zurück. Was gibt es schöneres als nach einer zischenden Firnabfahrt schon zu Mittag bei der Oma daheim vorbeizuschauen und mit einem Schweinsbraten, einem kühlen Bier und dem Kanapee belohnt zu werden? Wenn ihr in aller Herrgottsfrüh startet, dann schaut euch mal die Oberflächentemperaturen der Stationen der Lawinenwarndienste an: Gehen diese markant  – kälter als -10° C für längere Zeit – unter 0° C, dann ist der Schnee meist gut gefroren.


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