Naturschutz in Zeiten der Klimakrise
Foto: Simon Schöpf
von Simon Schöpf
Wasserkraft: Gut fürs Klima, schlecht für die Natur? Wir begeben uns auf Spurensuche und wandern zusammen mit den drei Alpenvereinen (ÖAV, DAV und AVS) im Rahmen der Kampagne #UNSEREALPEN auf die Amberger Hütte in Tirol.
„#UNSEREALPEN sind schön. Noch. Es lohnt sich dafür zu kämpfen.“ So viel zu unserer Ausgangslage. Dazu ein paar Schleierwolken, freundliches Wetter, angenehme Temperaturen hier auf 2.000 Metern. Wir versammeln uns im Kühtai, Österreichs höchstgelegenem Wintersportort. Im Sommer geht es hier gemütlich zu, ein paar Wanderer sind im lichten Zirbenwald unterwegs, die Kühe sonnen sich widerkäuend auf der Weide, die Bäche plätschern vor sich hin. Noch. Lohnt es sich, dafür zu kämpfen?
Hier, am Eingang des Längentals, soll ein weiterer Stausee für das Kraftwerk Sellrain-Silz entstehen, die Staumauer gute 150 Meter hoch. Der Längentaler Bach und sein beruhigendes Plätschern, die wären danach verschwunden, die Kühe ebenso. Auch das höhergelegene Hochmoor im Längental mit seinem einzigartigen Ökosystem. Geopfert für die Energiewende und saubere, erneuerbare Wasserkraft. Nur, was wiegt mehr? Kann Klimaschutz auch Naturschutz sein? Um genau das herauszufinden, wandern wir los.
1. Wasserkraft: Klima- vs. Naturschutz
Wasserkraft: Gut für das Klima, schädlich für die alpine Natur? „Wir sind natürlich grundsätzlich für den Ausbau erneuerbarer Energien und sehen den Bedarf dafür, nur müssen wir in den Alpen darauf schauen, dass die Naturräume, die wir noch haben, so nachhaltig genutzt werden wie nur möglich“, meint Tobias Hipp, Naturschutzreferent des DAV. „Bei dem Vorhaben hier im Längental sind die Auswirkungen aber so gravierend, dass wir uns klar dagegen positionieren müssen.“
Um die Auswirkungen tatsächlich erfassen zu können, muss man sie mit eigenen Augen sehen. Das Längental mit seiner Staumauer ist die eine Seite, die andere ist die Ableitung von sechs weiteren Wildbächen im Ruhegebiet Stubaier Alpen durch einen 18 km langen Stollen, die durch die Berge getrieben wird. Einer davon ist der Fischbach, gut ein Stunde mit dem Auto braucht man bis zu unserem Ausgangspunkt im kleinen Dorf Gries im Sulztal, einem Seitental des Ötztals. Der Fischbach prägt das Dorfbild, die Bewohner sind zwar geografisch weit vom geplanten Speichersee entfernt, aber dennoch direkt betroffen. „Uns wird unsere Existenzgrundlage genommen. Die Touristen kommen zu uns, um Abgeschiedenheit und intakte Natur zu genießen. Beides wird es durch das Kraftwerk bei uns nicht mehr geben“, ist Franz Schöpf von der Bürgerinitiative Fischbach besorgt. Auch wird der Bach dann nicht mehr genug Kraft haben, um herangetragenes Material („Geschiebe“) abzutransportieren, Aufstauungen und mögliche Überflutungen sind die Folge.
2. Am Weg zur Amberger Hütte
Wir lassen Gries hinter uns und machen uns auf den Weg zur Amberger Hütte. Der gesamte Zustieg führt am Fischbach entlang, das Wasser und sein Rauschen sind hier das prägende Element. Kaum vorstellbar, dass von einem so mächtigen Bach nur mehr ein kleines Rinnsal übrig bleibt, um in einem anderen Tal ein Staubecken zu füllen. Nach einer guten Stunde erreichen wir die Sulztalalm, hinter dem Stadel mäandert der Fischbach mit vielen Seitenarmen durch das flachere Gelände. Ein idyllisches und vielfältiges Landschaftsbild, wie man es nur mehr selten sieht. „In solchen Bereichen finden sich besonders viele und artenreiche Habitate“, informiert Anna Schöpfer, Limnologin der Universität Innsbruck, „Forellen, Wasserinsekten, Algen. Durch die Kraftwerkserweiterung wird dieses Ökosystem dann praktisch tot sein.“ Aber Fische könne man halt nicht streicheln, sie bekämen weniger Mitleid.
Weiter des Weges, kurz vor der Hütte kommen wir an der Oberen Sulztalalm vorbei. Hier wird die Hauptbaustelle entstehen, die Alm für ein Pumpwerk geopfert. Statt Wanderern werden dann tonnenschwere LKW’s auf der verbreiterten Straße hochfahren, jahrelanger Baustellenlärm statt Stille. Klar, dass auch der Wirt der Amberger Hütte, Serafin Gstrein, von dem Vorhaben wenig erfreut ist: „Die Opfer für das Tal werden massiv sein, und wahrscheinlich müssen wir dann für vier Jahre zusperren. Wir sind eine Alpenvereinshütte, keine Baustellenkantine.“
Erneuerbare Energie vs. Naturschutz – jede Form der Energiegewinnung birgt ihre Nachteile. Nur, wann ist genug? „Im gesamten Ruhegebiet Stubaier Alpen gibt es nur mehr drei größere Wildbäche, die nicht für die Wasserkraft genutzt werden. Mit dieser Projekterweiterung werden zwei weitere Bäche dafür geopfert werden“, informiert Liliana Dagostin, Leiterin des Abteilung Naturschutz des Österreichischen Alpenvereins. Für die bestehende Anlage werden bereits 13 Bäche an der Wasserfassung vollständig abgeleitet und energietechnisch genutzt.
3. Die Gletscher im Blick
Amberger Hütte
Von der Hütte aus wandern wir weiter, „in die Sulze“ heißt es hier, ein langes Flachstück zu einem eindrücklichen Wall, wie eine Mauer geformt. „Die Frontmoräne des Sulztalferners, der früher mal bis hier herunter gereicht hat“, erklärt Tobias Hipp vom DAV, „seit 1970 haben wir 600 Meter Rückzugsfläche gemessen.“ Jetzt müssen wir erst noch gut 300 Höhenmeter höher steigen, um ihn überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Die Klimakrise ist hier ein abstraktes Phänomen mehr, sondern hautnah zu beobachten. „Für die Gletscher schauen die Prognosen leider nicht gut aus. Bis zum Jahr 2100 könnten die Ostalpen so gut wie eisfrei sein“, weiß Tobias Hipp vom DAV. Auch Hüttenwirt Serafin, der den Sulztalferner jeden Tag von der Terrasse seiner Amberger Hütte aus beobachtet, bestätigt: „Der Rückgang in kurzer Zeit ist enorm. Als ich vor zehn Jahren die Hütte übernommen habe, war die ganze Felsstufe da oben noch mit Eis bedeckt. Jetzt ist da nur mehr ein Wasserfall.“
Dass man in solchen Zeiten auch noch darüber nachdenkt, Gletscherskigebiete massiv zu vergrößern und damit weitere Naturräume zu erschließen, wird von den Alpenvereinen und der Kampagne #UNSEREALPEN kritisch gesehen. „Beim geplanten Zusammenschluss der von Ötztal / Pitztal sind 64 Hektar neue Pistenfläche geplant. Das ist mehr als so manches Skigebiet insgesamt hat“, sagt Tobias Hipp.
Ob Wasserkraft oder Skigebiets-Zusammenschlüsse, das Kredo der Alpenvereine lautet: Es ist schlicht genug. „Wir müssen versuchen, den letzten Rest an alpinen Freiräumen, den wir noch haben, zu bewahren. Denn wenn wir das bisschen Natur der Alpen nicht retten können, wie sollen wir dann die Welt retten?“ fragt sich Tobias Hipp, den Gletscher im Blick.
Eines ist auf dieser Wanderung jedenfalls klar geworden: Wir müssen komplexer über Klimawandel und Energiewende nachdenken. Wir müssen sehen, fühlen, begreifen. Im Grunde geht es bei all diesen Themen um die Frage: In welcher Welt wollen wir in Zukunft leben? Die Entscheidung liegt bei uns. Denn die Alpen sind schön. Noch. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.
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