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Sehnsuchtsort Natur: Warum es uns ins Freie zieht

Über Berge nachdenken

2 Min.

10.04.2017

Foto: Arto Marttinen/Unsplash

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von Christina Geyer

Gibt es einen schöneren Ausgleich zum hektischen Alltag als einen Tag in der Natur zu verbringen? An der frischen Luft, zwischen archaischen Felswänden, umgeben von verheißungsvollem Vogelgesang? Aber warum zieht es uns eigentlich überhaupt in die Natur – und was genau ist das: Natur?

Unter Natur versteht man seit Aristoteles in erster Linie all das, was nicht vom Menschen geschaffen wurde. Dazu zählen Pflanzen und Tiere, die als „belebte Natur“ bezeichnet werden, und Landschaft im weitesten Sinne, die „unbelebte Natur“, zu der etwa Flüsse und Berge gehören. Je weniger Spuren menschlicher Zivilisation sich finden, desto unberührter und authentischer empfinden wir die Natur. Das ist paradox, wo der Mensch doch selbst Teil der Natur ist. Er scheint ihr jedoch im Laufe seiner Entwicklung sukzessive entwachsen und, kaum aus ihrem Schoße entsprungen, entglitten zu sein. Mehr noch: Die Natur gilt es mittlerweile sogar vor dem Menschen zu schützen. Das zeigt sich nirgends besser als in der Debatte um Klimawandel und Umweltschutz: Wenn die Natur einen Erzfeind hat, dann ist das wohl der homo sapiens.  


Wer ist stärker: Mensch oder Natur?

Eine weitere Paradoxie im Verständnis von Natur rankt sich um das Spannungsfeld von Leben und Vergehen. Der Begriff Natur geht auf das lateinische „natura“ zurück, das wiederum dem frühgriechischen Wort „physis“ entspricht und für den Prozess des Werdens, Wachsens, Blühens und Aufgehens steht. Zugleich impliziert das Werden und Sein immer auch das Vergehen und Sterben: Wo eine Blume keimt, schwingt immer auch schon ihr Verwelken mit. Natur ist auf der einen Seite also etwas sehr Verletzliches, das es offensichtlich durch aktiven Schutz vor seinem Niedergang zu bewahren gilt.

Auf der anderen Seite ist Natur etwas zutiefst Archaisches: Nicht umsonst war sie lange Zeit gefürchtet, voll von unabsehbaren Gefahren und Bedrohungen. Gerade um die Berge wurde ein großer Bogen gemacht: Wer wollte sich schon freiwillig der Willkür von Wetterkapriolen aussetzen und sich zum Spielball der Naturgewalten machen? Die Natur vereint also zwei Extreme auf sich: Einerseits steht sie für etwas, das noch lange da sein wird, wenn der Mensch nicht mehr ist. Andererseits ist sie etwas sehr Sensibles, das es vor der Unbedachtheit des Menschen zu schützen gilt. Letztlich entspricht dieses ambivalente Verständnis von Natur einer von Unentschlossenheit geprägten Haltung: Wer ist nun stärker? Der Mensch oder die Natur?

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich der Zugang zu diesem Kräfteverhältnis immer wieder gewandelt. Spätestens mit der Neuzeit war man davon überzeugt: Gott muss die Natur einzig zum Zweck des Menschen geschaffen haben. Sie wurde zu seiner Spielwiese, ihr durfte alles entnommen werden – so musste der liebe Gott das geplant haben. Denn was könnte schon größer und wichtiger sein als der Mensch? Erst mit der Aufklärung wandelte sich dieses auf den Menschen zentrierte Weltbild wieder. Auf einmal erkannte man in den Errungenschaften der menschlichen Zivilisation eine Verschmutzung des „Wilden“, des Ursprünglichen – das Chaos der Natur wurde zum Ideal des Menschen hochstilisiert.

Bis zu einem gewissen Grad erleben wir zur Zeit eine Renaissance dieser Auffassung. Die Berge beispielsweise sind nicht zuletzt ein Fluchtziel, um der Hektik von Großstadt und digitaler Dauerbespaßung zu entkommen. Man will sich auf seine Wurzeln und das Wesentliche zurückbesinnen. Vielleicht ist es aber auch gerade das ständige Denken und Suchen nach absoluten Wahrheiten, das uns fliehen macht und zurück in den Schoß der letztlich gleichgültigen Natur treibt. Dort können wir denken, müssen wir aber nicht. Die Natur knüpft keine Erwartungen an uns. Oder in den Worten von Friedrich Nietzsche: „In der Natur fühlen wir uns so wohl, weil sie kein Urteil über uns hat.“


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