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2.330 km Colorado River, Teil 2

Sisyphos in der Nussschale – paddelnd durch den Sturm

• 22. März 2019
4 Min. Lesezeit

Ana Zirner folgt zurzeit dem Colorado River – 2.330 km, von seinem Ursprung in den Rocky Mountains bis an den Golf von Kalifornien in Mexiko. Ausgehend von Moab macht sie im Mini-Boot erstmals richtig Bekanntschaft mit dem Fluss. So früh im Jahr eine sehr wilde und nasse Angelegenheit.

Ana Zirner Colorado River
Foto: Ana Zirner
Nach dem Sturm kam die Sonne: Ana Zirner musste in einer Höhle am Flussufer übernachten
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An einem grauen Morgen hieve ich den Bug meines bepackten gelben Packraft-Boots wieder in den braunen Colorado River und springe etwas ungelenk hinein. Ich versuche dabei zu vermeiden, dass ich den gesamten Schlamm an meinen Schuhen mit ins Boot nehme, stattdessen schwappt eine mittelgroße Welle Wasser hinein. Ich fluche ein bisschen, das muss ich wirklich noch üben. Aber als es kurz darauf anfängt zu regnen, wird schnell klar, dass Wasser, egal ob von oben oder unten, auf dieser Etappe eine zentrale Rolle einnehmen wird.

Trotz Regen ist es gut, wieder unterwegs zu sein. Letzte Woche hatte ich einige recht anstrengende Tage auf dem Fluss, mit langen Etappen bei durchwachsenen Wetterbedingungen. So habe ich in Moab eine Pause eingelegt, um meine Sachen zu trocknen, durch den Arches-Nationalpark zu wandern und ein paar Interviews für mein geplantes Buch zu führen.

Moab in Utah: Von der Minenstadt zum Outdoor-Mekka

Moab ist eine ehemalige Minenstadt, die inzwischen zu einem touristischen Mekka für Outdoor-Begeisterte geworden ist. Die Hauptstraße ist gesäumt von Quad- und Jeep-Vermietungen, denn das motorisierte Erkunden der umliegenden Wüstengegenden ist hier ein beliebter „Sport“. Aber der Ort beheimatet auch einige sehr bemerkenswerte Menschen und Initiativen. Moab ist der erste Ort in den USA, in dem Plastiktüten abgeschafft wurden – es gibt einen verpackungsfreien Supermarkt und eine Initiative die gemeinsam mit anderen Grassroots-Organisationen ein Klimaschutzgesetz entworfen hat, das demnächst dem US-Kongress vorgestellt wird. Für mich, die auf dieser Reise schon so manches Mal an der verschwenderischen amerikanischen Lebensweise zu verzweifeln drohte, ist das eine wohltuend positive und inspirierende Abwechslung.

Auto-Vermietung gibt es in Moab alle paar Meter, diese hier ist aber besonders

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Viele Jeeps, keine Plastiktüten

Aber jetzt schaufle ich kraftvoll rechts und links das Wasser hinter mich, während es unaufhörlich regnet und irgendwann auch schüttet. Zunächst stört mich das nicht weiter, denn mein Helm und Drysuit halten mich trocken. Aber als am Nachmittag der Wind zunimmt, wird es richtig anstrengend. Der nächste Morgen verspricht kaum Besserung. Im Gegenteil: als ich am Nachmittag um eine Kurve komme, sehe ich eine weiße Wand vor mir. Es sieht aus als würde Asche durch die Luft wirbeln, aber als ich näher komme schmelzen tatsächlich die ersten Flocken auf meinem Gesicht und es wird plötzlich richtig kalt. „Das ist also ein Blizzard“, stelle ich teils frustriert, teils belustigt fest.

Entschieden lehne ich mich gegen den Wind, der nun erbarmungslos Miniatureiszapfen in mein Gesicht schleudert und mich kaum vorwärtskommen lässt. In meinem kleinen „Bucketboat“ fühle ich mich jetzt wie Sisyphos in einer Nussschale. Aber mir bleibt nichts anderes übrig als zu kämpfen und so singe ich gegen den Sturm an und ramme mein Paddel in die aufgewirbelte braune Masse um mich herum.

Not amused: Durch den Regen zu paddeln macht mäßig Spaß

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Durch den Blizzard in die Höhle

Lange halte ich es allerdings nicht aus, meine Stimmung hoch zu halten. Bald brennen meine Arme und Schultern, mein Hintern ist tiefgefroren und meine Hände spüre ich schon lange nicht mehr. Als ich hoch oben am Ufer eine Höhle sehe, jodle ich laut, finde einen akzeptablen Anlegepunkt und fixiere mein Boot an einem stämmigen Busch. Wie ich es hinauf in die Höhle geschafft habe, weiß ich nicht mehr, so kaputt bin ich jetzt. Erst als ich einigermaßen trocken im Schlafsack liege, beginne ich meine Finger wieder zu spüren. Allerdings ist das in kleinster Weise angenehm, denn die Kuppen von sieben Fingern sind aufgerieben und blutig. Aber ich bin viel zu müde, um sie jetzt zu verarzten.

Die Nacht ist wohl kalt und nass, aber ich schlafe ein paar Stunden so tief, dass ich davon nichts mitbekomme. Ich träume von den Alpen. Von blumigen Almwiesen, von klaren fließenden Bächen und Bergseen. Als ich die Augen aufschlage will ich nur heulen. Alles ist Ton in Ton, gräuliches Braun, es ist kalt, nein, es ist ekelhaft. Was mache ich hier? Warum das alles?

Zwischenlager in der Höhle am Flussufer
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Alles braun in braun…

Aber ich habe gelernt, dass es sich nicht lohnt, sich mit solchen mentalen Krisen aufzuhalten und so raffe ich mich auf und packe entschlossen meinen Rucksack. Als ich mich endlich aufrichte, kann ich meinen Augen kaum trauen. Da ist tatsächlich ein Stückchen blauer Himmel, direkt über mir! Die Farbe allein macht mich so tief glücklich, dass ich laut lachen möchte. Aber ich bin vorsichtig, beherrsche mich – es scheint mir ein fragiles Gut zu sein, dieses Blau. Zu dem hoffnungsvollen Fenster in der Wolkendecke aufgerichtet sage ich beschwörend: Bitte, bitte bleib!

Das Blau bleibt nicht nur, sondern verdrängt das graue Gewölk. Bald klart der ganze Himmel auf, den ich zwischen den Sandsteinwänden rechts und links von mir sehen kann. Und als ich die Rückseite von The Loop, einer großen Schlaufe im Fluss, erreiche, strahlt die Sonne und wärmt nicht nur mein Äußeres, sondern vor allem mein Inneres. Ich lehne mich im Boot zurück und lasse die Strahlen in alle meine Poren eindringen. Sie sind wie ein Lebenselixier, als bekäme ich nach Tagen im Trockenen zum ersten Mal etwas Flüssigkeit eingeflößt.

Am nächsten Tag ist alles anders: Ich lasse die Sonne in meine Poren eindringen

…und plötzlich schön

Ab hier ist alles schön. Ich floate, ruhe mich aus, lasse mich tragen und paddle nur hier und da. Der Colorado hat nach all dem Regen ordentlich zugenommen, er fließt behäbig aber kraftvoll, dekoriert von roten Stückchen schwimmendem Sandstein, den der Sturm gestern irgendwo von den Wänden gefetzt hat.

Am Nachmittag erreiche ich den Zusammenfluss mit dem Green River, einen Meilenstein meiner Tour. Ich singe wieder, aber diesmal ist es kein Protestlied, sondern eine freudige Melodie. Ein paar Meilen weiter erreiche ich Spanish Bottom, mein Tagesziel.

Flussabwärts von hier beginnt Cataract Canyon, ein wilder Teil des Colorado River, oder auch der „kleine Punkrock-Bruder des Grand Canyon“, wie man ihn mir beschrieb. In Moab habe ich alles versucht, um für „Cat“ Gesellschaft zu finden, aber es ist mitten in der Woche und sehr früh in der Saison. Niemand will bei diesen Temperaturen da rein und allein sind meine Nussschale und ich den Herausforderungen leider nicht gewachsen.

Der Colorado bietet Licht und Schatten - das gilt für das Wetter wie für's Gemüt

The Maze: In die große Weite

Wir werden stattdessen ab hier eine große Runde durch die Wüste wandern und dazu tief ins Maze District, einen Teil des Canyonlands Nationalparks, eindringen. Neben Alaska ist diese Region das größte Stück nahezu unberührter Natur auf US-amerikanischem Boden. Eine unendliche Weite, Ursprünglichkeit und Abgeschiedenheit erwarten mich und es ist unwahrscheinlich, dass mir andere Menschen begegnen werden.

Gestärkt von der Sonne filtere ich Flusswasser für die nächsten Tage und gemeinsam mit den Schatten, die nun langsam an den Wänden der Canyons hinauf wandern, steigt meine Vorfreude auf all das, was vor mir liegt.

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