Spaltenrettung III: Modifizierte Prusiktechnik
Wer angeseilt in eine Spalte stürzt kann sich darauf verlassen, dass ihn seine Freunde wieder an die Oberfläche ziehen. Oder aber er prusikt selbst zurück an die Oberfläche. Im dritten Teil unserer Serie zur Spaltenrettung stellen Peter Plattner und Walter Würtl die Prusiktechnik vor.
Im Gegensatz zu Mannschaftszug und Seilrolle, die unter „Kameradenrettung“ laufen, fällt die Prusiktechnik in die Rubrik „Selbstrettung“. Ganz alleine geht es freilich nicht, denn zunächst muss der Spaltensturz ja von jemandem gehalten worden sein. Und zwar so lange bis man selbstständig aus der Spalte herausgekommen ist. Wer also mit einer Combo unterwegs ist, die wenig bis gar keine Ahnung von der entsprechenden Seiltechnik hat, muss ...
- ... fähig sein, selber aus der Spalte heraus zu kommen.
- ... seine Seilschaft vorab darüber informieren, dass sie einen Spaltensturz halten und sich dann auf ihre Hintern setzen sollen. Alle Beteiligten müssen wissen, dass man sich selbst bergen kann und ihre Aufgabe nur darin besteht, den Sturz zu halten und gegebenenfalls Hilfe zu rufen.
- ... sich die Frage stellen, ob es clever ist mit unerfahrenen Partnern am Gletscher unterwegs zu sein und ob es nicht geschickter wäre, einen Tag gemeinsam in die entsprechende Seiltechnik zu investieren.
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Tatsache ist, dass es Spalten gibt, aus denen niemand mit der Prusiktechnik herauskommt. Vor allem dann, wenn das Seil tief in den Spaltenrand eingeschnitten ist und man frei darunter hängt. In diesem Fall wird nicht die klassische Prusiktechnik angewandt, sondern eine modifizierte Variante, die am Schluss – also am eingeschnittenen Spaltenrand – in eine sogenannte Selbstseilrolle (beziehungsweise -Flaschenzug) umgebaut wird. Diese ist auch unter dem Namen „Münchhausen-Technik“ bekannt – und wie der Lügenbaron auch zieht man sich selbst – zwar nicht am Schopf – aus der Spalte heraus. Doch der Reihe nach.
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Modifizierte Prusiktechnik & Selbstseilrolle
1. Vorbereitung
Nun ist man also in eine Spalte gestürzt, die Anderen haben den Sturz aber gehalten. Bevor man mit der Selbstrettungstechnik beginnen kann, muss man zunächst Skier, Stöcke und eventuell auch den Rucksack ablegen und an den Gurt (in den Anseilring) hängen.
2. Ersten Prusik (Rastschlinge) anlegen
Bereits der erste Schritt unterscheidet sich in einer wichtigen Kleinigkeit von der klassischen Prusiktechnik: Nachdem eine der 3 m-Reepschnüre mit einem Prusik ins Seil geknotet ist, wird unmittelbar dahinter – so knapp wie möglich – ein Sackstich geknotet und ein Verschlusskarabiner eingehängt. Dieser wird später die Umlenkung, wenn wir auf den Selbstflaschenzug umbauen. Die Reepschnur wird nun am besten direkt (also ohne Karabiner) mit einem Sackstich im Anseilring des Gurtes fixiert und zwar so, dass sie „armlang“ ist – das heißt: Sie soll nach oben geschoben mit ausgestrecktem Arm problemlos erreichbar sein.
3. Zweiten Prusik (Steigschlinge) anlegen
Die zweite 3 m-Reepschnur wird ebenfalls mit einem Prusik knapp unterhalb der Rastschlinge angelegt und mit einem Sackstich so abgelängt, dass man mit dem abgewinkelten Bein gerade noch hineinsteigen kann.
4. Aufstieg
Wenn die Längeneinstellungen passen wird die Steigschlinge nach oben geschoben, das Bein gestreckt und der Körper aufgerichtet – zur Stabilisierung hält man sich am Seil fest. Dann wird der dadurch locker gewordene Prusik der Rastschlinge nach oben geschoben, sodass man sich in diese Schlinge hineinsetzen kann und beginnt von vorne: Steigschlinge nach oben, aufstehen, Rastschlinge nach oben, hineinsetzen, ...
5. Umbau: Selbstflaschenzug
Nähert man sich dem Spaltenrand und ist dieser überwechtet – sprich: das gespannte Seil hat sich dort im Schnee eingeschnitten –, steht man plötzlich sprichwörtlich an. Der Prusik kann nicht mehr weitergeschoben werden, bevor nicht ein Stück des Seils aus dem Schnee befreit ist. Jetzt muss das System nochmals umgebaut werden.
Ablauf:
- Die Steigschlinge wird nicht mehr benötigt und folglich entfernt oder am Seil nach unten geschoben bis sie am Anseilknoten ansteht.
- Das aus dem Prusik der Rastschlinge laufende, nun lockere Hauptseil wird mit einer Gardaschlinge (Rücklaufsicherung durch zwei baugleiche Karabinern) im Anseilring des Gurtes eingehängt, zurück nach oben geführt und in den vorbereiteten Verschlusskarabiner am Prusik eingehängt.
- Nun stützt man sich idealerweise mit den Beinen am Spaltenrand ab, zieht am umgelenkten Hauptseil nach unten und damit seine eigenen Hüften nach oben.
- Am höchstmöglichen Punkt (abhängig von der Geschmeidigkeit von Hüfte und Kreuz) angekommen lässt man locker, belastet damit die Gardaschlinge, die als Rücklaufsicherung greift, und kann jetzt den lockeren Prusik am befreiten – weil „waagrecht“ nach außen belasteten – Seil etwas weiter nach oben schieben.
Mit diesem System kann man sich je nach Fitness und Spaltenrand mehr oder weniger gut über die Kante nach oben arbeiten. Wichtig ist, die an sich einfache Grundtechnik zu üben und zu beherrschen, um im Ernstfall richtig reagieren zu können.
Alternativen
Natürlich kann man anstelle der Prusikknoten kleine Seilklemmen (zum Beispiel Tibloc, Rollnlock oder Ropeman) verwenden und auch als Rücklaufsperre kann anstelle der Gardaschlinge beispielsweise eine MicroTraxion eingesetzt werden. Diese Seilklemmen sind prinzipiell eine tolle Sache, benötigen aber immer einen zusätzlichen Verschlusskarabiner – und das heißt zugleich ein Mehr an Gewicht und Volumen. Deshalb sollte zunächst einmal die vorgestellte Basic-Methode mit minimaler Ausrüstung beherrscht und dann erst mit diversen Extras gepimpt werden.