Wann umkehren auf Skitour?
Das mit dem „Umkehren“ ist so eine Sache. Manche tun sich leicht, sogar knapp unterhalb des angestrebten Gipfels, die geplante Tour abzubrechen. Für andere kommt es einem persönlichen Versagen gleich, ohne diesen Gipfel umzudrehen. Allgemeine „Stopp-Regeln“ zu sommerlichen Bergtouren findet ihr hier, diesmal zeigt Riki Daurer, wann es eine gute Idee wäre, eine Ski- bzw. Skihochtour abzubrechen.
Auf Ski- oder Skihochtour gilt es ebenso wie bei jeder anderen Wintertour im freien Gelände einige besondere Punkte zu berücksichtigen. Allem voran – weil wir uns ja permanent im Schnee bewegen – das Lawinenthema.
Die Lawinengefahr möchte permanent hinterfragt werden, vor allem in Bezug auf das Gelände, in dem wir uns gerade bewegen. Dazu braucht es etwas Wissen und Können.
Auf den Punkt gebracht müssen im Winter (und Frühjahr) folgende Kriterien beachtet werden:
- vorhandene Lawinengefahr
- kürzere Tage
- härtere Wetterbedingungen (Kälte, Wind)
Beliebt auf Bergwelten
Stopp Regeln
1. Fachwissen
Skitourengehen ist nicht gleich Wandern – muss doch einiges mehr an Know-How (Lawinensituation etc.) mitgebracht werden. Der Aufenthalt im winterlichen alpinen Gelände kann viel schneller zum Verhängnis werden, z.B. dadurch, dass Hütten geschlossen sind, die Tage kürzer und die Nächte kälter sind. Auf Skihochtour muss außerdem das ganze Gletscherthema (Spaltensturzgefahr) hinreichend berücksichtigt werden.
Auch beliebt
Als Einziger einer Gruppe das gesamte Fachwissen und notwendige Können zu haben und zu verantworten funktioniert vor allem im Winter kaum: muss man sich doch gerade in Notfallsituationen auf seine Bergkameraden verlassen können. Konkret: werde ich von einer Lawine verschüttet, so hängt mein Überleben davon ab, wie schnell mich meine Kollegen orten und ausgraben können. Gleiches gilt für einen Spaltensturz auf Skichochtour.
Kommt man also während der Skitour drauf, dass einer oder mehrere Teilnehmer nicht das notwendige Können aufweisen, so ist es sinnvoll umzudrehen – und seine Tourenplanung zu überdenken, denn das sollte eigentlich schon im Vorfeld abgeklärt worden sein...
2. Gruppe
Die Gruppe kann dann zum Problem werden, wenn sie inhomogen ist, d.h. Erwartungen, Fitness und Können aller Gruppenteilnehmer nicht zusammenpassen. Ist der eine zu langsam oder will der andere eine Rinne fahren, kann es zu emotionalen Entscheidungen kommen, die nicht für alle gleichermaßen passen – aber wer möchte der „Nein“-Sager sein, vor allem wenn er das schwächste Glied der Gruppe ist? Im Zweifelsfall müssen auch hier die „Besseren“ oder „Erfahreneren“ die Verantwortung übernehmen und eben umdrehen. Es hilft niemandem, wenn die Gruppe komplett erschöpft den Gipfel erreicht, denn man muss ja auch wieder herunter.
Um solche Probleme während der Tour zu vermeiden, ist es daher gut, Erwartungen an Tour, Gipfel, Auf- und Abstieg als auch den zeitlichen Verlauf einer Tour bereits vor dem eigentlichen Unternehmen zu besprechen.
3. Material
Dass die Standard-Notfall-Ausrüstung (LVS, Schaufel, Sonde) jeder dabei hat ist ebenso klar, als dass die Gruppe der Tour entsprechend mit Biwaksäcken und Erste-Hilfe-Material ausgestattet ist. Hat jemand kein LVS dabei ist für ihn beim LVS-Check die Tour zu Ende.
Auch wenn die (vor allem im Frühjahr) notwendige Zusatzausrüstung wie z.B. Harscheisen fehlt, wird man vor einem hart gefrorenen Hang umdrehen müssen, wenn ein Ausrutschen hier einen fatalen Absturz zur Folge haben könnte. Vor dem beliebten Ausdruck „Geht schon...“ sei hier gewarnt! Daher lieber einmal zu viel umdrehen als die Skitourensaison aufgrund einer Verletzung vorzeitig beenden zu müssen.
4. Skitechnik der Teilnehmer im Aufstieg
Es passiert nicht nur Anfängern, dass man eine falsche Tour für die bestehende Gruppe oder auch sich selber ausgesucht hat. Viele Spitzkehren können so schnell das Tempo der Gruppe reduzieren, wenn nicht sogar einen Aufstieg verunmöglichen. Besser frühzeitig umkehren, als sich raufzukämpfen und dann einen komplett durchfeuchteten Schnee – der anstrengend zu befahren ist und jederzeit als Lawine abgehen kann – vorfinden.
Auch so banale Dinge wie ein nicht klebendes Fell werden eher früher als später zum Abbruch einer Skitour führen.
5. Skitechnik der Teilnehmer - Abfahrt
Allzu oft wird Skitourengehen auf die Ausdauerleistung und somit nur auf den Aufstieg reduziert. Nicht selten spielen sich die echten Dramen aber bei der Abfahrt ab – die super leichte Ausrüstung z.B. erfordert eine sehr gute Skitechnik, um mit Freude und Sicherheit hinunter zu schwingen. Gerade Skitourenanfänger mit mässiger Skitechnik und Abfahrtskondition kaufen aber gerne sehr leichte Ausrüstung und erleben bei der Abfahrt dann ihre Überraschung. Ein schlechter Fahrer kann bei gutem und noch viel mehr bei schlechtem Schnee schnell an seine konditionellen und psychischen Grenzen gelangen, auch wenn er den Aufstieg ohne Probleme bewältigen konnte.
Daher unbedingt die Verfassung der Teilnehmer im Auge behalten – werden sie müde, muss man sich bewusst sein, dass einem auch noch die Abfahrt bevorsteht. Jemanden mitzunehmen, von dem man nicht weiß, wie er Ski fährt, ist – wenn überhaupt – nur auf kurzen und skitechnisch einfachen Touren eine gute Idee. Übrigens wirkt eine Beratung im Fachhandel Wunder, in puncto Ski-, Schuh- und Bindungswahl.
6. Schlechtwettereinbruch oder unzureichende Sicht
Ohne Sicht kann auf Skitour weder das unmittelbare Gelände noch können die Einzugsgebiete beobachtet werden. Somit ist weder eine Beurteilung der lokalen Lawinengefahr als auch das Festlegen einer optimalen Aufstiegs- und Abfahrtslinie möglich.
Verschlechtert sich das Wetter und ist keine Verbesserung zu erwarten (Wetterbericht genau lesen), so muss rechtzeitig umgekehrt werden. Achtung: Alleine das Abfellen und Vorbereiten auf die Abfahrt kostet Zeit und sollte insofern miteinberechnet werden.
Für das Gesamtrisiko der Tour muss bei schlechter Sicht berücksichtigt werden, dass eventuell keine Helikopterrettung möglich ist. Dadurch kann aus einer leichten Verletzung – etwa ein verdrehtes Knie nach einem Sturz – rasch eine ernste Situation entstehen.
Gerade wenn die Temperaturen sinken bzw. der Wind zunimmt und die gefühlte Temperatur immer kälter wird, heißt es vorausschauend zu agieren und entsprechend warme Bekleidung anzulegen oder aber umzudrehen, bevor Nase oder Fingerspitzen geschädigt werden.
7. Lokale Lawinensituation
Die Lawinenwarndienste leisten hervorragende Dienste. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten können sie jedoch nur einen regionalen Lawinenlagebericht erstellen – bei dem vor allem der Text bzw. das ausgegebene Lawinenproblem wichtiger ist, als die Gefahrenstufe. Lokal, d.h. auf meiner Skitour, kann sich die Situation aber anders gestalten. Und nur, weil an dem einen Tag eine mäßige Lawinengefahr (Stufe 2) besteht, bedeutet dies nicht, dass jede Tour sicher begangen werden kann. Eine eigene Beurteilung der Situation vor jedem neuen Geländeabschnitt ist deshalb notwendig und entscheidet über weitergehen oder umdrehen.
Die tageszeitliche Erwärmung mit der Zunahme des Nassschneeproblems ist gerade im Frühjahr auf sonnenexponierten Hängen ein gutes Beispiel: der Lawinenlagebericht wird darauf hinweisen, jedoch muss vor Ort entschieden werden, wann man abfahren muss, um noch einen tragfähigen Firndeckel genießen zu können.
8. Intuition
Vor allem bei Ski- und Skihochtouren gewichtet sich das Thema der Intuition noch weit stärker. Hier geht es nicht darum, gängige und akzeptierte Modelle zur Gefahrenbeurteilung anzuzweifeln, sondern auch auf sein Bauchgefühl während der Tour zu vertrauen.
Meine persönliche Meinung ist, dass Intuition die Summe aller unterbewusst gesammelten Beobachtungen und Erlebnisse im Gelände darstellt, die dann als „Bauchgefühl“ situationsbedingt ausgespielt werden. Es empfiehlt sich darauf zu hören und noch besser mit dem vorhandenen Wissen und allen anderen verfügbaren Informationen zu verknüpfen.
Gerade auf Skitour kann man immer Pech haben oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Wenn aber sein Bauchgefühl sagt „Aufpassen, schlechtes Gefühl, lieber umdrehen“, dann würde ich auf alle Fälle darauf hören.