Stopp-Regeln: Wann umkehren?
In der Praxis auf Tour definieren klare Stopp-Regeln, wann es Zeit ist umzukehren. Peter Plattner und Riki Daurer verraten sie uns.
Das Thema „Umkehr“ wird oft als ein philosophisches oder psychologisches dargestellt. Das mag auch durchaus zutreffen, doch für den Bergsteiger ist das in der Praxis wenig hilfreich. Klare Stopp-Regeln helfen zu entscheiden, wann man umkehren sollte. Diese Regeln gilt es auch in der Gruppe zu besprechen – idealerweise bereits am Vorabend im Rahmen der Tourenplanung, damit man nicht mehr am nächsten Tag im Gelände diskutieren muss.
Anhaltspunkte
Ganz allgemein unterscheidet man zwischen fixen und flexiblen Grenzwerten. Ein fixer Grenzwert wären zum Beispiel jene Höhenmeter, die laut Tourenplanung pro Stunde bewältigt werden sollten. Konkret müsste ich dann beispielsweise umdrehen, wenn ich bis 10 Uhr nicht die ersten 700 Höhenmeter geschafft haben sollte. Ein flexibler Grenzwert meint keine fixe Uhrzeit, sondern eine Zeitspanne. Zum Beispiel: Ich sollte zwischen 10 und 10 Uhr 30 eine bestimmte Höhe erreicht haben. Auch die Entwicklung des Wetters spielt hier eine Rolle.
Wesentlich hierbei ist eine saubere Tourenplanung im Vorfeld, zu der unter anderem gehört:
- Realistische Wegzeitberechnung
- Zu erwartende Schwierigkeiten und Schlüsselstellen
- Eventuelle Checkpunkte zum Verifizieren des Lawinenlageberichts oder bei Abzweigungen zu Alternativrouten
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Vor allem die Zeitplanung ist entscheidend und berücksichtigt natürlich die jeweils jahreszeitlich bedingten Zeiten von Sonnenaufgang und vor allem Sonnenuntergang.
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Stopp-Regeln
1. Schlechtwettereinbruch oder unzureichende Sicht
Es reicht nicht, erst dann umzudrehen, wenn das Wetter sich bereits verschlechtert. Das heißt: Es gilt in die angekündigte Wetterverschlechterung einen adäquaten Zeitpuffer einzurechnen und die Dauer bis zum nächsten sicheren Punkt zu berücksichtigen.
2. Abweichungen von der geplanten Wegzeitberechnung
Meist kalkuliert man mit 300 bis 400 Höhenmetern und circa 4 Kilometern pro Stunde. Diese durchschnittliche Berechnung muss man allerdings an die eigene Kondition und Tagesverfassung anpassen – ebenso wie auch an die Gruppe, heißt: an deren Können und Erwartungen. Im Rahmen der Tourenplanung setzt man sich sogenannte Checkpoints. Zum Beispiel: Nach zwei Stunden Gehzeit sollte man auf der Hütte XY angekommen sein oder 600 Höhenmeter bewältigt haben. Gelingt das, ist man „auf Kurs“/„im Plan“. Gelingt das nicht, ergreift man die vorab festgelegten Maßnahmen und wählt eine alternative Route – oder dreht um.
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3. Abweichung vom geplanten Weg
Online-Tourenplaner und GPS-Geräte ermöglichen die genaue Ortung des Standpunkts via Handy und geben Aufschluss über den weiteren Wegverlauf. Allerdings ist auch die „analoge“ Tourenplanung unerlässlich – spätestens dann, wenn es zu technischen Problemen kommt, man keinen Empfang mehr hat, der Akku leer ist, ... Auch bei der digitalen Tourenplanung sollte man Checkpoints berücksichtigen und entsprechend einzeichnen. So kann man auch verifizieren, ob man sich am richtigen Weg befindet. Sollte das nicht der Fall sein, gilt es entweder mit der Tourenplanung neu zu starten oder umzukehren.
4. Tageszeitliche Komponenten
Geht die Sonne früher unter, muss das zeitige Anbrechen der Dunkelheit in der Tourenplanung berücksichtigt werden. Heißt: Rechtzeitig aufbrechen und eine Umkehrzeit festlegen. Von der Dunkelheit „überrascht“ kann man nämlich nicht wirklich werden. Auch sind Helikopterbergungen in der Dunkelheit zumeist nicht möglich.
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5. Physische Verfassung
Durch Pulsuhren sind mittlerweile sogar Marker physischer Gesundheit messbar. Auch anhand solcher Werte kann man Stopp-Regeln definieren – insbesondere bei Menschen, die zu Risikogruppen zählen. Denn: Nach wie vor sind die meisten Alpintoten auf internistische Notfälle wie Herz-Kreislauf-Probleme zurückzuführen.
So kann man etwa in Absprache mit seinem Arzt einen Pulsparamter als Belastunbgsobergrenze definieren. Für alle gilt: Man sollte auf seinen Körper hören und umdrehen, wenn man sich nicht fit oder wohl fühlt. Auch andere Faktoren können zu einer kritischen körperlichen Belastung führen: Geht mir beispielsweise bei großer Hitze das Wasser aus oder meldet sich mein beleidigter Meniskus, gilt auch hier: Besser rechtzeitig umdrehen, als eine fatale Fehlerkette lostreten.
6. Psychische Verfassung
Jeder kennt sie, diese Tage, an denen nichts passt – sei es, weil zu viele Menschen im Klettersteig unterwegs sind, die Klettertour besonders brüchig scheint oder der psychische Allgemeinzustand gerade nicht der beste ist. Ebenso wie die körperliche ist auch die psychische Verfassung ernstzunehmen. Wer mental überfordert ist, wird weder Spaß haben, noch sicher unterwegs sein können – zumindest dann nicht, wenn es tatsächlich gefährlich werden sollte.
7. Die Gruppe
Ist man mit einer Gruppe unterwegs, zählen nicht mehr nur die eigene Kondition und Befindlichkeit. Wichtig ist vielmehr, wann und wie man als Gruppe umkehrt: Gemeinsam? Spaltet man sich auf? Geht einer alleine weiter? Klar sollte sein, dass man jenen, der sich nicht gut fühlt, nicht alleine absteigen lässt. Alles Weitere wird nach Absprache vereinbart: Wo trifft man sich wieder? Sind alle Telefonnummern ausgetauscht? Gemeinsames Bergsteigen heißt eben auch, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Wer das nicht möchte, sollte lieber alleine auf Tour starten.
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8. Der Einzelne
Ist man alleine in den Bergen unterwegs, geht man zugleich automatisch ein höheres Risiko ein, denn die Ressourcen nach einem Notfall sind dünn. Als Solo-Geher sollte man seine Stopp-Regeln darum restriktiver wählen und sie keinesfalls ausreizen. Interessanterweise ist das Umdrehen für die meisten Solo-Bergsteiger einfacher als in einer Gruppe. Gerade wenn man allein unterwegs ist, sollte man aber eine Kontaktperson im Tal über sein Vorhaben unterrichten und eine ungefähre Rückkehrzeit angeben.
9. Intuition
Wie auch immer man Intuition definieren möchte: Als Summe aller bereits gemachten Erfahrungen, als unbewusstes Auswerten komplexer Informationen oder als etwas gänzlich Unerklärliches – wenn das Bauchgefühl sich meldet, sollte man darauf hören. Man liest nicht umsonst nach vielen alpinen Unfällen im Protokoll, dass jemand „schon den ganzen Tag so ein schlechtes Gefühl“ gehabt hat. Freilich kann im Gebirge immer etwas geschehen: Man kann Fehler machen oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Das Bauchgefühl kann als Frühwarnsystem dienen – man sollte auf es hören.