Von großen Abenteuern und Entdeckungslust
Foto: Mauritius/Keystone Pictures USA/Alamy
Er hat die Eiger-Nordwand erstbestiegen, sieben Jahre in Tibet gelebt, über 20 Bücher geschrieben, Berge auf allen Kontinenten erklommen – und den Dalai Lama zu seinen engen Freunden gezählt. Heute wäre Heinrich Harrer 107 Jahre alt geworden. Ein Porträt über einen Pionier, dessen Leben im Zeichen großer Abenteuer und Entdeckungsreisen stand.
„Die Wahrheit ist, dass ich ein junger armer Schlucker aus Kärnten war, der sich als Abenteurer und Forscher verwirklichen wollte. Ich wollte, dass man auf mich aufmerksam wird.“ – Heinrich Harrer hat diesen Satz 1997 gegenüber dem Spiegel in einem Interview formuliert und umreißt damit schon die zwei großen Leidenschaften seines Lebens: Das Abenteuer und das Forschen.
Eiger-Nordwand und Nanga Parbat
1938 zementiert er beides in einer Unternehmung, die zuvor noch niemandem geglückt war. Gemeinsam mit drei weiteren Bergsteigern bezwingt er die Eiger-Nordwand (3.970 m). Und schnell wird ihm klar, dass es nicht bei dieser Erstbesteigung bleiben soll. Nur ein Jahr später reist er mit einer Expedition zur Erkundung des Nanga Parbat (8.125 m) nach Pakistan. Noch weiß Harrer nicht, dass er für 13 Jahre im Himalaya bleiben soll.
Seine Vergangenheit als Mitglied der NSDAP und SS werden Harrer in Karatschi (Provinz Sindh) zum Verhängnis. Er wird festgehalten und unter anderem gemeinsam mit seinem Freund Peter Aufschnaiter an verschiedenen Orten in Gefangenen-Lagern interniert. Vier Ausbruchsversuche haben sie schon unternommen, der fünfte glückt 1944.
50 Pässe, jeder von ihnen über jeweils 5.000 m, und 2.100 km legen Aufschnaiter und Harrer auf ihrer Flucht zu Fuß zurück, ehe sie 1946 Lhasa erreichen, die verbotene Stadt in Tibet. Prompt kommen sie in Berührung mit der tibetischen Regierung und beginnen, in ihrem Dienst tätig zu werden.
Sieben Jahre in Tibet
Aufschnaiter plant ein Wasserkraftwerk und Kanalisationsnetz für Lhasa, Harrer arbeitet als Fotograf und Übersetzer – bis er schließlich den 11-jährigen Dalai Lama kennenlernt. Die beiden haben nicht nur am selben Tag Geburtstag, sie werden auch enge Vertraute. Harrer lehrt den jungen Mönch grundlegende Kenntnisse in Mathematik, Englisch und Geografie. Die wundersame Freundschaft wird ein Leben lang halten.
Harrer bleibt für mehrere Jahre in Tibet und trägt wesentlich zur Vermittlung und zum Verständnis der buddhistischen Kultur in der westlichen Hemisphäre bei. Er beginnt, den absoluten Wertekanon der europäischen Kultur infrage zu stellen: „Der größte Fehler der Europäer und der Amerikaner ist, dass sie als Tourist durch die Welt reisen und glauben, unsere Moral und Ethik sei die einzige, die zählt.“ (Spiegel, 1997)
1950 eskaliert der Konflikt zwischen Tibet und China, die Annexion steht kurz bevor. Harrer und Aufschnaiter sehen sich erneut zur Flucht gezwungen, diesmal nach Indien. 1952 kehrt Harrer nach Europa zurück – 13 Jahre, nachdem er von dort aus zum Nanga Parbat aufgebrochen war.
Harrer kann seine Zeit in der fernen Kultur nicht so leicht vergessen und verarbeitet seine Erlebnisse in einem Buch: „Sieben Jahre in Tibet“ wird ein Bestseller. 1997 wird die Geschichte mit Brad Pitt in der Hauptrolle verfilmt. Der Erlös des Buches ermöglicht Harrer, seiner großen Leidenschaft nachzugehen: Dem Reisen. Er besucht Quellen des Amazonas, besteigt Berge in Alaska, den Anden, in Zentralafrika, auf Neu-Guinea und unternimmt Expeditionen nach Afrika, Asien, Ozeanien und Südamerika.
Harrers Hinterlassenschaft
2006 stirbt Heinrich Harrer im Alter von 93 Jahren in Kärnten – und mit ihm einer der letzten großen Abenteurer von wissenschaftlichem Rang (FAZ). So umstritten seine Vergangenheit mitunter auch ist, Harrer lehrt uns, was es heißt, seiner Entdeckungslust nachzugehen, in der Fremde ohne Furcht und Berührungsängste zu leben. Und nicht zuletzt: Zugunsten neuer Erkenntnisse auf Bequemlichkeit zu verzichten.
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