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Lechtal

Wasserfallkarspitze: Die große Unbekannte

• 22. November 2016
3 Min. Lesezeit
von Frank Eberhard

Kaum jemand kennt sie. Die Wasserfallkarspitze ist einer von vielen selten bestiegenen Gipfeln im Lechtal. Nicht, weil der Anstieg so schwer ist oder sich nicht lohnt. Ganz im Gegenteil: Die wilde Schönheit will noch heute erobert werden.

Aufstieg zur Wasserfallkarspitze
Foto: Frank Eberhard
Aufstieg zur Wasserfallkarspitze
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Wild soll es sein. Einsam. Der Kollege aus der deutschen Hauptstadt hat klare Vorstellungen für seinen Besuch im Süden. Ein Ziel hat er auch schon parat: die Wasserfallkarspitze im Tiroler Lechtal. Ein Bericht im Internet hat ihm den Berg schmackhaft gemacht. Es war eine der wenigen Informationen, die das Netz überhaupt zu diesem Namen ausgespuckt hat. Bergblogger Boris Stephan schwärmt darin von einer „eindrucksvollen und abweisenden Kulisse“. Damit meint er das Großkar, in dem Bergsteiger den ohnehin nicht gerade überlaufenen Pfad zur Klimmspitze verlassen.

Das Großkar
Foto: Frank Eberhard
Das Großkar

Selbst wer im Allgäu wohnt und gern in die nahen Lechtaler Berge fährt, muss zur Wasserfallkarspitze oft zuerst die Karte oder Google bemühen. Aha, in der Hornbachkette, jenem Gebirgszug, der immer ein wenig untergeht, steht er doch hinter dem Allgäuer Hauptkamm wie in zweiter Reihe. So richtig zur Geltung kommt die Kette erst von Stanzach im Lechtal aus. Wie ein überdimensionierter Keil trennt sie das Hornbach- vom Haupttal. Rechts gurkt das Sträßchen nach Hinterhornbach zum Hochvogel. Links mäandert der Lech im nach ihm benannten Tal teilweise sogar noch unverbaut vor sich hin.

Das Großkar mit Felsriegel
Foto: Frank Eberhard
Das Großkar mit Felsriegel

Zurück zum Kollegen: Die Tour kommt auf unsere Liste, schließlich wartet maximal Kletterei im I. Schwierigkeitsgrad. Das bestätigt auch die weitere Recherche. Doch die Berichte im Netz lassen sich an einer Hand abzählen. Warum? Der Anstieg zur Wasserfallkarspitze ist, nennen wir es, mühsam. Das wird auch er noch erfahren. Zudem ist der Berg mit 2.557 Metern zwar alles andere als klein, doch hat das Lechtal auch 2.800 m-Plus zu bieten. Zu guter Letzt thront im Westen die bei Freunden des Alpinen beliebte Urbeleskarspitze (2.632 m) und im Osten, praktisch als Eckpfeiler der Kette, die besser erschlossene Klimmspitze (2.464 m).

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Beide präsentieren sich als markante Felszacken. Unser Ziel dagegen sitzt wie eine Krone auf einem kargen Haupt. Ein herrlicher Berg, mit dem man sich zugegebenermaßen zuerst anfreunden muss. Das ging wohl auch Hermann von Barth so, auf dessen Konto zahlreiche Erstbesteigungen in der Gegend gehen. Ob er auch auf der Wasserfallkarspitze der Erste war, bleibt nebulös. Erst nachdem er die Klimmspitze bestiegen hatte, nahm er noch den höheren Nachbarn in Angriff – am gleichen Tag des Jahres 1869 und durch die heute übliche Südflanke.

Schrofen oberhalb des Felsriegels
Foto: Frank Eberhard
Schrofen oberhalb des Felsriegels

Noch immer wird beim Anstieg zur Wasserfallkarspitze klar, was es bedeutet, einen  unerschlossenen Berg zu besteigen. Ein dünner Pfad hier, Serpentinen da und ein paar Meter Drahtseil und alles wäre so einfach. Aber nicht hier. Solche Berge funktionieren anders. Die objektiven Schwierigkeiten lesen sich harmlos. Doch wer ist es in den Alpen noch gewohnt, sich ein Schuttkar ohne Spur hinaufzuwühlen, einen brüchigen Felsriegel und grasige Schrofen zu überwinden und dazu noch den besten Weg zu finden?

Kein Metall und kein Weg, nicht einmal eine farbige Markierung erleichtern dies ab dem Großkar. Richtig: der Weg auf die Wasserfallkarspitze führt nicht durch das Wasserfallkar. Das liegt auf der Südwestseite und verkörpert im Winter die kühnen Fantasien von Ski-Bergsteigern. „Es ist schon fast zum Mythos geworden“, erzählt ein Bergführer an einem anderen Tag auf dem gegenüberliegenden Hochvogel. Schließlich warnt sogar die aktuelle Führerliteratur davor, dass ein Sturz in dem steilen Gelände kaum zu halten sei.

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Blick auf die Urbeleskarspitze
Foto: Frank Eberhard
Blick auf die Urbeleskarspitze

Das gilt zum Teil auch für den Kollegen Sommerbergsteiger. Dabei geht es einfach los: Ein gelber Wegweiser lotst ihn durch zwei der drei Häuser des Orts Klimm hindurch. Fitte Bergsteiger verausgaben sich bis zum Großkar kaum, da der Pfad zur Klimmspitze ihnen den Weg durch den riesigen Latschengürtel erleichtert. Doch dann beginnt die Plackerei durch das Geröll. Der Kollege kommt ins Schwitzen. Dafür sorgt auch der dunkle Felsriegel über dem Kar. Er erscheint als unüberwindbares Hindernis, bis man die Bruchrampe entdeckt, die an seiner niedrigsten Stelle hinaufzieht. Über dieser Schwachstelle warten Schrofen und Schotter, die sich nicht anmerken lassen, dass zuvor schon jemals jemand über sie gestiegen ist.

Blick auf die Route
Foto: Frank Eberhard
Blick auf die Route

Obwohl das steile Gelände nicht schwer ist, würde der senkrechte Abbruch darunter kaum einen Fehltritt verzeihen. Erst weiter oben, wo sich der Südrücken steil hinaufschwingt, tauchen hie und da zwischen riesigen Felsbrocken bescheidene Steinmänner auf. Diese erheben aber keinen Anspruch darauf, den besten Weg zu weisen. Den muss jeder selbst finden. Am leichtesten lässt sich die Gipfelkrone über die Westflanke besteigen. Dort warten nur kurze Kraxelstellen. Doch was heißt das schon auf so einer Tour? Bei dem Tanz auf Eierschalen ist jedenfalls wieder Perfektionismus in Sachen Trittsicherheit angesagt. Am Gipfel dann die große Enttäuschung: Jemand hat dort bereits einen Steinhaufen aufgetürmt – Kollege, doch keine Erstbesteigung!

Zur Wasserfallkarspitze in den Allgäuer Alpen
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